LKW-Streik gegen Lohnraub geht weiter

Nachdem sie um ihren Lohn geprellt wurden, traten LKW-Fahrer aus Georgien und Usbekistan in den Streik. Obwohl ihr Auftraggeber versuchte, sie mithilfe eines Schlägertrupps einzuschüchtern, streiken sie weiter.

Von Sascha Döring

Die Situation ist grotesk: In Kleinbussen und zwei schwarzen Panzerwagen rücken die achtzehn breitschultrigen Männer der Patrol Rustkowski auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen-West zwischen Frankfurt und Darmstadt an. Dort versammeln sich seit Ende März mehr als fünfzig streikende LKW-Fahrer aus Usbekistan, Georgien und anderen Ländern.

»Diese Unternehmen machen viel Geld, aber wir warten immer noch auf unseren Lohn.«

Sie fordern den Lohn, den der polnische Spediteur Lukasz Mazur ihnen seit beinahe zwei Monaten vorenthält. Als ihr Chef am Karfreitag in Gräfenhausen auftaucht, hat er allerdings keine Lohnzahlung im Gepäck, sondern eine dubiose Sicherheitsfirma und ein Kamerateam. So soll wohl für das heimische Publikum festgehalten werden, dass mafiöse Bedrohungsszenarien ein probates Mittel der betrieblichen Auseinandersetzung sind.

Als die Männer versuchen, den Truckern die Laster zu stehlen, droht die Lage zu eskalieren. Nur dem ruhigen Widerstand der Fahrer und dem Eingreifen der Polizei ist zu verdanken, dass es nicht zu einer handfesten Schlägerei kommt. Was zunächst anmutet wie eine Szene aus einem modernen Highway-Western, steht sinnbildlich für die von Ausbeutung und Lohnbetrug geprägten Zustände im europäischen Fernverkehr.

Der Einschüchterungsversuch mithilfe einer uniformierten Schlägertruppe war für Lukasz Mazur ein Eigentor: Mittlerweile berichten viele Medien über den Streik, die Fahrer erfahren viel Solidarität von vorbeifahrenden Autofahrerinnen und internationalen Kollegen. Selbst der Chef des georgischen Gewerkschaftsbundes Irakli Petriashvili hat die Streikenden am Mittwoch besucht. »Solidarität hat die Kraft, etwas zu verändern«, bekräftigte er und machte ihnen Mut.

Derweil hat der Streik nicht nur in Politik und Medien seine Kreise gezogen. Auch die ersten Unternehmen sollen die Zusammenarbeit mit Mazur auf Grund des öffentlichen Drucks bereits eingestellt haben. All dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Vorfall vom Karfreitag kein Ausrutscher eines besonders korrupten Transportunternehmers war. Edwin Atemna von der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft erklärt, dass es auch in anderen deutschen Städten Proteste von kleinen Fahrergruppen gegeben hat, wo der Streik nach ähnlichen Einschüchterungen beendet wurde. Auch Fahrer aus Italien seien angereist. »Dort hat die Polizei nichts unternommen gegen die Schlägertrupps, anders als hier.«

Um den Mindestlohn geprellt

Dass die Lage osteuropäischer LKW-Fahrer und ihrer Kollegen aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland so prekär ist, hat System. Die Fahrer sind im Ausland angestellt und fahren Zugmaschinen mit osteuropäischen Kennzeichen. Die Auflieger mit der Fracht sind jedoch meist in Deutschland zugelassen. Sie transportieren also Güter im Auftrag großer deutscher und westeuropäischer Logistikunternehmen.

Deutsche Firmen sind mittlerweile regelrecht auf osteuropäische Trucker angewiesen: 40 Prozent aller Mautkilometer auf deutschen Autobahnen werden von Fahrzeugen absolviert, die im Ausland zugelassen sind und im Rahmen der EU-Dienstleistungsfreiheit Güter in der gesamten EU transportieren dürfen. Die meisten davon kommen aus Polen, Rumänien, Tschechien und anderen osteuropäischen Staaten.

»Laut dem Netzwerk Faire Mobilität zahlt ein Unternehmer rund 5.000 Euro weniger für einen Fahrer osteuropäischer Herkunft als für seinen deutschen Kollegen, der nach Mindestlohn vergütet wird.«

Da viele der Fahrer einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit Transporten in Westeuropa verbringen und als entsandte Beschäftigte gelten, stünden ihnen nach Mindestlohngesetz und EU-Entsenderichtlinie eigentlich die Mindestlöhne der jeweiligen Einsatzländer zu. In der Realität ist das aber kaum der Fall, da ihre Arbeitgeber die Mindestlöhne dieser Staaten umgehen, etwa in dem sie Spesenzahlungen widerrechtlich auf den Bruttolohn anrechnen, um Kosten und Steuern zu sparen. Damit verbunden sind geringe Sozialversicherungsbeiträge, Krankheitszeiten, die als unbezahlter Urlaub behandelt werden, oder Unternehmen, die ihre Fahrer dazu zwingen, ihre Arbeitszeiten nicht korrekt zu dokumentieren und so unbezahlte Überstunden zu leisten.

Manchen Fahrern werden auch falsche Papiere ausgehändigt, um die Behörden über ihren Beschäftigungsstatus, ihre Löhne oder ihre Lenk- und Ruhezeiten zu täuschen. Laut dem Netzwerk Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbundes zahlt ein Unternehmer rund 5.000 Euro weniger für einen Fahrer osteuropäischer Herkunft als für seinen deutschen Kollegen, der nach Mindestlohn vergütet wird.

Aber es sind nicht nur osteuropäische Spediteure, die von diesem System profitieren, sondern auch deutsche Unternehmen, die im Rückgriff auf ausländische Anbieter Transportkosten sparen. Sie vergeben ihre Aufträge entweder an Subunternehmer in Osteuropa oder gründen dort selbst Tochterunternehmen, über die sie ihre Aufträge abwickeln. Dabei handelt es sich nicht selten um Briefkastenfirmen.

Allein in Polen stieg die Zahl der registrierten Speditionen zwischen 2004 – dem Jahr der EU-Osterweiterung – und 2017 von 10.000 auf über 30.000. Westeuropäische Logistikkonzerne wickeln heutzutage fast nur noch nationale Transporte über ihre heimischen Filialen ab. Für den internationalen Straßentransport kommen ihre osteuropäischen Niederlassungen oder Subunternehmer zum Einsatz.

»Es profitieren ja nicht nur die Logistikunternehmen von diesem System, sondern alle, die viel transportieren müssen«, sagt Anna Weirich vom Netzwerk Faire Mobilität. »Supermarktketten, die Automobilhersteller und ihre Zulieferer, der Versandhandel.« Darunter sind auch viele multinationale Konzerne, die sich eigentlich dazu verpflichtet haben, nachhaltige Lieferkettenstandards einzuhalten. »Das System der Vergabe von Aufträgen an Subunternehmen ist völlig intransparent. Viele große Unternehmen haben den Überblick über ihre eigenen Lieferketten verloren. Man muss befürchten, dass die Aufträge meist einfach an den billigsten Anbieter gehen.«

Leidtragende dieses organisierten Sozialdumpings sind vor allem Trucker aus Osteuropa und Nicht-EU-Ländern. Sie leben wochenlang fast ausschließlich in ihren Fahrzeugen. Die Infrastruktur auf den Raststätten – Toiletten, Waschräume, Unterkunft – sind kostenpflichtig und werden von den Arbeitgebern nicht übernommen. Wo die Spesen von den Unternehmen häufig als Teil des Lohns behandelt werden, stehen sie den Fahrern für Unterkunft und Verpflegung nicht zur Verfügung. Dementsprechend versorgen sich die Fahrer häufig selbst: Gekocht wird mit dem Gaskocher auf dem Parkplatz, geschlafen wird im Führerhaus.

»Wenn die Fahrer davon erzählen, für wen sie alles gefahren sind, wird klar, welche großen Unternehmen von den Dumpinglöhnen profitieren: Bosch, Volkswagen, Mercedes, Ikea, Amazon.«

Trotz der schlechten Arbeitsbedingungen ist die gewerkschaftliche Organisierung schwierig, auch weil viele Fahrer scheinselbstständig sind. Konflikte mit dem Arbeitgeber bedeuten häufig den Verlust des Jobs. Bei Fahrern aus Nicht-EU-Staaten erlischt dann auch zeitgleich die Aufenthaltserlaubnis im Schengenraum und es drohen Sperren für die Zukunft. Hinzu kommt, dass die meisten ausländischen Fahrer –wenn überhaupt – Mitglied einer heimischen Gewerkschaft sind. Sie suchen die Unterstützung eher dort als in Deutschland.

Ikea und Co. profitieren

Gründe für die Wut der Fahrer gibt es also genug. Derweil geht der Streik in Gräfenhausen weiter. Edwin Atemna, den die Streikenden zum Mediator ernannt haben, sieht einen ersten Erfolg darin, dass erste Unternehmen die Zusammenarbeit mit Mazur eingestellt haben. Er hofft, dass sie ihren Einfluss geltend machen und eine »angemessene Bezahlung der Fahrer durchsetzen«. Aber bis jetzt gibt es keine Einigung.

Wenn die Fahrer davon erzählen, für wen sie bislang alles gefahren sind, wird klar, welche großen Unternehmen von den Dumpinglöhnen der Branche profitieren: Bosch, Volkswagen, Mercedes, Ikea, Amazon. »Diese Unternehmen machen viel Geld, aber wir warten immer noch auf unseren Lohn«, sagt Bagrat, einer der Streikenden. »Wir wollen ja nur das, was uns zusteht, keine Kopeke mehr.«

Einige von Bagrats Kollegen mussten bereits Kredite bei der Bank aufnehmen und sind jetzt verschuldet, erzählt er. Andere haben gesundheitliche Probleme. Keiner von ihnen hat eine Krankenversicherungskarte oder ein anderes Dokument, das ihnen erlauben würde, hier medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Und dennoch ist die Stimmung kämpferisch, auch weil die Fahrer von einem großen Netzwerk aus Gewerkschaften, Kirchen und Tafeln unterstützt werden. Selbst einzelne Autofahrer kommen und bringen Nudeln, Tomatensoße und Brot.

»Die Fahrer wissen, dass sie hier etwas historisches Leisten«, sagt Anna Weirich, die den Streik für das Netzwerk Faire Mobilität begleitet und unterstützt. »Weder ich, noch meine Kollegen, haben so etwas schon einmal erlebt. Dennoch ist die Lage für viele dramatisch. Der Arbeitgeber oder seine Auftraggeber müssen endlich den ausstehenden Lohn zahlen.«

Bleibt nicht nur zu hoffen, dass die Trucker mit ihrem Kampf Erfolg haben, sondern dass der Streik in Europa Schule macht: »Wir stehen ja nicht nur für uns und unsere Familien hier«, sagt Bagrat. »Wir machen das für alle Fahrer, denen es so geht wie uns.«

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien bei Jacobin als Erstveröffentlichungsort auf https://jacobin.de/und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt.
Bild: dpa/Sebastian Christoph Gollnow