LabourNet Germany: Streiks – Wild und politisch oder wirkungslos wie ein lauer Herbst

Von Mag Wompel

Das Streikrecht stellte schon immer eine Machtfrage dar. In Zeiten des Klassenkampfes von oben durch abnehmenden Bedarf an menschlicher Arbeitskraft (also ungefähr seit zwanzig Jahren) konstatieren wir auch die abnehmende Bereitschaft des Kapitals – da auch minimale Notwendigkeit – zu Kompromissen fest. Anders ausgedrückt: Die Androhung von Streiks kann ein Kapital, das unter (selbst erzeugten) Überkapazitäten leidet, kaum schrecken, wodurch die Gewerkschaften entweder immer mehr Konzessionen machen müssen oder immer häufiger vor die Frage des Streiks gestellt werden.

Eigentlich unnötig, denn gerade liegt ein gemeinsamer Vorstoß für gesetzliche Regelung gegen Spartengewerkschaften von DGB und BDA vor, wobei diese Partnerschaft in Sachen Tarifeinheit eindeutig auch das ohnehin rudimentäre Streikrecht einschränken wird. Während das Kapital hierbei das Gespenst der britischen Verhältnisse mit permanenten Streiks von Spartengewerkschaften an die Wand der nationalen Wettbewerbsfähigkeit malt, sind die Gewerkschaftsapparate zum Schutz vor kleinerer und kämpferischerer Konkurrenz von Spartengewerkschaften (lt. Michael Sommer „Zersplitterung der Tariflandschaft mit negativen Auswirkungen für Beschäftigte und Unternehmen“) bereit, blutig erkämpfte Errungenschaft der Arbeiterbewegung aufzugeben. Nicht die Gewerkschaften, sondern das Kapital hat den Klassenkompromiss aufgekündigt!

Wer unter den Lohnabhängigen bereit ist, die nationale Wettbewerbsfähigkeit und notfalls auch den eigenen Arbeitsplatz zu gefährden, diskutiert seit längerem neue Formen des Arbeitskampfes: Wie „Französisch lernen“, wie mit Verängstigten kämpfen, wie die Solidarität der betroffenen Bevölkerung erhalten? Hierfür stehen einige neue „Guerillataktiken im Arbeitskampf“ zur Verfügung: Ausgedehnte Betriebsversammlungen, Flashmobs, Betriebsbesetzungen, Blockaden, Boykott, Nicht-Streik… Noch ist die freie Wahl der Kampfmittel von der Verfassung geschützt! Und es passiert tatsächlich mehr in der letzten Zeit – sogar Hungerstreiks, Geiselnahmen, Selbstverbrennungen – in der Krise greifen Lohnabhängige weltweit zu spektakulären und oft verzweifelten Mitteln. Doch eben erst aus Verzweiflung angesichts drohender Erwerbslosigkeit, oft gegen die Gewerkschaften oder trotz ihnen und wenn gewerkschaftlich initiiert, dann meist für Sozialpläne, nicht gegen die Betriebsschließung…

Es ist offensichtlich, dass legale Arbeitskampfmittel nur legal sind, weil sie nicht wirken. Dass Streiks außerhalb der Tarifrituale wirkungsvoll sein können und zudem sanktionsfrei bleiben hat z.B. die Bochumer Opelbelegschaft 2004 gezeigt. Doch hilft dies zwar gegen allzu kompromissbereite Betriebsräte oder Gewerkschaftsapparate, wenn sich eine Belegschaft eigenmächtig widersetzt, bleibt aber wirkungslos gegen ökonomisch bedingte Entlassungen und Betriebsschließungen. Denn hier geht es um den Kampf um Lebensbedingungen. Wenn Hartz-Gesetze und Privatisierungen der Lebensvorsorge nicht vorhandene Arbeitsplätze alternativlos machen – und die Gewerkschaftsbewegung erpressbar – müssen die Lohnabhängigen (mit oder auch ohne die Gewerkschaftsapparate) ihre sonst zersplitterten Kämpfe zu gesellschaftlichen, politischen machen.

Als erste DGB-Gewerkschaft hat immerhin die IG BAU das Kampfmittel des Politischen Streiks in ihrer Satzung aufgenommen, doch politische Streiks werden nicht bei der Regierung erbettelt, sie werden einfach geführt und zu politischen gemacht. Denn Schadensersatzforderungen des Kapitals und den Ängsten der Lohnabhängigen vor Hartz IV und Entwürdigung kann nur mit dem politischen Streik gegen die Hartzgesetze und ein humanes Grundeinkommen begegnet werden. Wild und  politisch – oder gar nicht.

Der Artikel von Mag Wompel erschien im Februar 2011 in prager frühling.

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Dazu:

  1. Juli 2022
Du bist „systemrelevant“, wenn Dein Lohn nicht steigt, aber Dein Streik – mal wieder – verboten werden soll

Der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, hatte sich am Mittwoch abend vor Pressevertretern in Berlin weit vorgewagt. Und Gedankenspiele angestrengt – dieses etwa: Vielleicht brauche man in der Energiekrise hierzulande einen »nationalen Notstand«. Warum? Arbeitskämpfe wie Streiks ließen sich damit besser brechen. Er sei aber auf keinen Fall dafür, das Streikrecht einzuschränken. Eine Relativierung, die wenig glaubhaft klingt…“ So beginnt der Artikel von Oliver Rast in der jungen Welt vom 02.07.2022  („Affront mit Kalkül“), einer von vielen zum Vorstoß anläßlich des Warnstreiks bei der Abfertigung von Container- und Frachtschiffen, worin auch der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke zitiert wird, der Dulger unterstellt, offenbar träume dieser davon, »dass es einen autoritären Staat gibt, der Arbeitnehmerrechte niederknüppelt«… Als Vertreter seiner Klasse muss er aber nicht nur davon träumen, sondern auch die Grenzen dahin verschieben – wie er es in seiner Firma ProMinent übt). Die erstaunte Aufregung hat uns zu einem Dossier angeregt, in dem die neuesten Angriffe lediglich den aktuelle Anlaß liefern für eine Rückschau im nun 25jährigen Fundus des LabourNet Germany, um aufzuzeigen, wie alt und weltweit verbreitet sie sind…

1. Angriffe auf das Streikrecht sind keine Besonderheit, schon gar nicht  in Branchen kritischer Infrastruktur

Regelmässige Angriffe gab/gibt es in Deutschland bei den PilotenFluglotsenSicherheitsbeschäftigten am Flughafen sowie Sicherheitsgewerbe allgemein und im ÖPNV (mehrfach) oder BewacherInnen von kerntechnischen Anlagen (und z.B. bei Neupack Hamburg)…

2. International betrachtet sind Streikverbote eher die Regel als Ausnahme (nur Beispiele):

Nochmals: Dies sind nur einige Beispiele, wir haben ja fast alle Länder der Welt unter Beobachtung – wie schlecht es weltweit um Gewerkschaftsrechte allgemein und das Steikrecht insbesondere steht, kann ganz aktuelle dem Globalen Rechtsindex des IGB 2022 entnommen werden: Die zehn schlimmsten Länder für erwerbstätige Menschen und insgesamt massive Zunahme von Gewalt und Angriffen…

3. Die „weichen“ Waffen unterhalb eines Streikverbots reichen oft genug aus…

Dabei hat das Kapital auch so einen Fächer von Mitteln um das aktuelle Streikrecht zu unterlaufen – siehe auch eine kleine Auswahl aus unseren Beiträgen über Angriffe auf das Streikrecht nach Branchen und Berufsgruppen und Keulen:

4. Dagegen hilft nur das offensive Anwenden aus den Debatten über Umgehungsstrategien des restriktiven (deutschen) Streikrechts – die dringend fortgeführt werden müssen

Hierzu nur eine kleine und heterogene Auswahl aus dem Fundus, die Anregungen liefern könnte für eine dringende Fortsetzung einer aktuellen Debatte über – möglichst von der Rechtssprechung unabhängige – Strategien des Kampfes:

streiks: wild und politisch oder wirkungslos wie ein lauer Herbst. Artikel von Mag Wompel in prager frühling vom Februar 2011 – siehe oben

 

 

 

 

 

 

Quelle: Startseite » LabourNet Germany

Bild: verdi.de