Monopoly im Pflegeheim: Aggressive Investoren dringen in die Gesundheitsbranche ein und übernehmen Krankenhäuser und Pflegezentren. Sie entziehen dem System viel Geld – zum Schaden der Belegschaft und der Patienten

Von Uta von Schrenk

Im Sommer 2017 kam das internationale Kapital nach Glückstadt. Die Investmentgesellschaft Oaktree hatte die Mehrheit am Pflegeheim-Betreiber mit rund 4600 Beschäftigten gekauft. Zum Einkaufspaket gehörte auch Heike Bremers Arbeitgeber, die Eingliederungshilfe des Psychiatrischen Centrums Glückstadt. Seit 2001 betreut Bremer als Erzieherin suchtkranke, psychisch beeinträchtigte und behinderte Menschen, denen die Teilhabe am Alltag ermöglicht werden soll. In dem ehemaligen Marinelazarett aus den 1930er Jahren gibt es 110 Plätze für Betreuungsbedürftige.

Am Anfang, erzählt Heike Bremer, klang es noch gut, was Oaktree in Glückstadt verbreiten ließ. „Sie waren ganz offen mit ihrer Strategie, haben auf Betriebsversammlungen gesagt, dass sie das Unternehmen effizient aufstellen, schön machen, um es dann gewinnbringend zu verkaufen.“ Dass „Schön machen“ auch heißen kann, alles, was sich nicht lohnt, abzustoßen, „war uns da noch nicht bewusst“, sagt die Erzieherin. Zum Jahresende 2018 wurde die Einrichtung kurzerhand an die Diakonie verkauft. Das alte Gebäude mit hohen Heizkosten und einem großen Investitionsbedarf schmeckte den Investoren nicht. „Offensichtlich kann man mit uns nicht genug verdienen“, sagt Bremer, die zugleich Fachbereichsvorsitzende im ver.di-Landesbezirk ist. Dem neuen Träger reichte das aus. Bei der Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie gibt es nun einen Tarifvertrag, aber keinen Betriebsrat, was ver.di scharf kritisiert. „Immerhin“, sagt Bremer, „wir müssen keine Rendite erwirtschaften.“

Internationale Investoren auf Beutezug

Unattraktiv zu sein hat manchmal Vorteile. Denn seit Jahren fühlt sich das Kapital von der Gesundheitsbranche angezogen. Dieses Marktgeschehen beobachtet der Soziologe Christoph Scheuplein vom Institut für Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen, der – gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung – die Private-Equity-Branche beobachtet. Von 2013 bis Mitte 2018, so Scheuplein, gab es in der Branche knapp 130 Übernahmen durch Investmentfirmen. Betroffen sind rund 82 000 Beschäftigte in Deutschland. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei Vitanas, Harald Hahne, musste erst lernen, wie Investoren denken. Hahne, seit 20 Jahren Ergotherapeut, ist seit 2014 intensiv im Betriebsrat engagiert. Er hat nichts gegen eine „wirtschaftlich vernünftig geführte Pflegeeinrichtung“. Aber nach mehr als anderthalb Jahren Erfahrung mit einem Investmentfonds als Eigner sagt er: „Finanzinvestoren haben in der Pflege nichts zu suchen. Das ist systemfremd.“

Sparen bei Personal und Essen

Um die Renditeerwartungen seiner Anteilseigner zu bedienen, setze Oaktree, mit Hauptsitz in Los Angeles, bei Vitanas das ganze Sortiment an Rationalisierungsmaßnahmen ein, wie Gesamtbetriebsrat Hahne berichtet: „Das Controlling wurde verschärft, die Strukturen verschlankt, die Personaleinsatzplanung mager.“ Das Geschäftsgebaren bei Vitanas war inzwischen Gegenstand von Beschwerden durch Bewohner eines Pflegeheims in Berlin und eines Prozesses vor dem Europäischen Gerichtshof, bei dem Beschäftigte erfolgreich ausstehende tarifliche Lohnerhöhungen aus Altverträgen einforderten.Wie Rationalisierung konkret aussieht, durfte auch Christiane Wasmund in ihrer Zeit als GBR-Vorsitzende des Reha-Konzerns Median West kennenlernen. Wasmund arbeitet als Ärztin an der Klinik Lübeck im Suchtbereich. 2016 verkaufte der bisherige Betreiber der Allgemeinen Hospitalgesellschaft (AHG), zu der die Klinik Lübeck gehörte, ihre Reha-Einrichtungen an den niederländischen Investor Waterland. Die AHG wurde zur Median West und gehört einem Verbund von 120 Einrichtungen an. „Es hieß, es werde im laufenden Betrieb nichts entnommen, der Verkauf sorge für die Rendite der Investoren“, erzählt die Betriebsrätin. Ansonsten würde auf „Synergieeffekte“ gesetzt.

Waterland verkaufte die frisch erworbenen Krankenhausimmobilien an die amerikanische Medical Properties Trust, die die Häuser an Median vermietet, um Steuern zu sparen. Doch bald wurde deutlich, was ein Finanzinvestor noch unter der Vokabel „Synergieeffekte“ versteht. „Es wurde krass gespart“, sagt Christiane Wasmund. In Sitzungen des Gesamtbetriebsrats wurde berichtet, dass Reparaturen ausblieben, Investitionen auf Eis gelegt wurden. Die Zeiten für die Reinigung wurden herabgesetzt, die Teams reduziert. „Kolleginnen beschwerten sich, dass die Sauberkeit stark nachgelassen habe.“ Sarah Bormann, Konzernbetreuerin bei ver.di, bestätigt, dass Betriebsräte bei Median West immer wieder die Sauberkeit monierten. Viele freie Stellen wurden nicht wieder besetzt oder nur durch geringer qualifizierte Mitarbeiter. Köche wurden durch Hilfskräfte ersetzt. Wasmund sagt: „In vielen Häusern wurde nicht mehr vor Ort gekocht, stattdessen wurden mehr Industrieprodukte eingesetzt.“ In manchen Einrichtungen stieg mit der Arbeitsverdichtung der Krankenstand drastisch, berichteten Betriebsräte. „Die Politik gibt die Kontrolle und die Hoheit über den Gesundheitsbereich komplett ab“, sagt Christiane Wasmund. „Die Kliniken werden zum Spekulationsobjekt und die Patienten zur Ware.“

Nicht viele haben den Mut, offen Kritik zu äußern. Ein junger Betriebsrat in einem süddeutschen Pflegeheim, das ebenfalls von einem Investor gekauft wurde, will namentlich nicht genannt werden. Er berichtet von konkreten Vorgaben für die Mahlzeiten: „Keine Schlagsahne zum Kuchen mehr, nur noch eine Kelle Suppe, maximal drei Fischstäbchen.“ Hungern müsse zwar niemand, sagt er. „Aber Quantität und Qualität lassen zu wünschen übrig.“ Mit den Patienten leidet das Personal. Der Mann erzählt, bitter benötigte Pflegehelfer seien entlassen worden, um nicht zusätzlich examinierte Fachkräfte einstellen zu müssen. Gesetzlich ist eine Fachkraftquote von 50 Prozent vorgeschrieben. „Wir fahren unsere Schichten unter dem Schlüssel.“ Dass der Mann seinen Namen nicht in der Presse lesen will, kann ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler gut verstehen: „Renditegetriebene Betreiber behindern häufig die Mitbestimmung durch Betriebsräte“, sagt sie. „Das führt dazu, dass Dienstpläne nicht verlässlich sind und zu wenig Personal eingesetzt wird.“ Immer lauter forderten kommerzielle Anbieter, die Standards abzusenken, und wehrten sich gegen Tarifverträge.

Denn das Geschäft mit kranken und alten Menschen lohnt sich. IAT-Forscher Scheuplein hat 39 Fonds untersucht, die in der Gesundheitsbranche zuletzt tätig waren. „Hier lagen die Renditen bei 18 Prozent.“ Renditen, die mit öffentlichen Geldern und Leistungen der Sozialversicherungen erwirtschaftet werden. Im vergangenen Sommer hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt angezweifelt, „ob ein kapitalmarktgetriebenes Fokussieren auf zweistellige (!) Renditeerwartungen angemessen wäre“. Seine Antwort: „Eher nicht!“ Dass das Thema auf den Tisch komme, sei richtig, sagt Gewerkschafterin Bühler. Nur habe Spahn noch nicht verraten, wie er die Renditen konkret begrenzen wolle: „Wir zahlen in die Kranken- und Pflegeversicherung ein, um Risiken wie Krankheit und Pflegebedürftigkeit abzusichern, nicht damit kommerzielle Gesundheitskonzerne Traumrenditen erzielen.“

Ein Mitarbeiter eines Pflegeheim-Konzerns im Besitz einer ausländischen Investmentgesellschaft, der Einblick in die Bilanzen des Unternehmens hat, sagt: „Schon zehn Prozent Rendite aus dem laufenden Betrieb eines Pflegeheims oder Krankenhauses sind unanständig.“ Harald Hahne von Vitanas wird noch deutlicher: „Wir haben in Deutschland mehr Auflagen, ein Mettbrötchen zu verkaufen, als ein Pflegeheim zu führen. Da muss man sich über Ausbeutung nicht wundern.“

Mehr Transparenz ist nötig

Die Gewerkschaft ver.di fordert Transparenz über die zweckentsprechende Verwendung der Steuermittel und Versichertenbeiträge. Die Verwendung von Investitionskosten, die Pflegeheimbewohner zahlen, müsse nachvollziehbar sein. Auch brauche es verbindliche Qualitätsstandards, deren Einhaltung wirksam kontrolliert werde. Verstöße müssten sanktioniert werden. Zu den Standards gehörten auch Personalvorgaben – ver.di fordert seit Langem eine gesetzliche Personalbemessung, orientiert am Pflegebedarf. Schließlich brauche es ein Branchenniveau in den Tarifverträgen, damit der Wettbewerb nicht länger über die Löhne ausgetragen werde. „Man muss von Trägern, die ihre Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen und öffentlichen Geldern requirieren, erwarten, dass sie sich an gesellschaftliche Spielregeln halten. Dazu gehören Mitbestimmung und Tarifverträge“, sagt Gewerkschafterin Bühler. „Die Politik ist gefragt, sie hat die kommerziellen Geister gerufen.“ Hahne und seine Betriebsratskollegen haben sich in einem offenen Brief an die Abgeordneten des Bundestages gewandt. Sie fordern unter anderem die „Rekommunalisierung der Altenpflege“. Dass das Zukunftsmusik ist, ist auch Hahne klar. Bis dahin haben sich die Arbeitnehmervertreter bei Vitanas darauf verlegt, ihr Management mit dem Betriebsverfassungsgesetz bekannt zu machen. In Bautzen und Riesa zum Beispiel arbeitet die Belegschaft auf einen Haustarifvertrag hin. Der Organisationsgrad liegt in beiden Einrichtungen bei über 50 Prozent. „Es hindert uns niemand daran, uns zu organisieren, auch nicht der internationale Kapitalmarkt“, sagt Hahne.

 

 

 

 

 

Quelle: https://www.boeckler.de/

Bild: von Doerge von Pixabay cco