Wohnungsnot kein Thema mehr? – Neben den rund 700.000 wohnungslosen Menschen leben 8,6 Millionen in überbelegten Wohnungen und 178.000 Personen sind wegen Wohnungslosigkeit in vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeiten oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht

Um die Wohnungsnot in Deutschland ist es ruhig geworden. Im Windschatten der stürmischen Krisenatmosphäre hat das Statistische Bundesamt in seiner Pressemitteilung Mitte November 2022 darauf aufmerksam gemacht, dass die Mieten nach wie vor stark ansteigen, zu wenig gebaut wird, rund 8,6 Millionen Menschen in überbelegten Wohnungen leben und mehr als 178.000 Personen wegen Wohnungslosigkeit in vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeiten oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind.

Dabei sollten nach dem Plan der Bundesregierung jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen, darunter 100.000 Sozialwohnungen, entstehen, um dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegenzuwirken und die Wohnungsnot zu bekämpfen.

Doch weit gefehlt: Im vorigen Jahr wurden lediglich 300.000 Wohnungen gebaut – und in diesem Jahr dürften es noch weniger sein. Für Menschen die auf der Straße oder in überbelegten Wohnungen leben müssen, wird sich somit kaum etwas ändern – sie müssen als Opfer der finanzialisierten Wohnungswirtschaft ausharren und auf bessere Zeiten hoffen.

Leben in überbelegten Wohnungen

Rund 8,6 Millionen Menschen in Deutschland lebten 2021 in überbelegten Wohnungen. Das waren 10,5 % der Bevölkerung, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anhand von Erstergebnissen der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) 2021 mitteilte. Als überbelegt gilt eine Wohnung nach EU-SILC-Definition, wenn darin mindestens einer der folgenden Räume nicht vorhanden ist:

  • ein Gemeinschaftsraum,
  • ein Raum pro Paar, das in dem Haushalt lebt,
  • ein Raum für jede weitere Person ab 18 Jahren,
  • ein Raum für zwei Kinder unter 12 Jahren,
  • ein Raum für zwei Kinder desselben Geschlechts zwischen 12 und 17 Jahren,
  • ein Raum je Kind zwischen 12 und 17 Jahren, wenn sie unterschiedlichen Geschlechts sind

und ein zweiter Raum bei einem Ein-Personen-Haushalt.

Aus der Pressemitteilung Nr. N 067 vom 17. November 2022 von Destatis geht hervor:

Mehr als ein Viertel der Alleinerziehenden und deren Kinder lebten 2021 in überbelegten Wohnungen

Bei der Bevölkerung in Haushalten mit Kindern lag die Überbelegungsquote 2021 bei 15,9 Prozent. Darunter besonders betroffen waren Menschen in Haushalten, in denen zwei Erwachsene mit mindestens drei Kindern zusammenwohnten (30,7 Prozent), gefolgt von Alleinerziehenden und deren Kindern (28,4 Prozent).

11,9 Prozent der Alleinlebenden lebten in Wohnungen mit zu wenigen Wohnräumen

Bei der Bevölkerung in Haushalten ohne Kinder lag die Überbelegungsquote im vergangenen Jahr mit 6,5 Prozent dagegen niedriger als über alle Haushaltsformen hinweg. Anteilig am seltensten lebten zwei Erwachsene ohne Kinder (2,7 Prozent) in überbelegten Wohnungen. Auch Alleinlebende können zu wenige Wohnräume haben – 2021 traf das auf 11,9 Prozent der Ein-Personen-Haushalte zu. Gemäß EU-SILC-Definition gilt die Wohnung eines Ein-Personen-Haushalts als überbelegt, wenn es nicht mindestens zwei Zimmer, also etwa ein getrenntes Wohn- und Schlafzimmer gibt.

Der Wohnraummangel betrifft häufig Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Mit 17,8 Prozent war die Überbelegungsquote bei Minderjährigen 2021 rund sechs mal so hoch wie etwa bei älteren Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren (3,0 Prozent).

In Städten lebten 15,5 Prozent der Menschen 2021 in überbelegten Wohnungen

Die Überbelegungsquoten 2021 machen zudem deutlich, dass Wohnraum vor allem in Städten knapp ist. So war der Anteil der Menschen in überbelegten Wohnungen in größeren Städten (15,5 Prozent) fast doppelt so hoch wie in Vororten und kleineren Städten (8,6 Prozent) und drei mal so hoch wie in ländlichen Gebieten (4,9 Prozent).

Überbelegungsquote im EU-Schnitt höher als in Deutschland

Im Durchschnitt aller 27 EU-Mitgliedstaaten lag die Überbelegungsquote im Jahr 2021 laut EU-Statistikbehörde Eurostat mit 17,1 Prozent höher als in Deutschland. In Lettland (41,3 Prozent) und Rumänien (41,0 Prozent) lebten anteilig die meisten Menschen in überbelegten Wohnungen, in Malta (2,9 Prozent) und Zypern (2,3 Prozent) die wenigsten.

Weitere Informationen: Weitere Daten zur Überbelegungsquote im EU-Vergleich sowie zu ähnlichen Indikatoren aus EU-SILC sind auf der Seite „Europa in Zahlen“ des Statistischen Bundesamtes sowie in der Eurostat-Datenbank verfügbar.

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Zur Situation untergebrachter wohnungsloser Personen

Zum Stichtag 31. Januar 2022 waren in Deutschland rund178.000 Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht, beispielsweise in vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeiten oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften.

Rund 74.000 untergebrachte wohnungslose Personen waren alleinstehend (41 Prozent). Knapp 59.000 Personen (33 Prozent) waren innerhalb eines gemeinsamen Haushalts als Familie beziehungsweise als Paar mit Kindern untergebracht. Rund 23.000 Personen (13 Prozent, einschließlich der Kinder) lebten während der Unterbringung in einem Alleinerziehenden-Haushalt. Rund 4.500 Personen (3 Prozent) waren als Paare ohne Kinder untergebracht. Für die übrigen rund 18.000 Personen (10 Prozent) wurde der Haushaltstyp „sonstiger Mehrpersonenhaushalt“ angegeben oder ihr Haushaltstyp war unbekannt.

62 Prozent der untergebrachten wohnungslosen Personen waren Männer und 37 Prozent Frauen; für 1 Prozent der Fälle wurde das Geschlecht mit „unbekannt“ angegeben. Durchschnittlich waren die untergebrachten wohnungslosen Personen zum Stichtag 32 Jahre alt. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) der untergebrachten wohnungslosen Personen war jünger als 25 Jahre. Knapp 5 Prozent der untergebrachten wohnungslosen Personen waren 65 Jahre und älter.

31 Prozent der untergebrachten wohnungslosen Personen hatten die deutsche Staatsangehörigkeit, 64 Prozent eine ausländische. Bei rund 5 Prozent der untergebrachten wohnungslosen Personen lagen entweder keine Angaben zur Staatsangehörigkeit vor, sie war ungeklärt oder es handelte sich um Staatenlose.

Im Bundesvergleich waren in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit jeweils knapp 36.000 Personen die meisten Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht, gefolgt von Berlin mit etwa 26.000 Personen. Am wenigsten untergebrachte Wohnungslose wurden zum Stichtag für Sachsen-Anhalt (365 Personen), Mecklenburg-Vorpommern (405 Personen) und Bremen (790 Personen) gemeldet.

Zu den erfassten Personen zählen Wohnungslose, die in Not- und Gemeinschaftsunterkünften oder gegebenenfalls auch gewerblichen Unterkünften (Pensionen, Hotels, gewerbliche Gemeinschaftsunterkünfte etc.) und Normalwohnraum untergebracht sind, sofern er ihnen vorübergehend überlassen wird, ohne dass dadurch die Wohnungslosigkeit beendet wird. Dies betrifft auch Personen, die in (teil-)stationären Einrichtungen beziehungsweise im betreuten Wohnen der Wohnungslosenhilfe freier Träger untergebracht sind. Geflüchtete werden in der Statistik berücksichtigt, wenn sie über einen positiven Abschluss des Asylverfahrens verfügen und durch das Wohnungsnotfallhilfesystem untergebracht sind.

Nicht in die Erhebung einbezogen sind unter anderem Personen, die bei Freunden, Familien oder Bekannten unterkommen, und Obdachlose, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben. Personen, die zwar in einer Einrichtung untergebracht sind, deren Ziel aber nicht die Abwendung von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit ist (beispielsweise Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen, von Heimen für Menschen mit Behinderung, von Frauenhäusern, von Suchtkliniken oder von betreuten Wohnungen der Jugendhilfe), sind ebenfalls nicht Teil der Erhebung.

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War noch vor Jahresfrist das Thema Wohnungsnot in den Köpfen der meisten Menschen, so ist bei der angeheizten Krisenatmosphäre in Verbund mit den steigenden Kosten der einzelnen armen Haushalte kein Platz mehr für die Nöte der anderen Menschen. Die Bekämpfung der Wohnungsnot hat die Politik erstmal beiseitegelegt und Wohnen als Geschäftsmodell dem undurchsichtigen Netz der finanzialisierten Wohnungswirtschaft überlassen.

Der finanzialisierte Wohnungsmarkt wird es nicht richten

Angesichts niedriger Erträge für Staatsanleihen leiten die institutionellen Investoren auf der Suche nach lukrativen Anlagen immer mehr Kapital von den Finanzmärkten weg, hin zu den Wohnungs- und Immobilienmärkten. Sie treiben die Miet- und Hauspreise weiter in die Höhe und füttern einen riesigen finanzialisierten Wohnungsmarkt an.

Die verdeckten Insidergeschäfte haben aktuell dazu geführt, dass Immobilien in ihrer Bilanz überbewertet wurden. Fachleute sehen darin erste Anzeichen einer platzenden Finanzblase auf dem Wohnungsmarkt.

Vorgeworfen wird den Unternehmen unter anderem, die Wohnungen in den Bilanzen zu hoch bewertet zu haben. Während die angeschlagenen Wohnungsunternehmen versuchen, über Wohnungsverkäufe in großem Maßstab einen „Neustart“ hin zu bekommen, spüren vor allem die Mieter die Auswirkungen der Krise im Wohnungskonzern und müssen befürchten, dass den Konzernen z.B. das Geld für Reparaturen und Instandhaltungen ausgeht.

Betongold

Als nach dem Jahrhundertwechsel immer mehr Wohnungen zur Beute wurden, ging es noch um die gängige, aber problematische Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das Geschäftsmodell war durch- und überschaubar, aber umso qualvoller für die Mieter. Sogenannte Immobilienkaufleute bzw. Makler kauften oder ersteigerten ganze Wohnhäuser in den „Problemstadtteilen“, wandelten diese in Eigentumswohnungen um und boten sie Privatpersonen zum Kauf an.

Die Städte erteilten die „Umwandlungserlaubnis/Abgeschlossenheitsbescheinigung“ in der Regel problemlos. Als Steuersparkonzept deklariert, ließen die Käufer nicht lange auf sich warten. Sie meinten, ihr erspartes Geld müsse „für sie arbeiten“ und fielen auf die eigentlich verbotenen Kopplungsgeschäfte zwischen den neuen Hauseigentümern und Banken herein. Mit dem Erwerb einer Wohnung wurde gleichzeitig auch ein Kredit der beteiligten Bank gewährt, beide Verträge wurden gleichzeitig von dem neuen Wohnungseigentümer, oft sogar beim Käufer Zuhause, im Beisein von Makler und Bankvertreter, unterschrieben. Vielfach hatten sich die neuen Wohnungseigentümer die „Objekte“ gar nicht angeschaut, auch weil die Wohnungen bundesweit verkauft wurden, sie nicht anreisen wollten und sich damit begnügten, dass ihnen die Wohnung per Video und Fotos vorgeführt wurde. Vielfach entsprachen die Wohnungen nicht dem Bildmaterial und waren auch oft nicht vermietet, sodass keine Mieteinnahmen erfolgten. So wurden viele Käufer zahlungsunfähig, der Kredit der Bank wurde fällig gestellt und die Wohnungseigentümer meldeten Insolvenz an. Mit dem „faulen Kredit“ zockte die Bank auf dem Finanzmarkt, d.h. sie wurden an sogenannte „Geierfonds“ wie Cerberus und Blackstone verscherbelt.

Heute sieht das Geschäftsmodell der Zockerei mit Immobilien zwar ähnlich, aber von den Dimensionen her schon ganz anders aus.

Finanzialisierte Wohnungswirtschaft

Im großen Immobiliengeschäft sind derzeit vor allem zwei Akteure tätig, Unternehmen die als Vermieter auftreten und Investoren, die das Kapital einbringen.

Zu den institutionellen Vermietungsgesellschaften gehören börsennotierte Immobilienaktiengesellschaften, Private-Equity-Unternehmen und Real Estate Investment Trusts. Hierzu gehört auch der weltweit größte Finanzinvestor, der Private-Equity-Fonds Blackstone. Blackstone hat von den Anlegern rund 730 Milliarden US-Dollar eingesammelt, von denen rund 230 Milliarden Dollar in Immobilien angelegt sind.

Zu den Investoren, die das Kapital geben, gehören private Rentenfonds, Stiftungen, Family Offices, Banken, öffentliche Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften.

Die im undurchsichtigen Netz der finanzialisierten Wohnungswirtschaft tätigen Akteure kaufen die Anleihepakete und Aktien von den institutionellen Vermietern. Als Investition in die Zukunft winken hohe Dividenden und ZinsenDarüber hinaus halten viele institutionelle Akteure große Pakete an „faulen“ Hypothekendarlehen, die sie in den Jahren nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von den Banken der privaten Eigentümer bzw. Schuldner erwarben (siehe oben).

Der Wert europäischer Immobilienportfolios im Besitz institutioneller Investoren wird mittlerweile auf gigantische zwei Billionen US-Dollar geschätzt. Dazu gehören neben den Wohnimmobilien auch Gewerbeimmobilien, Industrieanlagen oder Hotels. Der genaue Wert der verwalteten Wohnimmobilien lässt sich deshalb nur schätzen, weil viele Investoren den Wert nicht separat ausweisen. Der aktuell geschätzte Wert der Immobilienportfolios im Besitz institutioneller Investoren liegt in Berlin bei 42 Milliarden Euro, gefolgt von London mit 27,7 Milliarden und Amsterdam mit 24,4 Milliarden Euro.

Im Laufe der letzten Jahre haben sich die großen Player zu riesigen Wohnungsmonopolen entwickelt. Blackstone besaß Ende 2020 europaweit rund 117.000 Wohneinheiten, davon auch mehr als 3.500 in Berlin. Mit ihren mehr als 500.000 Wohnungen, die die Immobilienaktiengesellschaft Vonovia nach der Fusion mit der Deutsche Wohnen in ihrem Bestand hat, ist sie der größte Wohnungskonzern Europas.

Bei einem solchen Bestand verfügen die institutionellen Akteure bereits über eine starke Marktmacht und können zunehmend auch die politische bzw. gesetzliche Regulierung der Wohnungsmärkte verhindern.

Mit diesen Akteuren muss auch in Zukunft gerechnet werden, weil sie ihre Verwertungskonzepte geändert haben. Unter dem Stichwort „Finanzialisierung 2.0“ wollen sie zukünftig ihre Bestände auf eine längerfristige Bewirtschaftung ausrichten und dabei mehr Wert auf kontinuierliche Mietsteigerung, massenhafte Modernisierung, Neuvermietung zu Höchstpreisen und gezielte Verkäufe legen. Außerdem sollen über Insourcing, d.h. die Wiedereingliederung ehemals ausgegliederter Dienstleistungen wie Hausmeisterdienste oder Reparaturservices, neue Gewinne erschlossen werden.

Zu dem neu ausgerollten Besteck gehören auch die sogenannten Buchwertgewinne, die ein Unternehmen aus einer kontinuierlichen Höherbewertung seines Immobilienbesitzes generiert. Dabei wird wieder einmal auf die Zukunft gewettet und auf der Basis wachsender Gewinnerwartungen, in Form von steigenden Preisen und erhöhten Mieteinnahmen, werden neue Anleihen und Kredite ausgegeben.

Für diese Zockerei, wie sie derzeit abläuft, eignen sich Immobilien besonders gut, weil die den Preis der Immobilien bestimmenden Grundrenten auf ebensolchen Erwartungen von potenziellen Erträgen in der Zukunft beruhen. Bei der „Finanzialisierung 2.0“ wird es eine weitere Konzentration der Wohnungsunternehmen geben. Bei dem gigantischen Wettbewerb um die Anleger werden auch kriminelle Energien zu Betrügerei führen und Spekulationsblasen drohen zu platzen.

Opfer dieser Entwicklung sind nicht nur wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, sondern auch die rund 8,6 Millionen Personen, die 2021 in überbelegten Wohnungen lebten und die rund 178.000 Personen, die wegen Wohnungslosigkeit untergebracht, beispielsweise in vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeiten oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften leben müssen.

 

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Zum „Tag der Wohnungslosen“: Vom Leben auf der Straße | gewerkschaftsforum.de

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Quellen: IAB, Bundespresseamt, Stat. Bundesamt- https://www.destatis.de/, tagesschau.de, süddeutsche.de
Bild:stadtmission-nuernberg.de