Dortmunder Dschungelbuch: Durchblick bei Arbeitslosigkeit und Hilfen?

Da waren Mitte der 1970er Jahre die Akteure im Ausländerbereich in Dortmund ganz stolz, als sie im Ausländerbeirat der Stadt Dortmund das Ergebnis ihrer Arbeit vorstellten. Zum ersten Mal gab es einen Beratungsführer für die ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien, in dem sie die spärlichen Angebote für Eltern, Kinder und Jugendliche auflisteten, alles in den Sprachen der 6 Herkunftsländer.

Doch Lob gab es von den deutschen CDU- und SPD-Ausschussmitgliedern nicht. Eher äußerte man Erstaunen darüber, wie viel und was es nicht alles für die Gastarbeiter in der Stadt gibt, sogar mehr als für die eigenen Familien und versank wieder in den üblichen Sitzungsschlaf, um weiter von der hübschen Parzelle in der Kleingartenanlage zu träumen.

Die anwesenden ausländischen Betroffenen äußerten sich erst gar nicht, denn sie waren von den Wohlfahrtsverbänden in den Ausschuss nur delegiert und hatten kein Stimmrecht.

Nun, 40 Jahre später, hat das Arbeitslosenzentrum (ALZ) das „Dortmunder Dschungelbuch – Durchblick bei Arbeitslosigkeit und Hilfen“ herausgegeben. Es könnte eine ähnliche Wirkung wie damals haben, zumal es lediglich eine Auflistung von einzelnen Angeboten ist, schlecht recherchiert, teilweise mit falschen Angaben versehen und für die Ratsuchenden wahrlich ein unübersichtlicher Dschungel, der anstelle von Durchblick nur Verunsicherung bringt. Schon gar nicht sagt er etwas über die Qualität der Hilfen in Dortmund, die am besten die Betroffenen selbst beurteilen können.

Einige Urteile und Erfahrungen der Rat und Hilfe suchenden Menschen in Dortmund werden im Folgenden beispielhaft dargestellt.

Mittlerweile bezweifelt kaum jemand mehr die Tatsache, dass Menschen mit geringerem Einkommen durchweg auf politische Partizipation verzichten, weil sie die Erfahrung machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen immer weniger an ihnen orientiert und die politischen Entscheidungen zulasten der Armen getroffen werden.

Auch in Dortmund ist der Einfluss der armen Menschen auf die Politik kaum noch vorhanden und sie sind für die politischen Parteien als Wähler uninteressant geworden. Initiativen und Selbstorganisationen erwerbsloser und armer Leute wurden von den Kirchen, Verbänden und Parteien an der „ausgestreckten Hand verhungern gelassen“. Heute sind diese Menschen in der Kommune den Institutionen schutzlos ausgeliefert und müssen damit klarkommen, dass sie nicht mehr zu „nützlichen“ Mitgliedern der Stadtgesellschaft gezählt und völlig ausgegrenzt werden.

 

1. Allgemeine Auskunfts- und Beratungspflichten im Dschungel der Sozialleistungsträger

Viele ratsuchende Menschen in Dortmund wissen gar nicht, dass fast alle Sozialleistungsträger mit ihren Verbänden und Stellen sowie die Anbieter von sozialen Leistungen auch eine Auskunfts- und Beratungspflicht haben. Wenn ihr Anliegen schroff abgewiesen wird, fühlen sie sich noch mehr als Bittsteller und entwickelt eine ohnmächtige Wut oder resignieren ganz.

Die Auskunfts- und Beratungspflicht dient dazu, die Betroffenen auf ihre Rechte und Pflichten hinzuweisen, dabei sollen die Träger dem Gebot der Sachlichkeit Rechnung tragen und sachangemessen und zutreffend informieren. Die betroffenen Ratsuchenden müssen davon ausgehen können, dass die jeweiligen öffentlichen Stellen sie rechts- und sachkundig informieren und beraten und sie deren Ausführungen vertrauen können. Deshalb sind die jeweiligen Stellen verpflichtet, zutreffende Auskünfte zu geben und ausführlich zu beraten, ungeachtet eines ggf. anderen eigenen Standpunkts.

Die Auskunftspflicht bezieht sich insbesondere darauf, den für die Sozialleistung zuständigen Träger zu benennen sowie Sach- und Rechtsfragen im Einzelfall erschöpfend zu beantworten. Die Institutionen sind verpflichtet, über alle sozialen Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch Auskünfte zu erteilen, dabei müssen sie sogar untereinander zusammenzuarbeiten, um eine möglichst umfassende Auskunftserteilung durch eine Stelle sicherzustellen.

In der Praxis müssten diese Stellen von sich aus Vorgänge weiterleiten, als Lotse im System fungieren und den Rat- und Hilfesuchenden unterrichten, wo und von wem was derzeit bearbeitet wird und an wen die Vorgänge weitergegeben wurden.

Die zunehmende „Verbetriebwirtschaftlichung des Sozialen“ hat mit dazu beigetragen, dass bei den Stellen oftmals die Auskunft und der Rat in der Art gegeben werden, um die Menschen davon abzubringen ihre Sozialleistung zu beantragen und beim Sparen des Trägers mitzuhelfen.

Die Auskunfts- und Beratungspflicht gibt es praktisch gar nicht mehr. Die Rechte der Betroffenen werden verletzt, Unterlagen erreichen die Institutionen angeblich nicht und den Menschen wird mangelnde Mitwirkung unterstellt.

Berichte von Betroffenen:
  • Krankenkasse: Das Krankengeld wird häufig nicht ausgezahlt, da die Krankmeldung nicht bei den eingereichten Unterlagen dabei gewesen sein soll. Eine Frau ist deshalb über 3 Wochen ohne Einkommen. Alle Unterlagen einschließlich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) wurden in einem Umschlag bei der Krankenkasse persönlich eingereicht. Dabei hat sie gar nicht dafür Sorge zu tragen, dass die AU vorliegt, da die Frau bei diesem sozialrechtlichen Vorgang keine Beteiligte ist, sondern der Arzt, der die AU ausstellt, müsste sie der Krankenkasse beibringen, bzw. die Krankenkasse bei ihm anfordern. Erst nachdem der Arzt die AU zur Krankenkasse gefaxt hatte, konnte die Auszahlung erfolgen.
  • Wohngeldamt: Die Wohngeldberechtigten werden im Gespräch bewusst falsch darüber informiert, dass sie keinen Anspruch haben, weil sie z.B. Studierende sind oder berufstätige Menschen angeblich monatlich zu viel verdienen, obwohl die Einkommensberechnung für den Jahreszeitraum gilt. Der Antrag wird erst gar nicht angenommen und damit wird kein Verwaltungsvorgang begründet.
  • Wohnraumsicherung: Diese Stelle schickt vermehrt Rat- und Hilfesuchende weg, mit dem Hinweis, dass viele Angestellte krank und zu wenig Personal vorhanden sei. Der alleinerziehenden Mutter, der die Stromsperre droht, wird bedeutet, wenn sie die Energieschulden mit einem Darlehen der Stadt Dortmund bezahlen möchte, was ihr Recht ist, dann sollte man doch mal das Jugendamt über ihr „unwirtschaftliches“ Verhalten informieren. Einer „Mutter, die nicht haushalten könne, könne man auch die Kinder wegnehmen“. Die Frau verzichtete auf das Darlehen, sie lieh sich das Geld im Bekanntenkreis.
  • Jobcenter: Für Menschen, die Sozialgeld nach SGB II beziehen ist es normal geworden, dass ihre Unterlagen angeblich nicht beim Jobcenter vorliegen und sie wochenlang kein Einkommen haben, weil die Leistung nicht berechnet werden kann. Alle Beteuerungen und Zeugen helfen nicht, ihnen wird dazu unterstellt, dass sie nicht „mitwirken“, was zu Sanktionen d.h. weniger Geld führen kann. Obwohl die Bundesagentur im Juni 2018 „die Ausstellung von Eingangsbestätigungen“ befürwortet, wird diese wichtige Dokumentation im Verwaltungsverfahren nur in Ausnahmefällen und auf massive Beharrlichkeit ausgestellt. So musste der junge mittellose Mann persönlich zum Jobcenter fahren, um die Bearbeitung seines Antrags zu beschleunigen und nahm die öffentlichen Verkehrsmittel, wurde erwischt und anschließend mit einer saftigen Geldbuße überzogen.

  Die Hauptursache für eine Überschuldung ist der Verlust des Arbeitsplatzes, für jeden   fünften deutschen Schuldner war die Erwerbslosigkeit im vergangenen Jahr der     Grund für die finanzielle Notlage. Ist das Jobcenter oder die Bundesagentur (BA) aber  selbst Gläubiger, verhält man sich dort ganz anders. Nur in besonderen Härtefällen dürfen sie sich bei der Schuldenregulierung auf eine außergerichtliche Einigung einlassen. Damit ist bei allen verschuldeten, erwerbslosen Menschen, die auch bei der BA Schulden haben, ein Insolvenzverfahren vorprogrammiert, weil bei diesen außergerichtlichen Einigungen der Grundsatz gilt, dass alle Gläubiger mitmachen und auf einen Teil der Forderung verzichten. Die BA schickt damit die Menschen in die Insolvenz.

  • Kindertagesgebühren: Bei einer alleinerziehenden Frau hatten sich Kindertagesstättenbeiträge incl. Kosten und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 18.472,55 Euro angesammelt. Während des Erhebungszeitraums war die Frau zunächst im HARTZ -IV-Bezug und dann befand sie sich in einer Ausbildung mit einer Vergütung von 760 Euro netto. Dabei hätten die Kitafachkräfte die Frau darüber informieren müssen, dass sie einen Antrag auf Befreiung von den Beiträgen stellen kann und ihr bei der Antragstellung helfen können. Im Gegenteil, die Stadt Dortmund hat einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren gestellt und so die Frau in den „Konkurs“ getrieben.

2. Im Dschungel der öffentlichen und gemeinnützigen Institutionen

  • Stadt Dortmund: Bei der Eintreibung von rückständigen Gebühren oder im Rahmen der Amtshilfe wird sofort das gesamte Marterpaket ausgerollt – die Lohnpfändung, die Kontopfändung und die Vermögensauskunft werden verhängt, mit dem Eintrag in das Schuldnerverzeichnis – und das auch bei Forderungen von unter 100 Euro. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hat der Bürger ein massives Problem, egal ob er wegen geringem Einkommen, Schussellichkeit oder Protest die Gebühren nicht abgeführt hat, er kommt an sein Geld auf der Bank nicht mehr ran, riskiert seinen Arbeitsplatz durch die Lohnpfändung und seine Vermögenssituation kann beim Amtsgericht Hagen im Schuldnerverzeichnis eingesehen werden. So erging es auch einem Mann, der im Erhebungszeitraum mit seiner Partnerin und Hundehalterin zusammenlebte. Insgesamt fordert die Stadt 3.035,25 Euro Hundesteuer von ihm. Die „Steuersünder“ sind fassungslos, wenn sie zur Steuerzahlung herangezogen werden, obwohl ihnen der Hund in der Wohnung gar nicht gehört. Gemäß § 1 Abs. 2 Hundesteuersatzung sind alle im Haushalt lebenden volljährigen Personen Gesamtschuldner. Das bedeutet, dass jeder Gesamtschuldner für den gesamten Steueranspruch als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann. (Satzung zur zweiten Änderung der Hundesteuersatzung der Stadt Dortmund vom 08.10.2014)Der Mann ist heute mit einer anderen Frau verheiratet. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, hat die Stadt Dortmund den Mann mit einer Lohn- und Kontopfändung überzogen. Der Hund, für den er vor über 10 Jahren satzungsgemäß hätte Hundesteuern zahlen müssen, ist mittlerweile verstorben, über den Aufenthalt seiner damaligen Partnerin ist ihm nichts bekannt.

Seit einem Jahr ist die Stadt Dortmund dazu übergegangen, für zahlungsunfähige Menschen, gegen die sie eine Forderung hat, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Für die betroffenen Menschen bedeutet dies unglaublichen Stress und Verunsicherung, da das Insolvenzgericht sie dann auffordert, innerhalb von 4 Wochen einen eigenen Insolvenzantrag zu stellen, was aber bei der Unterbesetzung der anerkannten Beratungsstellen nicht möglich ist und die verzweifelten Leute sich an kommerzielle Berater wenden und sich zusätzlich verschulden.

Erst nach überregionalen Protesten gegen die Praxis der Stadt Dortmund, mit Bußgeldern gegen obdachlose Menschen vorzugehen, weil „das Nächtigen unter Brücken, auf Parkbänken oder vor Schaufensternischen eine Ordnungswidrigkeit darstellt“, wurde dieses Vorgehen eingestellt. Allein in vier Wochen im Herbst 2018 wurden in Dortmund Obdachlose insgesamt 50 Mal vom Ordnungsamt verwarnt oder angezeigt. Jeder Verwarnung folgte auch ein Knöllchen über 20 Euro. Wobei allen Beteiligten klar war, dass diese Menschen um ihr tägliches Brot kämpfen müssen und meist keine 20 Euro besitzen. Wenn nun die 20 Euro von den Obdachlosen nicht bezahlt wurden, dann folgte den 20 Euro ein zusätzliches Bußgeld von 28 Euro, d.h. dann waren 48 Euro fällig. Bei Nichtzahlung, bedrohte man die Menschen mit einer Haftstrafe.

Spar- und Bauverein eG: Einer Frau, alleinerziehend, Vollzeit arbeitend, im Insolvenzverfahren, die eine Wohnung suchte, teilte der Spar- und Bauverein eG mit: „Wie wir erfahren haben, wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Wir nehmen vorerst von einer Neuvermietung an Sie Abstand und werden ihnen während der Wohlverhaltensphase keine Wohnung vermitteln“.

  • Dortmunder Gesellschaft für Wohnen – vormals: Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH (DOGEWO): Ein junger Mann, vollzeitbeschäftigt im unbefristeten Arbeitsverhältnis durchläuft das 3. Jahr im Insolvenzverfahren. Die DOGEWO teilte ihm mit, dass keine Vertragsverhältnisse bei einem „Schufa-Eintrag“ eingegangen werden und ebenso wird bei durchlaufendem Insolvenzverfahren gehandelt.
  • Dortmunder Stadtwerke AG (DSW 21): Einem Familienvater, als Leiharbeiter vollzeitbeschäftigt und im Verbraucherinsolvenzverfahren, wurde von den DSW 21 mitgeteilt; „Die Bonitätsprüfung ihrer Daten ergab leider kein zufriedenstellendes Ergebnis, somit ist kein Vertragsabschluss möglich“. Es ging um den Abschluss eines Jahresabonnements für ein Ticket. Da die DSW21 in Dortmund das Monopol der Personenbeförderung besitzt, ist diese Vorgehensweise nicht rechtens.

Immer mehr Menschen sitzen im Gefängnis, weil sie eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. Sie wurden vom Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, die sie entweder nicht zahlen können oder manchmal auch nicht zahlen wollen. Das Delikt, das auch von der Stadttochter DSW 21 heftig geahndet wird, nennt man im Juristendeutsch „Erschleichen von Beförderungsleistungen“. Das Strafgesetzbuch sieht dafür eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor. Schnell wird mal 1.500 Euro fällig, egal über was für ein Einkommen verfügt wird, auch HARTZ IV-Bezieher müssen zahlen. Zahlen diese Menschen nicht, müssen sie je nach Höhe der Geldstrafe die Schuld tageweise „absitzen“.

  • Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21): Einer jungen Frau, getrennt lebend, 2 Kinder, alleinerziehend, geringfügig als Krankenschwester beschäftigt und ergänzend Hartz-IV bezieht, drohte die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21) mit der Einstellung der Energieversorgung (Stromsperre) in der jetzigen Wohnung, weil die Energieschulden aus der früheren Wohnung, die gemeinsam mit dem früheren Ehemann angemietet war, nicht gezahlt wurden.
  • Krankenkassen: Immer mehr Menschen sind gezwungen, als Solo-Selbständige zu arbeiten. Die Mehrheit von ihnen wählte nicht eine private Krankenversicherung (PKV), wie es im dualen Kassensystem vorgesehen ist, sondern favorisierte eine freiwillige Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)-Mitgliedschaft. Mittlerweile sind etwa 71 Prozent der Selbständigen in der GKV und rund 51 Prozent der Selbständigen in der Private Krankenversicherung (PKV) Solo-Selbständige.

Weil sich das durchschnittliche Einkommen eines Solo-Selbständigen kaum vom Durchschnittseinkommen der abhängig Beschäftigten unterscheidet, in vielen Fällen sogar niedriger ist, wenden Selbständige mit den niedrigsten Einkommen rund 46,5 Prozent ihrer Einkünfte für eine Versicherung auf, unter den geringverdienenden Selbständigen, die in der PKV versichert sind, liegt dieser Wert sogar bei 58 Prozent. Um überhaupt ihre Existenz abzusichern, sind sie auf eine flankierende Unterstützung, oft durch Familienmitglieder, angewiesen.

  • Sparkasse Dortmund: Die Sparkassenvorstände gehören zu den Topverdienern in Dortmund. Der Vorstandsvorsitzende der Stadttochter erhält jährlich 631.000 Euro und seine beiden Vorstandskollegen einmal 583.000 und 577.000 Euro. Die ärmeren Menschen in der Stadt haben seit einiger Zeit allerdings erhebliche Probleme mit dem städtischen öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut. Sie sind als Kunden nicht gern gesehen, bekommen nur schwerlich ein Konto und wenn sie ein Pfändungsschutzkonto ´(P-Konto) bei der Sparkasse eingerichtet haben, auf dem ihre Sozialleistungen vor Pfändungen geschützt sind, werden ihnen systematisch Steine in den Weg gelegt, wenn sie an ihr Geld möchten.

Als reine Schikane muss man das Verhalten der Angestellten dieser Institution, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, bezeichnen, wenn bis zu 2 Wochen die Auszahlung verweigert wird und die Menschen ohne Bargeld da stehen. Beschwerden werden erst gar nicht entgegengenommen, sondern die erbosten Kunden werden aus den Geschäftsräumen verwiesen. Schlimmer ist noch, dass Beschwerden lautstark vor dem Publikum gekontert werden und den enttäuschten Kunden der Rat gegeben wird, keine Schulden zu machen, dann würden sie auch an ihr Geld kommen oder besser zu wirtschaften, dann könnten sie auch mit dem Grundfreibeträgen des P-Kontos auskommen.

 

3. Im Dschungel der Arbeitsverwaltung

Den Teil des Arbeitsmarkts, in dem sich die Tage- und Stundenlöhner verdingen, nennt man in Dortmund u.a. den „Arbeiterstrich“ und meint damit diejenigen Menschen, die in der nördlichen Innenstadt an der Straße stehen und auf einen „Arbeitgeber“ warten, der sie für einen Appel und ein Ei einige Stunden für sich schuften lässt. Dabei wird leicht übersehen, dass der Personenkreis viel größer ist, als die bis zu hundert Menschen, die dort sichtbar sind.

Kaum jemand weiß, dass es regelrechte Kolonien, wie z.B. im Hafengebiet gibt, in denen vor allem Menschen aus den östlichen Nachbarländern als „illegale“ Menschen unter Plastikplanen hausen und auf dem Stundenlöhnermarkt immer weniger konkurrenzfähig sind, da sie für die harte Arbeit gesundheitlich gar nicht mehr in der Lage sind.

Die zunehmende Anzahl von obdachlosen Menschen ist ebenfalls auf diese Art der Beschäftigung angewiesen, vorausgesetzt, das Pfandflaschensammeln lässt ihnen noch Zeit dafür. Die anderen Flaschensammler müssen stundenweise für ein Trinkgeld arbeiten, weil sie mit dem Geld vom Jobcenter nicht auskommen können oder durch Sanktionen nur noch einen Teil vom Regelsatz erhalten.

Die Zersplitterung des Arbeitsmarktes ist für die nicht abhängig Beschäftigten kaum sicht- und vorstellbar. Sie nehmen vielleicht ein oder zwei Gruppen wahr und haben keinen Einblick in die unteren Beschäftigtengruppen. Sie scheinen gar nicht mitbekommen zu haben, dass:

  • ein hoher Sockel von langzeitarbeitslosen Menschen und der massive Ausbau des Niedriglohnbereichs sowie die prekäre, ungesicherte Beschäftigung dazu geführt haben, dass ein großer Teil der Marginalisierten sich abgehängt und überflüssig fühlt.
  • mittlerweile rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn von unter zehn Euro in der Stunde arbeiten. In Ostdeutschland liegt ihr Anteil sogar bei 30 Prozent.
  • sich die Minijobs mit derzeit rund 7,5 Millionen geringfügig entlohnten Beschäftigten im Arbeitsmarkt fest verankert haben.
  • es inzwischen rund 50.000 Sklavenhändler gibt, die rund eine Million Arbeitskräfte verleihen, so viele, wie noch nie.
  • für Migranten fast nur der Niedriglohnsektor offen steht und dieser Niedriglohnbereich ein geschlossener Arbeitsmarkt ist, in dem die Beschäftigten kaum eine Chance haben, jemals eine Anstellung mit besseren Bedingungen zu erhalten.
  • am ganz unteren Ende des Arbeitsmarktes sich die Tage- und Stundenlöhner wiederfinden, deren Lebenssituation einfach nur als elendig zu beschreiben ist.

 

Der Maßnahmendschungel

Seit den 1980er Jahren sind in Dortmund aufgrund der hohen Zahl der Erwerbslosen, eine Reihe von Initiativen, Gruppen, Vereinen und Körperschaften entstanden, die in dem sozial- und arbeitsmarktpolitischen Bereich eine immer größere Rolle spielen, denen aber in der Regel die demokratische Legitimation und gesellschaftliche Kontrolle fehlt bzw. sie agieren davon abgehoben. Sie zeichnen sich durch eine gute Vernetzung bzw. Abschottung und eine nicht hinterfragte finanzielle Förderung mit eigener Dynamik aus und in der Regel werden den Beschäftigten kaum Arbeitsrechte und –schutzrechte, geschweige denn Mitbestimmgsmöglichkeiten eingeräumt.

Meist aus kleinen Initiativen oder Vereinen entstanden, haben sie sich z.B. in der nördlichen Innenstadt, in die sehr viele Fördermittel fließen, ausgebreitet und einige sind dort neben den Wohlfahrtsverbänden zu großen Sozialkonzernen mit ausgegründeten Unterbetrieben geworden.

Im Jahr 1991 haben sich diese selbsternannten Dortmunder Bildungs- und Beschäftigungsträger als Interessengemeinschaft sozialgewerblicher Beschäftigungsinitiativen (ISB) zusammengeschlossen.

Die Mitglieder der Gemeinschaft haben vereinbart, dass sie sich der „ Koop-kurrenz“, (bezeichnet die Dualität von Konkurrenz und Kooperation auf Märkten) in einer für alle Mitgliedsorganisationen zufriedenstellenden Weise zu widmen und sich schon in der Planungsphase bei neuen Maßnahmen der Arbeitsverwaltung abzustimmen.

Ein recht geschlossenes System also auf der Fördermittelnehmerseite.

Beispiele für die Auswüchse der Förderungspraxis im Dschungel der Arbeitsmarktakteure
  • Es gibt Menschen in Dortmund, die seit Jahren immer noch unter besonderen „Vermittlungshemmnissen“ leiden. Sie haben seit 10 Jahren immer die gleiche Beschäftigung beim gleichen Maßnahme- bzw. Anstellungsträger. Sie haben auch alle Programme durchlaufen, wie z.B. die AGH/1Euro-Jobs, über AGH-Entgeltvariante, DOGELA und Jobperspektive und sind nun in der Öffentlich Geförderten Beschäftigung z.B. (FAV) gelandet. Flankierend wurden sie über den § 16 SGB 2 entschuldet. Vom ersten Arbeitsmarkt werden sie immer noch strikt ferngehalten, auch weil sie für die Maßnahmeträger gut eingearbeitete vollwertige Arbeitnehmer sind.
  • Der Einsatz der „Programmkräfte“ hat dazu geführt, dass der Maßnahme- bzw. Anstellungsträger Dienstleistungen für sich selbst nicht mehr bei Fremdfirmen mit tarifgerechtem Entgelt einkaufen muss, sondern z.B. die Reinigungen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten durch die „Programmkräfte“ erledigen lässt.
  • Diese Menschen werden dann noch in privaten Haushalten eingesetzt, die dann für eine Stunde Reinigungsarbeit 19 Euro zuzüglich Fahrtkosten, an den Maßnahme- bzw. Anstellungsträger zahlen müssen.
  • Wenn es der Betriebsablauf notwendig macht, werden bei den Arbeitsgelegenheiten auch mal Überstunden angeordnet, die dann großzügig mit 1,5 Euro, neuerdings mit 2 Euro, in der Stunde vergütet werden.
  • Bei einigen Maßnahmen werden monatlich pro Teilnehmer bis zu 500 Euro „Regiekosten“ an die Maßnahme- bzw. Anstellungsträger gezahlt. Wer dann diese Summe pro Träger und Teilnehmer zusammenrechnet und dann noch schaut, wie viele „Regisseure“ in Wirklichkeit tätig sind, sieht, wie lukrative diese Förderketten sind.
  • Da wundert es nicht, dass es, wie in anderen Städten schon geschehen, den Beschäftigten der Arbeitsverwaltung in den Fingern juckt, selbst Maßnahmeträger werden und ihre Kontakte und ihr know how nutzen können.
  • Es werden Menschen künstlich in der Statistik gehalten, die längst wieder Arbeit bekommen hätten. Für einen Fachlageristen, der im Jobcenter als jemand ohne Ausbildung geführt wird, wurden bisher mehrere Gutscheine an private Vermittler vergeben. Nach der befristeten Leiharbeit gab es einen neuen Vermittlungsgutschein. Das Ganze ging so lange gut, bis der Arbeitsvermittler wechselte und der neue Arbeitsvermittler erst einmal das Kreuzchen für „keine Berufsausbildung“ weg und ihn zum Facharbeiter gemäß seiner Ausbildung machte. Anschließend wurde er in eine Qualifizierungsmaßnahme geschickt, in der er seiner Ausbildung gemäß, seine Fähigkeiten aktualisieren kann und aus der „Drehtür Vermittlungsgutschein“ heraus kommt.
  • Wenn die Zusätzlichkeit der Arbeit nach den etwas verschärften Kriterien nicht gegeben ist, müssen „Projektbezüge“ hergestellt werden. Dann kann auch z.B. eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ für alle Gewerbe, die im Aktionsraum liegen, vom Einzelhandelsverband bereitgestellt und der Arbeitsverwaltung vorgelegt werden. Oder in Läden in denen Ware verkauft wird, eine Erklärung abgegeben wird, dass nur an Bedürftige verkauft wird oder für eine Zeit lang werden Waren nicht mehr verkauft, sondern gegen eine Spende ausgegeben.
  • Wenn einige geförderte Maßnahmen nicht anlaufen, kann man immer noch auf die Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV) umschalten.
  • Wenn es eng wird und alles nicht mehr gegenüber der Arbeitsverwaltung beeinflussbar ist, kann die Rettung dann eine Umwandlung des Ganzen in einen Integrationsbetrieb sein. Dass dieser Tipp nicht immer gut ist, wurde deutlich, als im August 2014 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Diakonischen Integrationsbetriebe Dortmund-Bochum-Lünen gGmbH eröffnet wurde. 34 Menschen, davon über die Hälfte mit Beeinträchtigungen, die in den „CAP-Märkten“ gearbeitet hatten, mussten entlassen werden. Die Folge von Missmanagement und vor allem mangelhafter Kontrolle der eigenen Aufsichtsgremien und öffentlicher Mittelgeber.
  • Einer jungen Frau wurde zur Arbeitsaufnahme noch kurz vor ihrem Insolvenzverfahren ein Kredit für die Anschaffung eines KFZ durch das Jobcenter gewährt, der Arbeitsplatz selbst wurde mit 75 Prozent Lohnkostenzuschuss gesponsert und der Arbeitgeber bestand frech auf dem KFZ, weil die Frau als Vertreterin für Medizintechnik Arztpraxen anfahren musste – so etwas geben die Richtlinien für die freie Förderung her. Das Arbeitsverhältnis wurde nach 3 ½ Monaten beendet.
  • Damit der Förderungsumfang für den einzelnen Träger nicht unverschämt hoch ausfällt, hält man sich in den einzelnen Maßnahmen zurück, weitere und notwendige Förderungen für den einzelnen Teilnehmer wie z.B. Schuldnerberatung zu beantragen.

 

Die Beispiele zeigen die Veränderung in unserer Gesellschaft, bekämpfte man früher noch die Armut und Erwerbslosigkeit, werden heute Arme und Erwerbslose bekämpft. Da hilft auch kein Beratungsführer hinweg, der die Angebote auflistet, aber die gesellschaftliche Änderung beim Umgang mit Ratsuchend in der Stadt nicht benennt.

 

Dortmunder Dschungelbuch: gut gemeint, aber schlecht gemacht

Der Beratungsführer soll helfen, „in der Landschaft der vielfältigen Angebote das Richtige für die eigene Situation zu finden“. Das ist nur zum Teil gelungen. Schade. Man merkt deutlich, dass die Herausgeber weit weg von Rat- und Hilfesuchenden in der Stadt sind und ihnen die konkrete Lebenssituation der Betroffenen nicht bekannt ist.

Dann wurden noch handwerkliche Fehler gemacht, wie beispielsweise die Verwechslung von Trägern des Beratungsangebotes, die Zuordnung von Beratungsfachkräften zu den Beratungsstellen oder bei der Beschreibung der Leistungen einer Beratungsstelle als erstes „Untergeordnete Stelle“ steht, womit ein wohnungsloser Mensch gar nichts anfangen kann.

Normalerweise legt man den Trägern der Hilfen eine Korrekturfassung vor der Endredaktion vor, um solche Patzer zu vermeiden.

Es stellt sich die Frage, ob es Lob von der Politik geben wird?

Die sozialpolitische Stimmung ist eine ähnliche wie vor 40 Jahren im Ausländerbeirat der Stadt. Auch heute wird eher Erstaunen darüber geäußert, wie viel und was es nicht alles für die armen Menschen in der Stadt gibt und immer noch von der „Vollkaskomentalität“ bei den armen Menschen gefaselt.

Bleibt die Hoffnung, dass das Dortmunder Dschungelbuch mit dazu anregt, in Dortmund eine sozialpolitische Offensive zu starten. Es wird aller höchste Zeit, denn seit einigen Jahrzehnten gibt es überhaupt keine Sozialpolitik in der Stadt, die ihren Namen verdient.

 

Hier auf diesen Seiten wurde vielleicht ein Anfang dazu gemacht.

 

Weitere Infos:

https://gewerkschaftsforum.de/das-arbeitslosenzentrum-unter-neuer-traegerschaft-das-ende-der-unabhaengigen-erwerbslosenberatung-in-Dortmund/

https://gewerkschaftsforum.de/armut-in-dortmund-armut-ist-nicht-relativ-armut-ist-konkret-2/

https://gewerkschaftsforum.de/das-isb-sozialgewerbegeflecht-die-blaupause-fuer-die-privatisierung-von-sozial-bildungs-und-arbeitsmarktbereichen-in-der-kommune/

https://gewerkschaftsforum.de/die-schulden-der-einen-sind-das-vermoegen-der-anderen/

Quellen: SGB,Berichte von Betroffenen

Bildbearbeitung: L.N.