Die Krokodilstränen der Wohlfahrtskonzerne: Sie fürchten um ihren Profit, den sie durch die Ausbeutung der Ein-Euro-Arbeitskräfte und den Beschäftigten auf ihrem „sozialen Arbeitsmarkt“ erwirtschaften

Von Zeit zu Zeit erheben die vier großen Wohlfahrtsunternehmen, die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Deutsche Caritasverband (DC), das Diakonische Werk (DW) und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (Paritätische) die Stimme zu den Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung und prekären Beschäftigung und fordern Verbesserungen.

Nun warnen sie vor den Folgen geplanter Sozialkürzungen im Bundeshaushalt und klagen über die Kostensteigerung, auch bei den Lohnzahlungen in ihren Einrichtungen, die angeblich ihre ganze Arbeit gefährden würden. Vor allem fürchten sie, dass bei ihren Ein-Euro-Arbeitskräften gespart wird oder ihr  „sozialer Arbeitsmarkt“ gar nicht mehr finanziert wird und Ihre „Zweckbetriebe“, die völlig am öffentlichen Tropf hängen, keinen Profit mehr abwerfen.

Ganz selbstverständlich nutzen sie in ihren eigenen Unternehmen die unmenschlichen Bedingungen für ihre Beschäftigten aus, um ihren Profit zu sichern. Gleichzeitig unterbinden sie jegliche Gegenwehr, Selbstorganisation oder gewerkschaftliche Organisierung der Beschäftigten in ihren Reihen. Im aktuellen Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 wird die Axt für einen massiven Kahlschlag bei den Jobcentern und bei der Bürgergeldreform angelegt. Das sogenannte Gesamtbudget, zu dem Leistungen für Eingliederung und Verwaltungskosten gehören, soll um 400 Millionen Euro gekürzt werden. Gepaart mit weiteren Maßnahmen beläuft sich das Gesamtvolumen der Einsparungen auf 700 Millionen Euro. Im nächsten Jahr würden dadurch fast 7 Prozent aller bisherigen Mittel unter den Tisch fallen. Das ist ein Skandal, weil parallel dazu das 100-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm aufgelegt wurde und der laufende Rüstungsetat für das nächste Jahr sich mehr als verdoppeln soll.

Doch wundert es schon, wie frech-dreist die vorgeblich gemeinnützigen Wohlfahrtskonzerne wieder einmal ihre Krokodilstränen vergießen, einen angeblichen Kostendruck bejammern und die Einstellung ihrer Arbeit an die Wand malen. Waren sie es doch, die Jahrzehnte lang mit ihren menschenverachtenden Beschäftigungsmaßnahmen im Rechtskreis der Hartz-Gesetzgebung, die laut Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als Zwangsarbeit bezeichnet werden kann, profitiert haben. Externe Prüfer ihrer Bilanzen gibt es nicht, alles bleibt intern, ohne Betriebs- oder Personalräte und ohne Aufsichtsgremien.

Vor rund 50 Jahren wurde die Ein-Millionen-Grenze von offiziell arbeitslos gemeldeten Menschen überschritten

Im Februar 1975 schockierte eine Meldung in den Nachrichten die Menschen in der Bundesrepublik: Erstmals wurde die Ein-Millionen-Grenze von offiziell arbeitslos gemeldeten Menschen überschritten. Genauer betrachtet waren damals 1.184 000 Personen erwerbslos. Nach dem ersten Schreck wurde dies allgemein als einmaliger Ausrutscher infolge der großen Wirtschaftskrise, die fälschlich „Ölkrise“ genannt wurde, betrachtet. Als dann 1982 die Zwei-Millionen-Hürde fiel, wurde jedem klar, dass es sich um eine strukturelle Entwicklung handelte, die nicht von heute auf morgen gestoppt werden kann.

In vielen Städten versammelten sich arbeitsmarkt- und sozialpolitisch engagierte Menschen zu Demonstrationen. In den Ruhrgebietsstädten wurde das Thema Arbeitslosigkeit sehr breit diskutiert, da viele Arbeitsplätze im „Blaumannbereich“ vernichtet wurden. Viele der betroffenen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten, wollten nicht resignieren, sie organisierten sich selbst und es entstanden überall Arbeitslosengruppen und –initiativen. Vor allem junge Menschen ohne Arbeit taten sich zusammen, um eigene Initiativen zu gründen. Die erwerbslosen Menschen wollten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, für Arbeit und soziale Sicherheit, gegen soziale Ausgrenzung und Diffamierung kämpfen. Diese Bewegung trat dafür ein, Arbeitslosigkeit als gesellschaftliches Problem zu begreifen und nicht den erwerbslosen Menschen selbst die Schuld für ihre Situation zu geben.

Selbstorganisation von betroffenen Menschen war nicht gewünscht.

Die Selbstorganisation von betroffenen Menschen war nicht von den damaligen politischen Akteuren in den Kommunen gewünscht. Da es den Initiativen abgesprochen wurde, sich selbst für ihre Interessen einsetzen zu können, nahmen zunächst die Kirchen die Domestizierung in die Hand und machten in den 1980er Jahren die Arbeit/Arbeitslosigkeit zu ihrem zentralen Thema. Gleichzeitig verwehrten sie in ihren eigenen Reihen ihren Beschäftigten die gleichen Rechte, wie z.B. das Streikrecht und Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie im öffentlichen Dienst üblich, gänzlich. Dann folgte die AWO dem Trend der Einhegung der Basisinitiativen, parallel dazu der Paritätische, der nicht viel Energie aufbringen musste, da viele „freie Initiativen“ den Paritätischen als ihren Dachverband auserkoren hatten.

Wegen der zu starken Umarmung der Wohlfahrtskonzerne ist den Erwerbsloseninitiativen die Luft ausgegangen, von den zahllosen Gruppen in den 1980er Jahren haben kaum welche überlebt. Mittlerweile sind auch die selbstorganisierten Arbeitslosenzentren verschwunden oder in der Trägerschaft der Wohlfahrtsunternehmen gewechselt. So hat man es geschafft, über die ganzen Jahre hinweg, jegliche Ansätze von Selbstorganisation und eigenständiger Artikulation der erwerbslosen Menschen im Keim zu ersticken.

Als dann sich das Normalarbeitsverhältnis unter dem Einfluss des Neoliberalismus mit den Losungen von „Liberalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung“ zunehmend auflöste, atypische, prekäre, befristete, Leih- und Zwangsteilzeitarbeitsverhältnisse an dessen Stelle traten, konnten die Beschäftigten und ihre Familien nicht mehr über ein ausreichendes Einkommen verfügen. Auch hatten sie nicht mehr den erforderlichen arbeits- und sozialrechtlichen Schutz, um sich individuell wehren zu können. Gleichzeitig sind die Wohlfahrtskonzerne enorm gewachsen und haben sich zu Jobmotoren entwickelt. Für sie kam die Hartz-Gesetzgebung als Geschenk des Himmels auf die Erde, um Betriebsteile auszugliedern, neue Geschäftszweige mit „Zweckbetrieben“ zu entwickeln und sich aller prekären Beschäftigungsverhältnisse, wie auch den Arbeitsgelegenheiten (AGH/1€-Jobbs) zu bedienen.

Zwei dieser Beschäftigungsverhältnisse werden im Folgenden näher betrachtet.

Seit Jahrzehnten schuften die Ein-Euro-Arbeitskräfte in den Maßnahmen der Arbeitsverwaltung bei den Wohlfahrtsunternehmen für „einen Appel und ein Ei“

Seit den 1990er Jahren treten die Wohlfahrtsunternehmen und ihre neu gegründeten Beschäftigungs- und Maßnahmeunternehmungen auf dem Arbeitsmarkt auf und nutzen vor allem langzeitarbeitslose Menschen in den gut geförderten Maßnahmen brutal aus.

Die Arbeitskräfte in den Maßnahmen werden bewusst vom ersten Arbeitsmarkt ferngehalten, auch weil sie für den Maßnahmeträger gut eingearbeitete vollwertige Arbeiterinnen und Arbeiter sind und in den sogenannten Zweckbetrieben für Profit sorgen. Da sie rechtlich gesehen in keinem Beschäftigungsverhältnis stehen, haben sie auch keine Rechte, die sich aus einem regulären Normalarbeitsverhältnis ergeben. Sie sind den im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter ausgeliefert und damit verstoßen diese Maßnahmen gleich gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes, wie gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Berufsfreiheit oder das Koalitionsrecht.

Eigentlich sollen Ein-Euro-Arbeitskräfte rechtlich im öffentlichen Interesse, zusätzlich und wirtschaftsneutral sein. Auch sollten sie nachrangig vermittelt werden, doch tatsächlich wurden und werden regelmäßig ein Drittel der erwerbslosen Menschen in solche Maßnahmen gesteckt.

Der Ein-Euro-Job ist kein Arbeitsverhältnis mit entsprechenden Rechten, bei dem für den Erwerbslosen 130 Euro Aufwandsentschädigung für 30 Wochenstunden Arbeit abfallen. Sie stehen doppelt und dreifach unter Aufsicht. Spurt die Arbeitskraft nicht, gibt es neben dem Druck der Wohlfahrtskonzerne noch über die Sanktionen der Jobcenter eine Absenkung des staatlich eigentlich garantierten Existenzminimums.

Die Wohlfahrtskonzerne bzw. die Maßnahmeträger bekommen eine Verwaltungspauschale der Jobcenter pro Teilnehmer monatlich mindestens 500 Euro. Sie bekommen also nicht nur die Arbeitskraft umsonst, sondern die Beschäftigten bringen ihnen auch noch Geld ein. Das ist noch viel lukrativer als die sonst üblichen staatlichen Lohnzuschüsse. Die Wohlfahrtskonzerne haben sich mit dem Standbein Ein-Euro-Arbeitskräfte eine regelrechte Armutsindustrie aufgebaut, mit ihren Sozialkaufhäusern, An- und Verkaufsläden, Kleidungshandel oder als Verleiher von Hauhaltshilfen, die in einer Stunde mehr als 20 Euro dem Konzern abliefern.

Mittlerweile hat sich der ganze Maßnahmensumpf verselbständigt und die Konzerne wursteln nach Bedarf ohne Kontrollen profitgierig vor sich hin.

Menschen im Maßnahmen- und Arbeitsgelegenheitengestrüpp
  • Es gibt Menschen, die seit Jahren immer noch unter besonderen „Vermittlungshemmnissen“ leiden. Sie haben seit 10 oder 12 Jahren immer die gleiche Beschäftigung beim gleichen kirchlichen Maßnahme- bzw. Anstellungsträger. Sie haben auch alle Programme durchlaufen, die die Arbeitsverwaltung in ihren Angeboten hat.
  • Dabei haben sich in der Zusammenarbeit mafiöse Strukturen, gegenseitiges Geben und Nehmen und Kungeleien zwischen den kirchlichen Einrichtungen und den Jobcentern entwickelt, die keinerlei Kontrolle unterworfen sind.
  • Der Einsatz der „Programmkräfte“ hat dazu geführt, dass der Maßnahme- bzw. Anstellungsträger Dienstleistungen für sich selbst nicht mehr bei Fremdfirmen mit tarifgerechtem Entgelt einkaufen muss, sondern z.B. die Reinigungen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten durch die recht- und schutzlosen Arbeiterinnen und Arbeiter erledigen lässt.
  • Diese Menschen werden in privaten Haushalten und Gewerben eingesetzt, die dann für eine Stunde Arbeit bis zu 20,00 Euro an den Träger zahlen müssen.
  • Wenn es der Betriebsablauf notwendig macht, werden bei den Arbeitsgelegenheiten auch Überstunden angeordnet, die dann mit 1,50 Euro in der Stunde vergütet werden.
  • Bei einigen Maßnahmen kassieren die kirchlichen Einrichtungen monatlich pro Teilnehmer 500,00 Euro „Regiekosten“. Wer diese Summe pro Träger und Teilnehmer zusammenrechnet und dann noch schaut wie viele „Regisseure“ in Wirklichkeit tätig sind, sieht, wie lukrative diese Förderketten sind.
  • Wenn bei Maßnahmen z.B. die Zusätzlichkeit nach den etwas verschärften Kriterien nicht gegeben ist, stellen die Kirchen schnell „Projektbezüge“ her oder man kann auch z.B. eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ für alle Gewerbe, die im Aktionsraum liegen, vom Einzelhandelsverband erhalten, die wird der Arbeitsverwaltung vorgelegt und alles ist gut.
  • In Läden in denen Ware verkauft wird, wird eine Erklärung abgegeben, dass nur an Bedürftige verkauft wird oder für eine Zeit lang werden Waren nicht mehr verkauft, sondern gegen eine Spende ausgegeben.
  • Wenn einige geförderte Maßnahmen nicht anlaufen, kann man immer noch auf die Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV) umschalten (Förderung durchschnittlich 65 Prozent).
  • Falls es eng wird und alles nicht mehr gegenüber der Arbeitsverwaltung beeinflussbar ist, kann die Rettung eine Umwandlung des Ganzen in einen Integrationsbetrieb sein. Dass dieser Tipp nicht immer gut ist, wurde deutlich, als das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Diakonischen Integrationsbetriebe Dortmund-Bochum-Lünen gGmbH eröffnet (AZ: 255 IN 45/14) wurde. 34 Menschen, davon über die Hälfte mit Beeinträchtigungen, die in den „CAP-Märkten“ gearbeitet hatten, mussten entlassen werden. Die Folge von Missmanagement und vor allem mangelhafter Kontrolle der eigenen Aufsichtsgremien und öffentlicher Mittelgeber.
  • Einer jungen Frau wurde zur Arbeitsaufnahme noch kurz vor ihrem Insolvenzverfahren ein Kredit für die Anschaffung eines KFZ durch das Jobcenter gewährt, der Arbeitsplatz selbst wurde mit 75 Prozent Lohnkostenzuschuss gesponsert und der Arbeitgeber bestand frech auf deren KFZ, weil die Frau als Vertreterin für Medizintechnik Arztpraxen anfahren musste – so etwas geben die Richtlinien für die “freie Förderung” her. Das Arbeitsverhältnis wurde nach 3 ½ Monaten beendet.
  • Sozialarbeiter werden beauftragt, Berichte über Maßnahmeteilnehmer anzufertigen, in dem diese psychiatrisiert und die „Defizite“ der einzelnen Person aufgelistet werden, die noch bestehen. Dem Jobcenter soll so dokumentiert werden, dass diese Person noch in einer weiteren geförderten Maßnahme sein muss. In der Regel entsprechen diese Berichte nicht der Wahrheit, sondern dienen lediglich dem weiteren Geldfluss, mit erheblichen Folgen für die Maßnahmebeschäftigten, die beim Jobcenter mit diesem psychischen Befund aktenkundig werden und der ihnen ihr Leben lang anheftet.
  • Gängige Praxis ist es, dass zweckgebundene Personalkosten z.B. für die Schuldnerberatung nicht für die Beratung von überschuldeten Menschen zur Verfügung stellen, die qualifizierten Personalstellen sind längst abgebaut und die öffentlichen vom Land gezahlten Personalkosten fließen in unbekannte Kanäle der Wohlfahrtsunternehmen.

Wen wundert es da, dass niemand so recht etwas an der bisherigen Förderpraxis ändern möchte und froh ist, dass diese Beschäftigten nicht auf den 1. Arbeitsmarkt abwandern können, da dort schlicht die Arbeitsplätze fehlen und ihnen das Arbeitslosengeld 1 verweigert wird.

Koop-kurenz“

Damit alles so weitergehen kann, haben sich die Maßnahme- und Anstellungsträger oft als übergeordnete Vereine zusammengeschlossen. Die Mitglieder der Gemeinschaft haben vereinbart, dass sie sich der „ Koop-kurrenz“, (bezeichnet die Dualität von Kooperation und Konkurrenz auf  Märkten, (Anmerkung L.N.)) in einer für alle Mitgliedsorganisationen zufriedenstellenden Weise zu widmen und sich schon in der Planungsphase bei neuen Maßnahmen der Arbeitsverwaltung abzustimmen.

Das Ganze ist ein recht geschlossenes System in dem öffentliche Mittel verschoben und unrechtmäßig verwendet werden.

Sozialer Arbeitsmarkt: mit dem „Teilhabechancengesetz“

Am 1. Januar 2019 trat das Teilhabechancengesetz in Kraft. Die Bundesregierung stellte vier Milliarden Euro bereit, um Unternehmen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen für langzeitarbeitslose Menschen anbieten, die Lohnkosten zu subventionieren. Ohne jegliche arbeitsmarkt- und sozialpolitische Diskussion wurde mit dem neuen Gesetz ein gravierender Wechsel in der Arbeitsmarktpolitik vollzogen. Neuerdings stehen allen wirtschaftlichen Organisationsformen auch den heimischen Privatunternehmen und -konzernen, staatliche geförderte Beschäftigungen ohne Einschränkung offen.

Der Staat zahlt den Unternehmen beim Zustandekommen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in den ersten zwei Jahren 100 Prozent sowie in den folgenden drei Jahren absteigend 90, 80 und 70 Prozent des Mindest- oder Tariflohns. Die Kriterien wie Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse und Wettbewerbsneutralität wurden über Bord geworfen, die bislang die geförderte Beschäftigung nur auf sozialen Trägern und öffentlichen Einrichtungen beschränkte.

Rund 800.000 erwerbslose Menschen werden voraussichtlich mithilfe dieses Programms eine Beschäftigung aufnehmen und so soll der Niedriglohnsektor weiter ausgebaut werden, damit die deutschen Unternehmen weiterhin den Weltmarkt dominieren können.

Für die Wohlfahrtsunternehmen ist dies eine neue, sehr effektive Möglichkeit, ihre „Zweckbetriebe“ am Laufen zu halten.

Das Gesetz sieht im Einzelnen vor, dass

  • eine Dauer der Maßnahme von fünf Jahren
  • oder auch eine kürzere Befristung mit optionaler einmaliger Verlängerung explizit erlaubt ist.
  • nach 5 Jahren keine Verpflichtung für die Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung besteht und ein Großteil der Betroffenen wieder in den Hartz-IV-Bezug gehen wird.
  • der typische Arbeitsvertrag im Rahmen dieser Förderung voraussichtlich zunächst auf zwei Jahre angelegt sein wird und bei guter Führung und Leistung anschließend für drei Jahre verlängert werden kann.
  • es sich nur zum Teil um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Da keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhoben werden, ist am Ende nur der Hartz-IV-Bezug möglich und das Hartz IV-System greift wieder. Es muss nicht Arbeitslosengeld 1 nach dem SGB III gezahlt werden und es fallen keine Vermittlungskosten an.
  • die Jobcenter zusammen mit den potenziellen Arbeitgebern entscheiden, welcher Mensch welche Stelle annehmen muss. Der Arbeitszwang seitens der Jobcenter steht dabei der Selbstbestimmung des Einzelnen entgegen.
  • ein Angebot nicht abgelehnt werden kann. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter.
  • der Mindestlohn, selbst in Vollzeit sind das etwa 1.550 Euro brutto, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Schon gar nicht kann man davon seine Familie ernähren.
  • es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt und sich damit kein Arbeitsverhältnis begründet. So sind Verstöße gegen Arbeitsrechte und Arbeitsschutz vorprogrammiert.
  • im Zuge der Beschäftigung von Zusatzjobbern reguläre Beschäftigung in nicht zu vernachlässigendem Umfang verdrängt und der bestehende Wettbewerb beeinflusst wird.
  • Maßnahmeteilnehmer aus der Maßnahme durch die Arbeitsverwaltung abberufen werden können, z.B. für Bildungsmaßnahmen oder eine andere Arbeitsaufnahme

und dass die Beschäftigten immer noch unter der Knute der Jobcenter stehen. Da es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt, sind sie während der gesamten Laufzeit nicht nur ihren Unternehmen, sondern auch der „Betreuung“ durch die Jobcenter unterworfen.

Sanktionen können auch hier greifen

Im § 31 des SGB II wird unter dem Begriff „Pflichtverletzungen“ festgelegt, dass langzeitarbeitslose Menschen vom Jobcenter sanktioniert werden können, wenn sie z.B. eine Maßnahme nicht annehmen oder unterbrechen. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter. Dies kann dazu führen, dass die Menschen gar kein Einkommen mehr erhalten, je nachdem, wie viel Prozent laut Vorgaben vom laufenden Bezug gestrichen wird.

Sanktion ist immer Strafe und Legitimation zugleich. Einmal wird bestraft und zum anderen den Menschen gezeigt, dass der Staat dazu das Recht hat, dass er das tun darf. Ohne Sanktionen würde das Hartz-IV-System seine Effektivität und Abschreckung als Mittel zur Lohnsenkung verlieren.

Grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit wird ausgehebelt

Die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit wird ebenfalls berührt, wenn die Menschen gezwungen werden, jede Arbeit, Beschäftigung oder Maßnahme anzunehmen. Der Aspekt der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit hat in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Sanktionsmechanismen praktisch so gut wie nie eine Rolle gespielt. Die Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, stehen permanent unter dem Druck möglicher Sanktionen, weil jeder Vermittlungsvorschlag des Jobcenters ein „nicht ablehnbares Angebot“ sein kann. Die Freiheit der Berufswahl gibt es für sie nicht. Es wird hierbei die SGB II Vorschrift der § 10 Abs. 2 angewandt. Danach ist einem erwerbslosen Menschen jede Arbeit zumutbar und er kann nur ausnahmsweise Arbeitsangebote ablehnen, z.B. nur, wegen besonderer körperlicher Anforderungen oder wegen der Gefährdung der Erziehung des Kindes. Ausdrücklich kein „Wichtiger Grund“ zur Ablehnung eines Vermittlungsangebots sollte sein, dass die „Arbeitsbedingungen ungünstiger“ als die Bedingungen des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses sind. Das ist der Hebel, mit dem man die Beschäftigten mit staatlichem Zwang in den Niedriglohnsektor drängt.

Staatlich subventionierte Leiharbeit

Neu beim Teilhabechancengesetz ist auch, dass Zeitarbeitsfirmen nicht als Förderberechtigte ausgeschlossen werden. Die Branche, die schon jetzt größter Abnehmer von langzeitarbeitslosen Menschen und Profiteur der Agenda 2010 ist, trommelte für das Gesetz am Lautesten. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. bietet bereits Seminare an und gibt  eine Broschüre heraus, um seinen Mitgliedern Anleitungen für das Ausschöpfen des neuen Fördertopfs an die Hand zu geben. Denn das neue Gesetz macht die Träume dieser Branche wahr. Sie können ab sofort einen Menschen für 24 Monate anstellen, sich die kompletten Lohnkosten vom Staat bezahlen lassen und das Geld, das sie für die Verleihung der Angestellten erhalten, als Gewinn einstreichen. Der Leiharbeiter darf nicht mal kündigen, da ihm dann Sanktionen vom Jobcenter drohen.

Auch die Träume der Wohlfahrtsunternehmen werden nun wahr, viele ihrer langjährigen „Programmkräfte“ können ohne große Eigenanteile weiter ihre Dienste verrichten.

Weiterer Ausbau des Niedriglohnsektors

Die Schaffung von zusätzlichen Beschäftigungs-/Maßnahme/-Arbeitsplätzen z.B. im Rahmen des Teilhabechancengesetz werden die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen aller Beschäftigten beeinflussen. Sie wird eine Umschichtung in den Betrieben zur Folge haben und reguläre Stellen abbauen.  Die verbleibenden Beschäftigten entwickeln zunehmend Ängste um ihren Arbeitsplatz und leisten, wenn sie Glück haben, bezahlte Mehrarbeit. Dadurch verhindern sie Neueinstellungen und können ihre familiären und sozialen Beziehungen nicht mehr pflegen. Sie verzichten auf die notwendige Genesungszeit bei Krankheit, schädigen damit ihre Gesundheit und verursachen mehr Kosten für das Gesundheitssystem. Gesamtgesellschaftlich wird eine angstgetriebene Hoffnungslosigkeit erzeugt und die Konkurrenz bestimmt noch mehr den Alltag.

Immer mehr öffentliche und private Unternehmen ziehen sich weiter aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von regulären Arbeitsplätzen zurück. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass eine bewusst erzeugte Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte forciert wird: mit Hinweis auf die leeren Kassen wird eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz gefördert, notwendige Arbeiten durch Arbeitskräfte aus dem „Sozialen Arbeitsmarkt“ erledigen zu lassen.

Der Staat päppelt die Wohlfahrtsunternehmen auf, ohne sie groß zu kontrollieren

Der Staat zahlt den Wohlfahrtskonzernen jährlich zig-Milliarden für die Beratung, Betreuung und Beschäftigung von Menschen. Er prüft allerdings nicht, ob die Gelder auch dem Bedarf und den Richtlinien entsprechend, bestmöglich eingesetzt werden. Missbrauch und Betrug sind so Tür und Tor geöffnet.

Für systematische Prüfungen der Mittelverwendung fehlt den Gemeinden, Kreisen und Kommunen Geld und das entsprechende Personal. Den eigentlich zuständigen Landesrechnungshöfen, die im Auftrag der Kommunen solche Prüfungen bei sozialen Trägern durchführen könnten, fehlt die Legitimation dazu. Die Akteure der Unternehmen sind außerdem recht gut in der kommunalen Politik vernetzt.

Es kommt immer wieder zu Skandalen, die nicht durch die Aufsichtsinstitutionen und Kontrollgremien aufgedeckt werden, sondern die Sozialbehörden werden zum Teil nur „per Zufall“ auf die Unregelmäßigkeiten aufmerksam oder unter großer Gefahr durch die Beschäftigten in diesen Konzernen, Verbänden und Vereinen.

Es scheint für die Wohlfahrtsunternehmen angebracht, sich nicht als Sprachrohr der Opfer des Sozialabbaus zu versuchen, sondern nach Jemandem  Ausschau zu halten, der ihnen die Krokodilstränen trocknet.

 

 

 

 

 

Quellen: Stadt Dortmund, WAZ, AWO, Paritätische, Diakonie, Caritas, Report Mainz, Monitor, RN, K.P. Schwarz: Die Vermarktwirtschaftlichung sozialer Hilfebedarfe, Bundesarbeitsgericht

Bild: Flickr cco / Bearbeitung L.N.