„Pflegefegefeuer“…eine pflegepolitische Jahresendansprache zum Jahreswechsel 2019/2020

Von Marcus Jogerst-Ratzka auf dem CareSlam!7.

Für den umtriebigen Bundesminister für Gesundheit, Herrn Jens Spahn (CDU), beginnt die zweite Hälfte der aktuellen Legislaturperiode. Zeit, Bilanz zu ziehen und seine bisherige Tätigkeit im Hinblick auf die pflegerische Versorgung zu bewerten.

Insgesamt wurden in der Amtszeit von Herrn Jens Spahn bisher 20 Gesetzesinitiativen erarbeitet.

Viel Lärm um Nichts?

Bundesgesundheitsminister Spahn startete mit dem Anspruch, die Situation der Pflegekräfte spürbar zu verbessern und die pflegerische Versorgung der Bevölkerung im Hinblick auf die Entwicklung in den nächsten Jahre besser aufzustellen.

Wenn man sich die Situation der Pflegekräfte aktuell anschaut, so kann man zumindest mit Stand heute klar sagen, dass bei den Pflegekräften von der versprochenen Entlastung nichts angekommen ist. Weder in den Kliniken, noch in den Bereichen der ambulanten und stationären Langzeitpflege hat sich die Situation entspannt. Sie hat sich in vielen Bereichen eher weiter zugespitzt.

Woran liegt das? Wie kann man die einzelnen Maßnahmen einsortieren? Brauchen wir einfach mehr Zeit? Was sind die entscheidenden Hebel, an denen angesetzt werden kann?

Das Pflegepersonalstärkungsgesetz:

Dass dieses Gesetz ohne große Wirkung bleiben wird, sagten selbst positiv eingestellte Branchenkenner voraus. Es war von vorne herein klar, dass es mit der Schaffung neuer Stellen nicht getan sein wird. So klang die Idee eigentlich von Anfang an wie Hohn: Wir helfen Euch, in dem wir noch mehr Stellen schaffen – die dann doch nicht zu besetzen sind.

Denn nach wie vor bleibt die Frage unbeantwortet, woher die neuen Kolleginnen und Kollegen denn kommen sollen?

Gleiches gilt für die Mindestbesetzungen in den sogenannten „pflegesensitiven“ Bereichen in den Kliniken.

Es war doch absolut absehbar, dass man in den Kliniken versuchen wird, diese Bereiche als erstes mit Personal aufrechtzuerhalten und es somit zu Verschiebungen kommen wird. Wie man einer Pflegefachkraft auf einer onkologischen Station erklären will, dass sie leider nicht zu den „pflegesensitiven“ Bereichen gehört und sie deshalb leider keine „Untergrenze“ schützt, kann wirklich niemand verstehen.

Selbst dieser wirklich nicht ausreichende Mindeststandard kann aber nicht eingehalten werden, weshalb es jetzt „Landauf-Landab“ (ver.di Wortwitz) zu Bettensperrungen kommt. Dies zeugt von der Überforderung und der Unkenntnis pflegerischer Realitäten, wie sie im politischen Berlin leider nicht nur im Ministerium herrschen, sondern wie sie quer durch die meisten Fraktionen und bei den zuständigen Verbänden zu finden sind.

Da erscheint die Suche nach Pflegefachkräften im Ausland als eine Möglichkeit, die auf den ersten Blick gut erscheint.

Doch auch hier wurde das Kernproblem bei der Gewinnung von Pflegefachkräften nicht angegangen, was dazu führt, dass die gewonnenen Pflegefachkräfte nicht auf Dauer erhalten bleiben. Die Arbeitssituation und die Bezahlung der Pflegefachkräfte sind in Deutschland einfach zu unattraktiv. Eine Pflegefachkraft, die flexibel genug ist, ihre Heimat zu verlassen, ist hier in Deutschland nicht gebunden und kann sich Länder aussuchen, in denen Aufgaben und Bezahlung eher der Ausbildung entsprechen, attraktiv sind und wo die Work-Life Balance in besserem Einklang steht. Da verwundert es auch nicht, dass die Bilanz von Zu- und Abwanderung in Deutschland über viele Jahre immer eine negative war und es vermutlich bis heute ist. Das bedeutet, selbst deutsche Pflegefachkräfte, denen man zumindest eine gewisse Heimatbindung unterstellen könnte, zogen einen Umzug ins Ausland vor. Es wanderten also jährlich mehr Pflegefachkräfte ab als zu! Dass diese Zahlen nicht veröffentlicht werden und es angesichts der Gefährdung von großen Teilen der Bevölkerung nicht zu einem Aufschrei kommt, kann man nicht verstehen.

Das passiert in den grenznahen Regionen relativ unspektakulär, weil auch alle uns umgebenden Länder gerne Pflegefachkräfte anwerben und dort zumindest am südlichen, westlichen und nördlichen Rand unserer Republik Länder liegen, in denen bessere Arbeitsbedingungen vorherrschen.

Als wäre die Situation nicht schon schwierig genug, legte sich das Bundesgesundheitsministerium nun noch selbst Minen in den Weg, die eine Entlastung von Pflegepersonal konterkarieren. Dazu zählt zum Beispiel das

„Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“!

Wir alle wären ja gerne bereit, uns weiterzuentwickeln und wollen auch alle evidenzbasiert pflegen. Allerdings scheint allen daran Beteiligten eine elementare Grundlage jeder Qualitätssicherungsbemühung abhandengekommen zu sein.

Qualitätssicherung beginnt mit der notwendigen Ressourcenbereitstellung!

Wir sind nun in der stationären Langzeitpflege in der grotesken Situation, dass wir Stellen schaffen, die nicht besetzt werden können und gleichzeitig schon wieder großzügig Fachkraftstunden aus der Versorgung in die Bürokratie abziehen. Wer hier ein gutes und durchdachtes Konzept zur Entlastung von Pflegefachkräften sieht, der muss – mit Verlaub – Tomaten auf den Augen haben.

Damit betreten wir keine neuen, sondern ausgetretene Pfade. Bereits seit dem Jahr 2001 schrauben wir in regelmäßigen Abständen die Ansprüche an die pflegerische Leistung nach oben! Zeitgleich wissen wir seit diesem Zeitpunkt, dass wir schon für die damaligen Anforderungen 20% zu wenig Personal in der Langzeitpflege hatten. Die damalige Bundesgesundheitsministerin Frau Ulla Schmidt hat reichliche Klimmzüge unternommen, um ein Argument zu finden, die international anerkannte Personalbemessung nach PLAISIR zu verhindern. Wir wissen heute, dass wir im Vergleich zu besser aufgestellten Ländern in unserer Umgebung mindestens zweistellige Milliardenbeträge alleine für die Langzeitpflege zusätzlich aufwenden müssten, um auf ein vergleichbares Niveau zu kommen (dazu gibt es eine Reihe von Untersuchungen, etwa von Herrn Prof. Stefan Sell oder Frau Dr. Cornelia Heintze).

Kaum tritt die neue Qualitätsprüfungsrichtlinie für die stationäre Langzeitpflege in Kraft (nein nicht etwa zuvor!), meldet sich dann Frau Bienstein, Präsidentin des DBfK, zu Wort und lobt die neue Qualitätsprüfungsrichtlinie über den grünen Klee. Eher am Rande bittet (!) sie dann darum, dass doch der bürokratische Aufwand für die Pflegefachkräfte nicht steigen solle. Das Kind liegt im Brunnen, ersäuft und Frau Bienstein hält dazu die Grabesrede! So sieht die Vertretung von überlasteten Pflegefachkräften wohl eher nicht aus! Diese verspätete Grabesrede sollte einen aber nicht verwundern. Frau Bienstein wollte sich wohl im Vorfeld nicht für eine Aussetzung einsetzen, weil man damit den vom DBfK gerne verhätschelten Forschern Steine in den Weg legen würde. Eine Krähe hackt der anderen keine Auge aus.

Wenigstens die „Marketingmaschine“ läuft gut. Die wenigen kritischen Pressestimmen gingen eher unter. Der Bevölkerung wurde wie so oft Sand in die Augen gestreut. Die Umsetzung kostet Unsummen an Geld, ist aber auf jeden Fall billiger, als eine vernünftige Refinanzierung der Pflegeleistung durchzusetzen.

Die nächste Mine steht kurz vor der Explosion:

Das neue Pflegeberufegesetz!

Hier hat man versucht, sich tatsächlich an den Ausbildungsformen in anderen Ländern zu orientieren. Das ist richtig! Nur leider stellt man bei einer ehrlichen Betrachtung der Realität sofort fest, dass wir wohl mit sinkenden Ausbildungszahlen zu rechnen haben und dass, obwohl jede zusätzliche Pflegefachkraft dringend gebraucht wird. Schaut man nach den Ursachen, so wird man schnell fündig. In einem kommunalen Krankenhaus im Südwesten ist in diesem Jahr die Hälfte eines Examenskurses Gesundheits- und Krankenpflege durch die Prüfung gerasselt. Das liegt nicht nur an der mangelhaften Ausbildungssituation (die haben wir schon seit Jahrzehnten) sondern auch daran, dass wir nicht mehr die Menschen ansprechen, die wir eigentlich bräuchten.

Im Bereich der Altenpflegeausbildung hatten wir in den letzten Jahren Rekordzahlen an Auszubildenden und an Abschlüssen. Jeder Praktiker weiß, dass man sich auch hier durchaus eine Steigerung der Qualität wünschen würde, aber auch hier bleibt aktuell nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Wir haben also aktuell eine Fachkraftausbildung mit hohen Ausbildungszahlen, die wir gerade abschaffen und einen etwas kränkelnden Ausbildungsgang (die Gesundheits- und Krankenpflege), bei dem Ausbildungsplätze noch schlechter besetzt werden können und werfen nun beide zusammen. Das ist im internationalen Vergleich richtig, allerdings bei dem vorhandenen Bewerberpotenzial, in Verbindung mit den immer noch schlechten Rahmenbedingungen von Pflegefachkräften auch sehr mutig oder ohne flankierende Maßnahmen, wie eine deutliche Erhöhung des Lohnniveaus, einfach falsch.

Bisher rettete sich die Pflege nämlich mit den relativ hohen Ausbildungszahlen in der Altenpflege vor einem noch schlimmeren Niedergang, dessen Hauptursache in der geringen Verweildauer im Beruf begründet ist. Dieser wiederum hat zwei Hauptursachen, nämlich die schlechte Bezahlung verbunden mit der hohen Arbeitsbelastung.

Wir haben inzwischen Zahlen vorliegen, wonach sich mindestens 30% der Pflegefachkräfte in den nächsten 10 Jahren in den Ruhestand verabschieden. Dazu einen jährlich steigenden Bedarf an Pflegefachkräften, der in der Altersentwicklung der Bevölkerung begründet ist.

Unser Berufsverband sucht weiter das Heil in einer Akademisierung der Pflege. Auch das wäre ein richtiger Schritt. Allerdings bleibt auch hier die Frage, wer will nach einem Studium die Arbeit für 2.800 Euro brutto Einstiegsgehalt im Tarifbereich des TVÖD aufnehmen, unbeantwortet. Machen wir uns nichts vor!  Die Pflegeakademiker (laut der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ sind es 0,6%) scheuen die praktische Arbeit wie der Teufel das Weihwasser. Das kann man gut verstehen. Sie würden nämlich noch mehr zerrissen, wenn sie sich nach einem fundierten Care-Studium in unserer pflegerischen Versorgungsrealität wiederfinden würden. Deshalb findet ein mangelnder Austausch zwischen Akademikern und Praktikern statt. Die Akademiker arbeiten in einer künstlich am Leben gehaltenen Forschungsblase, in der sie, wenn sie nicht zu sehr aufmucken, auch mal ein Forschungsprojekt erhalten. Was dann mit viel Glück Eingang in den Praxistransfer findet, dann aber nicht (oder nur zum Schein) umgesetzt werden kann, weil ja zu wenig Personal vorhanden ist.

Diese Forschungsblase wirft in regelmäßigen Abständen Empfehlungen aus, die die Realität noch unerträglicher machen.

Die Zahlen zu den fehlenden Milliardenbeträgen im deutschen Langzeitpflegesystem, die wenig überraschende Erkenntnis einer Untersuchung, die von Herrn Professor Dr. Rothgang durchgeführt wurde, wonach in deutschen Langzeitpflegeeinrichtungen heute bereits 30% Personal fehlen, um die geforderten Leistungen zu erbringen, ist nicht von Pflegeakademikern erarbeitet worden.

„Ein Loch ist im Eimer…“

Nun scheint auch beim Bundesgesundheitsminister allmählich Panik aufzukommen. Leider lenkt er die Kraft daraus in die falsche Richtung. Fast kommt einem Herr Jens Spahn vor wie der berüchtigte Heinrich aus dem Volkslied „Ein Loch ist im Eimer“.

Das neue „Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz“, das jetzt „Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz“ heißt!

Auf der Suche nach abhanden gekommenen Pflegefachkräften versucht man nun also „Löcher“ zu verschließen.

Ein Beispiel ist hierbei das Reha-und Intensivpflegestärkungsgesetz.

Hier wird nun ein Bereich reguliert, der in den letzten Jahren viele Pflegefachkräfte absorbiert hat, die aus ihrem täglichen Wahnsinn in die 1:1 Versorgung gewechselt sind.

Natürlich kann man offiziell nicht laut sagen, dass man diese Pflegefachkräfte so händeringend braucht, dass man am Recht der Selbstbestimmung von Langzeitbeatmeten sägt, aber dass dieses Gesetz zu diesem Zeitpunkt kommt, ist schon sehr verdächtig.

Gerade jetzt wo Intensivbetten geschlossen bleiben müssen und intensivpflichtige oder onkologisch erkrankte Kinder keine Versorgung finden, geht man an dieses Thema ran.

Man argumentiert mit zweifelsohne vorhandenen Qualitätsproblemen, bei denen aber geflissentlich verschwiegen wird, dass die Mehrzahl der Anbieter (noch) eine ordentliche Arbeit abliefert oder mit der mangelnden Entwöhnung von der Beatmung ohne zu erkennen, dass auch hier der Fehler im System liegt, nämlich bei der Refinanzierung.

Honorar- und Leasingkräfte

Bei einem weiteren Loch spielte Herr Jens Spahn die aktuelle Rechtsprechung in die Karten. Ein weiterer Teil der genervten Pflegefachkräfte floh nämlich seit Jahren in die Selbstständigkeit und bot ihre Dienste Pflegeinrichtungen oder Kliniken an, die aufgrund des leergefegten Arbeitsmarktes auch zugriffen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Durch dieses Modell erhielten diese Pflegefachkräfte eine gute Bezahlung und einen selbst wählbaren Dienstplan. Da kam das Urteil des Bundessozialgerichts gerade recht. Mit diesem stellte das Gericht fest, dass Pflegefachkräfte, die als Honorarkräfte in Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden, nicht selbstständig sind und somit der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Mit diesem Urteil wurde die Beschäftigung solcher Honorarkräfte für Kliniken und Langezeitpflegebetreiber unattraktiv, weil die ohnehin hohen Kosten noch mehr explodieren würden.

Folgerichtig wird nun hoffentlich auch der Einsatz von Leasingkräften reguliert. Diese sind im Gegensatz zu Honorarkräften bei einem Leiharbeitsunternehmen angestellt. Es wäre wirklich absurd, diese Tür im Kontext der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes offen zu lassen. In diesem Beschäftigungsverhältnis profitiert das Leiharbeitsunternehmen von den hohen Stundensätzen und schädigt somit die Solidargemeinschaft, ohne eine große Verantwortung zu tragen. Die praktische Verantwortung liegt ohnehin bei der Pflegefachkraft. Für die Bewohner, Patienten und die zugehörige Infrastruktur trägt das Leasingunternehmen keine Verantwortung. Leicht verdientes Geld also.

Zu ver.di

…fällt einem nur noch ein Spruch des Universitätsdozenten Dr. Anno Anzenbacher ein, der sagte: „Manchmal scheint die Gewerkschaft der beste Garant des Kapitalismus zu sein“.

Frau Sylvia Bühler, die Leiterin des zuständigen Referates bei ver.di verkündet vollmundig, man wolle mit 2.800 Brutto Forderung in den Branchentarifvertrag Pflege einsteigen. Das ist ungefähr der Betrag, der aktuell im TVÖD als Einstiegsgehalt gezahlt wird und bisher völlig unwirksam ist, quantitativ oder qualitativ Wirkung zu erzeugen. Weder die Arbeitgeber noch die Politik geraten hierbei in Angst. Die „Maximalforderung“, die niemals so durchkommen wird, ist nicht nur lächerlich, sie ist eine Unverschämtheit. Sie ist sozusagen ein weiteres Häufchen Erde auf dem Sarg Pflege, der bereits ins Grab einfährt. Wer diese Gewerkschaftsarbeit durchschaut, braucht sich auch nicht zu wundern, dass die Pflegekräfte in diesem Land händeringend nach einer Alternative zu ver.di suchen! Sie werden sie irgendwann auch finden.

Ob das Abdichten der Löcher möglich sein wird und ob damit abhanden gekommene Pflegefachkräfte wieder ins reguläre System wechseln, bleibt abzuwarten. Die Prognose ist: Herr Jens Spahn wird feststellen, dass das Stroh zu lang, das Messer zu stumpf und der Schleifstein zu trocken ist, und er wird sich, ähnlich wie Heinrich, am Ende immer noch mit einem Loch im Eimer vorfinden.

Was hilft?

Die Pflegekräfte in diesem Land haben genug Reformen über sich ergehen lassen, ohne dass es zu einer Verbesserung der Situation kam. Die sprichwörtliche „Schnauze voll“ haben sie schon lange und auch zurecht. Das Hauptthema, dass leider immer noch nicht befriedigend gelöst ist und in diesem Drama der Dreh- und Angelpunkt ist, ist die Bezahlung.

Das Berufsbild der Pflege ist eigentlich kein unattraktives. Dass sich dieses Land aber mit einer seit Jahrzehnten mangelhaften Pflegepolitik in die jetzt vorherrschende Lage gebracht hat, dass eine Pflegefachkraft die Wahl hat, ihre eigene Gesundheit auf Spiel zu setzen oder aus dem Beruf auszusteigen, kann nicht mit einem weiteren Reformreigen befriedigt werden. Jetzt angebracht ist eine Konsolidierung der Personalsituation. Das bedeutet eine deutlich höhere Entlohnung. Hier geht es nicht um 200 Euro im Monat. Wer ernsthaftes Interesse daran hat, dass die Situation nicht weiter eskaliert, muss mit wirklich attraktiven Entlohnungsmodellen aufwarten. Das kann einerseits ein Einstiegsgehalt von rund 4.000 Euro sein, andererseits könnten auch die Landkreise und Kommunen Vergünstigungen für Pflegefachkräfte anbieten. Zuschüsse zu Kinderbetreuungskosten, Nahverkehr, Freizeitangeboten sind weitere Ideen, wo sich die Kommunen für ihre Pflegefachkräfte einsetzen könnten. Auf keinen Fall kann es bei einer Entlohnung im aktuellen Tarifgefüge bleiben und auch ein Pflegefachkraftmindestlohn von 2.400 Euro brutto, wie von Herrn Jens Spahn vorgeschlagen, ist nicht mehr als eine Beleidigung des Berufes! Hier geht mein dringender Appell nochmals an ver.di. Bei der nächsten Tarifverhandlung ist jede Entwicklung unterhalb von 4.000 Euro Einstiegsgehalt für Pflegefachkräfte rundum abzulehnen.

Eine Konsolidierung bedeutet aber auch, dass die Politik endlich damit aufhört, jedem neuen Betreuungsmodell für Pflegebedürftige hinterherzulaufen wie der Teufel der armen Seele. Kein noch so tolles Modell wird die Situation, in der wir jetzt stecken, auflösen können.

Wir brauchen dringender als alles andere Ruhe in den pflegerischen Einrichtungen und Kliniken in diesem Land.
Selbstbestimmung im Beruf! Wir sind die Pflege!

Die Einrichtung von Pflegekammern bleibt bisher ohne Wirkung auf die Praxis. Das ist im oben dargestellten Kontext auch absolut nachvollziehbar. Wo keine Ressource mehr ist, kann nichts gewonnen werden, auch keine Selbstbestimmung. Wirkliche Selbstbestimmung geht aber weit über die Einrichtung von Pflegekammern hinaus. Wir brauchen keine Berufsfremden mehr, die uns Pflegebedarfspläne mehr schlecht als recht erstellen. Wir brauchen keine Ärzte, die uns pflegerische Leistungen verordnen müssen und Sachbearbeiter, bei den Krankenkassen, die uns diese dann wieder ablehnen. Wir können sehr gut selbst entscheiden, welche pflegerischen Bedarfe wir bedienen müssen und welche nicht. Wir brauchen auch keine neuen Beratungsstellen, die dann mit Verwaltungsmitarbeitern besetzt werden, die PFLEGEberatung anbieten. Wer Selbstbestimmung meint, darf keinesfalls bei der Einrichtung von Pflegekammern aufhören. Diese können erst der Anfang sein. Ernstgemeinte Wertschätzung von Pflege muss in den verantwortlichen Ministerien die erste Pflicht werden. Das gelingt einerseits mit Respekt vor Wissen und Können, andererseits mit Geld! Wessen Wertschätzung sich in Sonntagsreden erschöpft, muss aus der Funktion getrieben werden. Selbstbestimmung setzt Selbstbewusstsein voraus! An dieser Stelle geht mein dringender Appell an die Verantwortlichen in den Berufsverbänden. Mit ihrer zurückhaltenden und ständig weichgespülten Rhetorik tragen diese Mitschuld an der jetzigen Situation. Wir brauchen keine Schoßhündchen, wir brauchen Menschen, die sich an den Verantwortlichen festbeißen. Die bereit sind, auch die eigene Position in das Feld zu werfen, wenn es nicht im Sinne der Entlastung vorangeht. Verlegt endlich die Unruhe aus den Einrichtungen an die Verhandlungstische, da gehört sie hin, dort kann sie wirken. Alles darf nur noch im Kontext „Belastung vermeiden und Entlohnung steigern“ entschieden werden. Man stelle sich die Wirkung vor, man würde sich von allen Tischen zurückziehen und ganz klar formulieren, dass die Politik sich in einer Sackgasse befindet. Man muss Verhandlungen verlassen, wenn es kein akzeptables Ergebnis gibt. Das muss man publik machen. Wer überall mitmacht, der trägt überall Mitverantwortung und in diesem Fall nur für das Scheitern.

Wenn wir dann in absehbarer Zukunft eine Situation haben, in der die Pflege wieder Luft holen kann, dann unterhalten wir uns gerne über Weiterentwicklungen, neue Standards oder Qualitätssicherung.

Dann könnte Herr Jens Spahn vielleicht zum Ende dieser Legislaturperiode wenigstens mit einem wirklichen Novum im Amt aufwarten. Er war der erste Bundesgesundheitsminister der letzten 30 Jahre unter dem es für Pflegefachkräfte nicht noch schwerer wurde!

Wünschen wir Herrn Spahn diesen Erfolg!

Marcus Jogerst-Ratzka, Krankenpfleger und Geschäftführer

 

 

Quelle, Bild und weitere Infos:  www.careslam.org

CareSlam wurde 2016 prozessorientiert von der examinierten Krankenschwester Yvonne Falckner ins Leben gerufen und soll Pflegenden mit Mitteln aus verschiedenen ästhetischen Stilrichtungen, die Möglichkeit bieten, der Pflege eine Stimme zu geben. CareSlam regt auf spielerische Art und Weise Reflexions- und Empowermentprozesse an.