DGB-Jugend – Ausbildungsreport 2020: Ausbildungsqualität muss auch in Corona-Zeiten stimmen

Fast ein Viertel der Auszubildenden kann sich nach der Ausbildung nicht richtig erholen. Betriebe und Berufsschulen sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln oft nur schwer erreichbar. Viele Azubis sind mit der Qualität der Berufsschulen unzufrieden. Das sind einige der Mängel, die der neue Ausbildungsreport der DGB-Jugend offenlegt, der Ende August in Berlin vorgestellt wurde.

„Unter den aktuellen Bedingungen ist der Arbeitsschutz der Azubis besonders wichtig. Die Betriebe sind verpflichtet, ihre Auszubildenden zu schützen und über Hygiene-Standards sowie die  betriebliche Hygiene-Konzepte aufzuklären“, sagte DGB-Jugendsekretärin Manuela Conte. Und weil die Ausbildung an den Berufsschulen stark in die digitale Sphäre verschoben wurde: „Auch für den Digitalunterricht der Berufsschulen müssen die Arbeitgeber ihren Auszubildenden eine Freistellung erteilen. Die Ausbildungsqualität muss auch in Corona-Zeiten stimmen.“ Auch wenn es vielfach Kurzarbeit gebe, müssen den Auszubildenden die Lerninhalte auch im Betrieb vermittelt werden. „Dafür haben die Betriebe zu sorgen“, betonte die Bundesjugendsekretärin.

Angesichts der angespannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt forderte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack die Unternehmen auf, stärker in die Ausbildung zu investieren. „Wer ausbildet, gewinnt damit auch Fachkräfte. Ich kann die Unternehmen nur warnen, jetzt bei der Ausbildung zu sparen“, sagte Hannack. Die Bundesregierung habe mit dem Ausbau der ausbildungsbegleitenden Hilfen, der Assistierten Ausbildung und den Förderprogrammen für Ausbildung in der Corona-Krise umfassende Hilfen für die Betriebe bereitgestellt. „Jetzt sind die Arbeitgeber und Betriebe am Zug“, betonte Hannack und forderte die Arbeitgeber auf, verstärkt Jugendlichen mit Hauptschulabschluss eine Chance zu geben. „Gerade Jugendliche, die höchstens einen Hauptschulabschluss haben, schaffen oft den Sprung von der Schule in die Ausbildung nicht – und das trotz einer wachsenden Zahl an unbesetzten Ausbildungsplätzen. Dieser Trend droht sich mit der Pandemie noch zu verschärfen. Das Nebeneinander von Fachkräftemangel und hoher Ausbildungslosigkeit ist Gift für unsere Gesellschaft. Wir brauchen endlich eine gesetzliche Ausbildungsgarantie. Jeder Jugendliche muss ein Angebot auf einen Ausbildungsplatz oder eine überbetriebliche Ausbildung erhalten.“

Schon vor Corona haben viele Auszubildende die hohe Arbeitsbelastung während ihrer Ausbildung beklagt. Laut DGB-Ausbildungsreport gaben insgesamt 24,7 Prozent der Befragten an, sich nach der Ausbildung nicht richtig erholen zu können. Ausbildungsfremde Tätigkeiten, wie Toiletten putzen, Gläser spülen und tagelange Renovierungsarbeiten im Betrieb, mussten mehr als 12 Prozent der Befragten „immer“ oder „häufig“ erledigen. Mehr als 34 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Betrieb ihnen keinen Ausbildungsplan vorgelegt hätte, obwohl dieser gesetzlich vorgeschrieben ist. „Eine Ausbildung ist und bleibt ein Lernverhältnis. Azubis dürfen nicht als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden“, sagt dazu Manuela Conte.

Große Probleme gibt es nach wie vor bei der Ausbildungsqualität in der Berufsschule. Über 43 Prozent der Auszubildenden finden die fachliche Qualität des Berufsschulunterrichts nur befriedigend bis mangelhaft. „Niemand hat Lust auf Unterricht in maroden und kaputten Gebäuden. Die Berufsschulen brauchen dringend mehr Geld. Es fehlen Lehrkräfte, es fehlt technische Ausstattung, die Bausubstanz ist teilweise marode. Die Corona-Krise hat dazu den digitalen Nachholbedarf an vielen Berufsschulen deutlich gemacht“, sagt Conte.

Fast 40 Prozent der Auszubildenden wissen im letzten Ausbildungsjahr noch immer nicht, ob sie von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen werden. Selbst wenn es eine Übernahmezusage gibt, werden knapp 30 Prozent dieser Azubis nur zeitlich befristet – meist bis zu einem Jahr – eingestellt. „Wer eine Ausbildung macht, braucht auch eine Perspektive für die Zeit danach. Wir wollen die unbefristete Übernahme“, sagt Manuela Conte.

Gerade in der dualen Ausbildung sind junge Menschen darauf angewiesen, die Lernorte Berufsschule, Hochschule und Betrieb gut und kostengünstig zu erreichen. Doch mit öffentlichen Verkehrsmitteln können 35 Prozent der befragten Auszubildenden nur schlecht ihren Betrieb und fast 20 Prozent kaum die Berufsschule erreichen. „Der Personennahverkehr muss gerade in ländlichen Regionen massiv ausgebaut werden. Zudem brauchen wir ein kostengünstiges Azubi-Ticket in allen Bundesländern.“ Dies würde nicht nur die duale Ausbildung attraktiver machen, sondern auch die Mobilität der Auszubildenden fördern.

Die meisten Auszubildenden wohnen noch zu Hause (72 Prozent). Dabei möchten zwei Drittel der Befragten gern in einer eigenen Wohnung leben, können sich dies aber wegen der hohen Mieten und der oft zu geringen Ausbildungsvergütung nicht leisten. „Wir fordern bezahlbare und attraktive Wohnheime, die flächendeckend als öffentlich geförderte Azubi-Apartments eingerichtet werden“, sagt Manuela Conte.

Zwar sind insgesamt knapp über 70 Prozent der Auszubildenden (71,3 %) mit ihrer Ausbildung zufrieden, jedoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen: IndustriemechanikerInnen, Verwaltungsfachangestellte, MechatronikerInnen, ElektronikerInnen und Bankkaufleute sind über Durchschnitt zufrieden. Berufe aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der Zahnmedizin, dem Einzelhandel und Teilen des Handwerks bewerten ihre Betriebe dagegen mangelhaft. „Es bleibt abzuwarten, wie sich dies mit diesem Jahr verändert. Da wo es schon vorher schlecht lief, wird es in der Krise kaum besser werden.“, sagt Manuela Conte.

Die repräsentative Befragung wurde von August 2019 bis März 2020 durchgeführt. Insgesamt 13.347 Auszubildende aus den 25 am häufigsten gewählten Ausbildungsberufen (Bundesinstitut für Berufsbildung) haben sich beteiligt.

 

Ausbildungsreport 2020 – Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
  • Zufriedenheit: Insgesamt waren 71,3 Prozent der befragten Auszubildenden mit ihrer Ausbildung „(sehr) zufrieden“. Diese Zahl darf aber nicht über die massiven Probleme in der dualen Berufsausbildung hinwegtäuschen.
  • Perspektive: Fast 40 Prozent (39,1 %) der Auszubildenden wissen selbst im letzten Ausbildungsjahr noch immer nicht, ob sie von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen werden. Von den Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr, die bereits wussten, dass sie nicht übernommen werden, hatten lediglich 14,4 Prozent eine Zusage für eine Weiterbeschäftigung in einem anderen Betrieb. Die Chancen auf eine Übernahme hängen stark vom jeweiligen Ausbildungsberuf ab. Ungeachtet des Ausbildungsjahres konnten sich der Übernahme sicher sein: 71,7 Prozent der Verwaltungsfachangestellten, 61,3 Prozent der Mechatroniker_innen, aber nur knapp ein Fünftel der Friseure_innen (20,2 Prozent), 24,5 Prozent der Verkäufer_innen und 26,1 Prozent unter den Hotelfachleuten.
  • Befristung: Auszubildende mit Übernahmezusage werden zu knapp 30 Prozent nur zeitlich befristet eingestellt, zumeist bis höchstens ein Jahr.
  • Jugendarbeitsschutz: Obwohl es Auszubildenden unter 18 Jahren verboten ist, mehr als 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, muss dies jeder zehnte Jugendliche (10,4 Prozent) in dem Alter trotzdem tun.
  • Belastung: Knapp ein Viertel der Auszubildenden (24,7 %) kann sich nach der Ausbildung nicht mehr richtig erholen. Eine Berufsausbildung darf aber nicht zu Überlastungssymptomen führen, die krank machen können.
  • Betrieblicher Ausbildungsplan: Mehr als ein Drittel der Auszubildenden (34,4 %) hat keinen betrieblichen Ausbildungsplan obwohl dieser gesetzlich vorgeschrieben ist. Somit wissen diese Auszubildenden nicht, wie ihre Ausbildung ablaufen soll und was die Lerninhalte sind.
  • Ausbildungsfremde Tätigkeiten: Jede_r achte Befragte (12,1 %) muss „immer“ oder „häufig“ ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen, die nicht Bestandteil der Ausbildung sind und nicht dem Lernerfolg dienen. Solche Tätigkeiten sind nach § 14 Berufsbildungsgesetz verboten.
  • Weiterempfehlen der Ausbildung: Fast jede_r sechste Auszubildende (16,2 %) würde die Ausbildung in ihrem_seinen Ausbildungsbetrieb nicht weiterempfehlen. Auffällig ist, dass die Begeisterung vieler Auszubildender im Laufe der Ausbildung abnimmt. Während im ersten Ausbildungsjahr noch fast 71 Prozent (70,6 %) ihre Ausbildung weiterempfehlen würden, sind es im letzten Ausbildungsjahr nur knapp über die Hälfte (51,9 %).
  • Qualität in der Berufsschule: Nur etwas mehr als die Hälfte der Auszubildenden (56,6 %) findet, dass die fachliche Qualität des Berufsschulunterrichts „sehr gut“ oder „gut“ ist.
  • Ausbildungsvergütung: 836 Euro beträgt die durchschnittliche Vergütung der befragten Auszubildenden über alle Ausbildungsjahre, Berufe und das Geschlecht hinweg. Sie liegt damit mehr als 100 EUR unter dem Durchschnitt der tariflichen Ausbildungsvergütungen von 941 Euro.
  • Finanzielle Situation: Fast 60 Prozent der Auszubildenden (57,1 %) können „weniger gut“ oder „gar nicht“ selbstständig von ihrer Vergütung leben. Knapp die Hälfte der Auszubildenden (49,1 Prozent) erhält zusätzliche finanzielle Unterstützung.
  • Wohnsituation: Zwei Drittel der Befragten (65,4 Prozent) äußern den Wunsch, in einer eigenen Wohnung zu leben wollen. Nur knapp ein Viertel (26,6 Prozent) der Auszubildenden lebt in einer eigenen Wohnung.
  • Azubi-Ticket: Etwa drei Viertel der Befragten (74,1 Prozent) haben grundsätzliches Interesse an einem kostenlosen bzw. kostengünstigen Azubi-Ticket für den öffentlichen Personen- und Nahverkehr, wenn sie damit ihren Betrieb und ihre Berufsschule erreichen und in ihrer Freizeit unterwegs sein könnten.
  • Erreichbarkeit der Ausbildungsstätten mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Knapp über ein Drittel der Auszubildenden (34,6 Prozent) kann den Betrieb „weniger gut“ oder „gar nicht“ mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Für den Weg zur Berufsschulen trifft das auf fast jede_n Fünfte_n der befragten Auszubildenden (18,8 Prozent) zu.

 

Quelle: DGB-Jugend: Ausbildungsreport 2020

Bild: Flickr cco