PRO ASYL: Kriegsschiff voller Flüchtlinge – Von Lesbos nach Malakasa – und jetzt nach Straßburg!

Mit einem Militärschiff wurden Mitte März in Griechenland Schutzsuchende abtransportiert. Diesen Menschen wird seit einem Monat das Recht auf Asyl, die Menschenwürde und die Freiheit vorenthalten. PRO ASYL/RSA klagt mit 20 Betroffenen durch alle Instanzen. Der Fall zweier Minderjähriger ist nun beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg anhängig.

Niemand darf zurückgelassen werden! Das gilt für alle Flüchtlinge auf den griechischen Inseln. Und das gilt auch für die völlig entrechteten Schutzsuchenden, die von einem Militärschiff im Hafen von Mytilini (Lesbos) in das Haftlager Malakasa geschafft wurden. Zuvor hatte die griechische Regierung beschlossen, Asylverfahren vorerst für einen Monat lang auszusetzen und eine sofortige Rückführung aller einreisenden Flüchtlinge in ihr Herkunftsland oder ein Transitland (sprich die Türkei) zu veranlassen – ein Verstoß nicht nur gegen die Menschenrechte, sondern auch internationales & europäisches Recht.

Eingepfercht im Schiffsrumpf

Rund 450 von ihnen wurden daraufhin auf der Insel Lesbos im Rumpf eines Marineschiffes unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht und am 14. März in ein Haftlager nördlich von Athen verschifft, darunter Familien, Frauen, Kinder.  Kurz vor dem Abtransport erhielten sie von der Polizei eine Abschiebungsanordnung für ihre sofortige Abschiebung in die Türkei.

PRO ASYL / Refugee Support Aegean, unserem Team vor Ort, gelang es vorher, in Kontakt mit einigen Eingesperrten zu kommen und das Mandat zu erhalten, für ihre Rechte einzutreten. Insgesamt vertreten unsere Jurist*innen 20 der betroffenen Flüchtlinge. Denn auch und gerade in Zeiten einer Pandemie zählt jeder Mensch, jeder Einzelfall.

Während der Corona-Ausgangsbeschränkungen auch in Griechenland ist der humanitäre und rechtliche Beistand noch schwieriger, aber umso dringlicher, denn gerade in den Flüchtlingscamps sind die Bedingungen so katastrophal, dass Krankheiten sich rasend schnell verbreiten können.

Durch alle Instanzen: Last Exit Straßburg

Das Legal Team kämpft jetzt um die Freilassung der Familien mit Kindern aus Afghanistan und Syrien. Wir kämpfen auch darum, dass die beiden hochschwangeren Syrerinnen – im achten und neunten Monat – unverzüglich in Sicherheit gebracht werden. Dass die alleinfliehende Frau aus Syrien endlich ein Schutzgesuch stellen kann und eine menschenwürdige Aufnahme findet.

PRO ASYL / RSA vertritt auch zwei alleinfliehende syrische Jungen (elf und zwölf Jahre) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Unsere Anwältinnen Marianna Tzeferakou und Eleni Velivasaki haben am 30. März 2020 einen sogenannten Antrag auf vorläufige Maßnahmen  (»Rule 39«) in Straßburg gestellt: Diese zwei Jungen müssen sofort freigelassen und kindgerecht untergebracht werden! Sie haben Verwandte in Deutschland – wir wollen im Einklang mit geltendem EU-Recht sicherstellen, dass die beiden Jungen gesund und sicher zu ihren Familienangehörigen nach Deutschland  gelangen.

Artikel 39 der Verfahrensordnung erlaubt es, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorläufige Maßnahmen zu verlangen, wenn ein nichtwiedergutzumachender Schaden droht.

Keine Maßnahmen im Sinne des Kinderschutzes

In Malakasa herrschen menschenunwürdige Haftbedingungen – noch schlimmer ist es für die beiden Jungen, die dort unter Erwachsenen leben.  Seit einem Monat wurden keine Maßnahme von den verantwortlichen Behörden im Sinne des Kinderschutzes ergriffen. Es wurde kein Vormund bestellt. Wie alle anderen Inhaftierten in Malakasa haben sie keinen Zugang zu sanitären Produkten oder zumindest zu durchgängiger Wasserversorgung.

Der Menschenrechtsgerichtshof hat am Montag, den 31. März 2020 der griechischen Regierung einen umfangreichen Fragekatalog übermittelt, den diese bis zum 6. April 2020 beantworten müssen. Die harten und präzisen Fragen des Gerichtshofes spiegeln exakt den Vortrag unserer Anwältinnen wider. Es ist jedoch bedauerlich, dass Gerichtshof nochmals wertvolle Zeit – sechs Tage – verstreichen lässt, anstatt die unmittelbare Freilassung der Kinder zu veranlassen.

Ist die physische oder psychische Integrität der Antragsteller ernsthaft gefährdet? Das Gericht verweist dabei auf die Verpflichtungen der Behörden gemäß Artikel 3 der EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlicher Behandlung / Erniedrigung).

Wie sind die Haftbedingungen der Antragsteller in Malakasa? Sind die Minderjährigen separat in einem geschützten Bereich inhaftiert? Gibt es Freizeit- und andere Aktivitäten für Minderjährige? Haben die griechischen Behörden konkrete Maßnahmen für die Überstellung der Antragsteller ergriffen? Wenn ja, wann werden die Antragsteller in eine angemessene kindgerechte Aufnahmeeinrichtung überführt?  Wurden konkrete Maßnahmen bezüglich der Ernennung eines Vormundes für jeden der beiden Antragsteller getroffen?

Haben die Behörden die besten Interessen der Kinder bewertet? Droht den Antragstellern die Abschiebung in die Türkei? Hatten die Antragsteller die Möglichkeit, ihre Asylanträge zu registrieren? Wenn nicht, warum nicht? Welche Maßnahmen wurden in den Haftanstalten bezüglich des COVID-19-Risikos bereits ergriffen? Welche Schutzmaßnahmen für gefährdete Menschen gibt es?

Auch die Polizeigewerkschaft kritisiert Lebensbedingungen

Zur Fragestellung der Schutzmaßnahmen aufgrund des Coronavirus haben sich verschiedene Polizeivertreter klar positioniert:  Die Gewerkschaften des Polizei von Athen, Nordost-Attika und West-Attika stellten in einer Erklärung vom 26. März fest, dass es in Malakasa »keine Hygienemaßnahmen« gebe, und fügten hinzu, dass sich die Situation angesichts von  COVID-19 zu einer »Brandbombe entwickelt, da grundlegende sanitäre Schutzmaßnahmen fehlen (Toiletten, Sauberkeit, Masken, Handschuhe, Anzahl der in Zelten wohnenden Personen usw.)«

UPDATE 05.04.2020: Mittlerweile gibt es den ersten Coronafall in Malakasa. Das Camp wurde unter Quarantäne gestellt. Niemand darf mehr hinaus, die hygienischen und sanitären Bedingungen im Lager sind weiterhin katastrophal.

Das Schicksal dieser Flüchtlinge darf nicht in Vergessenheit geraten!  

Am 1. April 2020 hat die griechische Regierung die völkerrechtswidrige Aussetzung – de facto Abschaffung – des Asylrechts nicht mehr verlängert.

Alle Abschiebungen in die Türkei sind außerdem offiziell auf »unbestimmte Zeit« wegen der Corona-Krise ausgesetzt. Was dies für die knapp 2000 Flüchtlinge bedeutet, die seit dem 1. März völlig rechtlos gestellt wurden, bleibt offen. UNHCR Griechenland gibt nach der Ankündigung der Regierung keine Entwarnung. Bei den Flüchtlingen, die im März nach Griechenland kamen, muss jetzt sichergestellt werden, dass sie aus der Haft entlassen werden und Asylanträge stellen dürfen. UNHCR verhandelt über diese Fragen mit der griechischen Regierung.

UPDATE, 08.04.: Nun können nun auch im März eingereiste Schutzsuchende in Griechenland ein Schutzgesuch stellen. Ob und wie das in der Praxis gewährleistet werden soll, ist derweil noch unklar. Die Menschen sind weiterhin unter unmenschlichen Bedingungen in Haft.

PRO ASYL/RSA wird währenddessen alles dafür tun, dass die beiden Jungen, ebenso wie die anderen inhaftierten Flüchtlinge, endlich freikommen. Diese Menschen dürfen trotz – und gerade wegen – Corona nicht vergessen, niemand darf zurückgelassen werden!

 

 

Quelle und weitere Infos: https://www.proasyl.de

Bild: nord-dgb.de