Von Barbara Manthe
Seitdem sich 2011 der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) selbst enttarnte, wird in Deutschland so viel über den aktuellen Rechtsterrorismus gesprochen und geforscht wie noch nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Über den Rechtsterrorismus vor 1990 wissen wir jedoch immer noch erschreckend wenig. Dabei hat die Bundesrepublik Deutschland bereits einmal ein ungeheures Maß an rechtsterroristischer Gewalt erlebt: In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren radikalisierte sich die militante extrem rechte Szene in Westdeutschland; zahlreiche rechtsterroristische Gruppen formierten sich. Das Bombenattentat auf das Münchner Oktoberfest 1980 ist als wohl einzige Tat im kollektiven Gedächtnis geblieben. (1) Dabei war dieser Anschlag nur einer von vielen, die Dutzende Menschen das Leben kosteten.
Die Radikalisierung des militanten Teils der extremen Rechten hatte in den späten 1960er Jahren begonnen. Die westdeutsche Gesellschaft erlebte tiefgehende Wandlungsprozesse: Traditionelle Wertevorstellungen und der Antikommunismus, der die Nachkriegszeit begleitet hatte, verloren an Integrationskraft ebenso wie das Schweigen über die NS-Vergangenheit aufbrach. Außenpolitisch suchte die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) mit der »Neuen Ostpolitik« die Annäherung an die DDR und weitere Staaten im sowjetischen Machtbereich.
In diesen Umbruchsjahren war die extreme Rechte in einer desolaten Situation. Die 1964 gegründete NPD war zwar noch mit beträchtlichen Wahlerfolgen gestartet, 1969 aber verpasste sie knapp den Einzug in den Bundestag. In der Partei brach ein Richtungsstreit zwischen gemäßigteren und radikalen Kräfte aus. Die im Herbst 1970 aus den Reihen der NPD gegründete Aktion Widerstand rief zum Kampf gegen die Brandt’sche Ostpolitik auf und bereitete mit gewalttätigen Demonstrationen den Weg vieler Aktivist*innen in die Militanz.
Aus diesem Spektrum heraus entstanden die ersten rechtsterroristischen Gruppierungen, so etwa die Europäische Befreiungsfront (EBF) im Ruhrgebiet, die Nationalsozialistische Kampfgruppe Großdeutschland (NSKG) mit Schwerpunkt in Ingolstadt und rund 20 NPD-Aktivist*innen um den Bonner Bernd Hengst. Sie alle trieb ein strikter Antikommunismus an und sie planten, Deutschland bei einem drohenden Einmarsch sowjetischer Gruppen mit Waffengewalt zu verteidigen. Allerdings kamen sie über das Anhäufen von Waffen und vage Anschlagsplanungen nicht hinaus. Dennoch wirkten diese ersten Gehversuche auf andere: Im November 1970 schoss der 21-jährige Ekkehard Weil in Berlin über die deutsch-deutsche Grenze hinweg und verletzte einen sowjetischen Wachsoldaten. Weil hinterließ am Tatort antikommunistische Flugblätter, die mit »Europäische Befreiungsfront« unterschrieben waren – mit der Gruppe selbst, die rund ein halbes Jahr zuvor von der Polizei zerschlagen worden war, hatte er vermutlich nichts direkt zu tun.
Radikalisierung der Szene in den 1970er Jahren
Ab Mitte der 1970er Jahre entstanden in der Bundesrepublik extrem rechte Gruppen, die die Herausbildung einer rechtsterroristischen Szene förderten. Die Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG), 1973 von Karl-Heinz Hoffmann gegründet, entwickelte sich zur politischen Heimat und zum Ort der Vernetzung zahlreicher späterer Rechtsterrorist*innen. Auch die Volkssozialistische Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSBD/PdA) unter Friedhelm Busse erfüllte eine ähnliche rekrutierende und politisierende Funktion. Solche Gruppen boten Rechtsterrorist*innen ein (halb)legales politisches Betätigungsfeld und bereiteten sie politisch und praktisch auf den bewaffneten Kampf vor.
In den späten 1970er Jahren dann entwickelte sich in Norddeutschland eine gut vernetzte rechtsterroristische Szene. Um Lothar Schulte und Lutz Wegener gründete sich im Herbst 1977 die erste Neonazigruppe, die in der Bundesrepublik nach §129a Strafgesetzbuch – Bildung einer terroristischen Vereinigung – verfolgt wurde. Der Zusammenschluss bestand aus sechs Männern, unter ihnen der bekannte Neonazi Michael Kühnen. Mitglieder der Gruppe raubten unter anderem in Hamburg eine Bank aus und überfielen Soldaten der Bundesrepublik und der Niederlande, um Waffen zu beschaffen. Außerdem planten sie einen Sprengstoffanschlag auf die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Um Paul Otte agierte in Braunschweig, Peine und Hannover die Otte-Gruppe. Im Oktober 1977 zündeten zwei Mitglieder eine Bombe am Hannoveraner Amtsgericht. Im November 1978 war ein Bombenanschlag auf eine Synagoge in Hannover geplant, dem die Polizei allerdings zuvorkam. Ein Mitglied der Eisermann-Gruppe aus Schleswig-Holstein legte im September 1977 eine Bombe vor die Amtsanwaltschaft in Flensburg, da der örtliche Staatsanwalt gegen den Neonazifunktionär Manfred Roeder ermittelte. In Kiel wurden 1979 der Neonazi Frank Stubbemann und zwei weitere Männer angeklagt, weil sie Waffen und Sprengstoff gehortet und Anschläge geplant hatten.
Diese Gruppen waren untereinander vernetzt. So fand im Oktober 1977 in Peine ein überregionales Treffen statt, bei dem Paul Otte selbstgebaute Rohrbomben verteilte. Brisanterweise fand diese Zusammenkunft bei Hans-Dieter Lepzien statt, einem führenden Mitglied der Otte-Gruppe – und VP des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Doch erst über ein Jahr später wurde die Otte-Gruppe von der Polizei aufgerollt und Lepziens Funktion während des Gerichtsprozesses öffentlich gemacht. Die Rolle des Verfassungsschutzes im deutschen Rechtsterrorismus liegt bis heute im Dunkeln, denn der Großteil der relevanten Akten ist unter Verschluss. Neben Lepzien sind einige weitere VP bekannt, die zum Einsatz kamen. (2) Wie viele V-Personen insgesamt in rechtsterroristischen Gruppen aktiv waren, wissen wir allerdings nicht.
Während die meisten Rechtsterrorist*innen zeitnah nach ihren Taten verhaftet wurden, gab es auch Personen, die lange Zeit unbehelligt von der Polizei agieren konnten. Ein Beispiel hierfür ist Peter Naumann, der im Januar 1979 gemeinsam mit einem Komplizen die Ausstrahlung der US-amerikanischen TV-Serie »Holocaust« stören wollte. Während einer einführenden Dokumentation störten zwei Sprengsätze die Übertragung; die Bildschirme hunderttausender Fernsehgeräte blieben schwarz. Erst 1987 stellte sich heraus, dass Naumann für diesen Anschlag verantwortlich gewesen war.
Gewalteskalation in den 1980er Jahren
In den 1980er Jahren eskalierte die Gewalt. Das Jahr 1980 war ein Schlüsseljahr des westdeutschen Rechtsterrorismus. Der schwerste rechtsterroristische Anschlag in der deutschen Geschichte war das Attentat auf das Münchner Oktoberfest am 26. September 1980. Zwölf Besucher*innen kamen ums Leben, hunderte wurden verletzt. Auch der Täter, der 21-jährige Student Gundolf Köhler, starb bei der Explosion. Er hatte zuvor an einigen Wehrsportübungen der Wehrsportgruppe Hoffmann teilgenommen, allerdings nach bisherigen Kenntnissen keine engere Verbindung zu dieser Gruppe. Bis heute ist weder klar, woher Köhler die Bombe hatte und ob er alleine gehandelt hatte noch, was seine Motivation gewesen war.
Gleichermaßen ungeklärt ist die Rolle von Heinz Lembke, der seit Ende der 1970er Jahre ein riesiges Arsenal an Waffen und Sprengstoff angelegt hatte, womit er die rechtsterroristische Szene versorgte. Auch im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum Oktoberfest tauchte sein Name auf. Im Herbst 1981 wurde ein Waffendepot Lembkes in der Lüneburger Heide gefunden. Lembke erklärte sich nach seiner Verhaftung bereit, umfassend auszusagen. Doch am 1. November 1981, kurz vor seiner Aussage, wurde er erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Woher Lembke seine Waffen hatte und an welche rechtsterroristische Gruppen er lieferte, ist bis heute ungeklärt.
Eine weitere Mordtat unterstreicht den gewaltvollen Charakter des Rechtsterrorismus im neuen Jahrzehnt: Am 19. Dezember 1980 erschoss Uwe Behrendt in Erlangen den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seine Partnerin Frida Poeschke. Behrendt war ein aktives Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann und ein enger Vertrauter Hoffmanns, bei dem er zum Zeitpunkt des Mordes lebte. Behrendt konnte nach der Tat mit Hoffmanns Hilfe ins Ausland fliehen und starb im Herbst 1981, vermutlich durch Selbstmord. Hoffmann und seine Lebensgefährtin wurden später wegen des Doppelmordes angeklagt, aber von diesem Vorwurf letztendlich freigesprochen.
Neben der gesteigerten Gewalt lässt sich noch ein zweiter Trend beobachten: In den 1980er Jahren entschieden sich mehr und mehr Rechtsterrorist*innen für den Weg in den Untergrund. Bis dahin war ein »normales« Leben mit Jobs und Familie die Regel gewesen. Ein Beispiel dafür ist die Wehrsportgruppe Ausland: Die Gruppe entstand nach dem Verbot der WSG Hoffmann im Januar 1980 auf Initiative Hoffmanns und bestand aus rund einem Dutzend Aktivisten, die 1980/81 ein PLO-Camp im Bürgerkriegsland Libanon besuchten. (3) Einige dieser Männer waren in Deutschland wegen Straftaten gesucht und nun im Libanon untergetaucht. Die Deutschen erhielten im Camp militärische Trainings, nahmen aber weder an Kriegshandlungen teil noch führten sie irgendwelche Anschläge aus. Die Gruppe löste sich im Sommer 1981 auf, die meisten Mitglieder kehrten nach Deutschland zurück, einige gingen dort in den terroristischen Untergrund. So etwa Odfried Hepp: Gemeinsam mit Walther Kexel und vier weiteren Männern verübte die Hepp-Kexel-Gruppe 1982 im Rhein-Main-Gebiet eine Serie von Sprengstoffanschlägen gegen die U.S. Army und überfiel Banken.
Rassismus als Motiv
Die Anschläge der Deutschen Aktionsgruppen (DA) um Manfred Roeder markierten eine zentrale thematische Verschiebung im westdeutschen Rechtsterrorismus: Die Gruppe verübte 1980 mehrere Anschläge gegen Geflüchtetenunterkünfte. Am 22. August starben bei einem Brandanschlag in Hamburg zwei junge vietnamesische Geflüchtete. Die Verhaftung der DA-Mitglieder kurze Zeit später bedeutete jedoch nicht das Ende rassistischer Gewalt: So verübte 1981 in Kassel die rassistische Gruppe Aktion Wehrhafter Demokraten zwei Sprengstoffanschläge. 1982 erschoss der NPD-Sympathisant Helmut Oxner in Nürnberg bei einem rassistischen Attentat zwei Schwarze US-Amerikaner und einen Ägypter. Rassismus wurde nicht nur in der extrem rechten Szene nach und nach zum dominanten Thema; seit den frühen 1980er Jahren verschärfte sich auch der Ton gesellschaftlicher Debatten über Migration.
Nach 1983 waren zahlreiche Rechtsterrorist*innen tot, für Jahre im Gefängnis oder im Ausland untergetaucht. Gleichzeitig entstand eine neue rechte Subkultur: Skinheads, keine originär rechte Bewegung, vermischten sich mit Teilen der jüngeren Neonaziszene. Während der rassistischen Pogrome und Brandanschläge der frühen 1990er Jahre lebte die neonazistische Skinhead-Bewegung auf. Die Gewalt ebbte 1994 ab und die Szene strukturierte sich nach Verboten wieder neu. Als im Jahr 2000 der NSU Enver Simsek ermordete, war der organisierte Rechtsterrorismus in der Öffentlichkeit kaum Thema. Spätestens 2003 gab es jedoch genug Anlass, sich des Problems wieder anzunehmen: Mit der Gruppe um den Münchner Neonazi Martin Wiese, die 2003 einen Anschlag auf das neue Jüdische Kulturzentrum in München plante, oder der Gruppe Freikorps Havelland, die 2003/2004 zehn Anschläge gegen Migrant*innen verübte, mehrten sich die Anzeichen, dass Rechtsterrorismus keineswegs »nur« Geschichte war.
Barbara Manthe leitet an der Hochschule Düsseldorf das Forschungsprojekt »Rechtsterrorismus in der BRD, 1970-1990«.
Anmerkungen:
1) Verschiedene Gedenkinitiativen, so etwa die initiative kritisches gedenken erlangen (kritischesgedenken.de) und die Initiative für ein Gedenken an Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan (inihalskestrasse.blackblogs.org) bemühen sich seit einiger Zeit intensiv um eine öffentliche Aufarbeitung einzelner Morde; im öffentlichen Bewusstsein sind diese Fälle allerdings noch nicht verankert.
2) So etwa Helmut Krahberg, Mitglied der Europäischen Befreiungsfront und VP des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes.
3) In den 1970ern hatten sich rechtsterroristische Akteure verstärkt um Kontakte zu ausländischen antiimperialistischen Gruppierungen bemüht, vor allem die PLO. Mit ihr teilten sie gemeinsame Feindbilder – die USA und Israel.
Der Artikel erschien zuerst auf Analyse & Kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis und wird hier mit freundlicher Genehmigung gespiegelt. ak 653 vom 15.10.2019 https://www.akweb.de/ Bild: Button von Rheinhessen gegen rechts/JUSOS