Fachkräftemangel im Gastgewerbe: Organisierte Unternehmerschaft schlägt Alarm – dabei ist das Problem hausgemacht

Im Sommer 2023 wurde wieder einmal Alarm geschlagen: Fachkräftemangel im Gastgewerbe und keine Besserung in Sicht. Wie das unternehmernahe Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des Instituts der deutschen Wirtschaft mitteilt, stehen den knapp 44.000 offenen Stellen für Fachkräfte in Hotel und Gaststättenberufen nur gut 29.000 entsprechend qualifizierte und arbeitslos gemeldete Menschen gegenüber.  Besonders betroffen ist die Hotellerie, dort können aktuell 42,8 Prozent der offenen Stellen nicht mit passend qualifizierten erwerbslosen Menschen besetzt werden. In der Gastronomie allgemein gilt dies für 40,1 Prozent der offenen Stellen.

Bei den Berufen Köchinnen und Koch ist die Lücke am größten, hier fehlen insgesamt 7.555 Fachkräfte.

Der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in NRW beklagt, dass die Gastronomie und Hotellerie im Land in der Pandemie binnen Monaten fast 100.000 Beschäftigte verloren habe. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, der Personalmangel im Gastgewerbe ist hauptsächlich hausgemacht.

Im Gastgewerbe arbeiten nach wie vor über 60 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich, das entspricht 660.000 Menschen, darunter der Hauptanteil der Geringfügigbeschäftigten. Viele Jahre lang lagen auch die unteren Tarifgruppen in beiden Teilbranchen-Tarifverträgen (Systemgastronomie und Hotel- und Gaststättengewerbe) unter der Niedriglohnschwelle.

Schwindel mit dem Mindestlohn

Im Gastronomiebereich haben die Unternehmen bereits unglaublich viel Kreativität dabei entwickelt, die Beschäftigten um ihren Lohn zu prellen:

  • Die Trinkgelder wurden verrechnet.
  • Zuschläge wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld wurden gestrichen, um damit formell den Stundenlohn anzuheben.
  • Manche Gastronomen ließen ihre Mitarbeiter als Selbstständige bzw. als freie Mitarbeiter für sich arbeiten. Diese besitzen einen Werk- oder Dienstvertrag und sind im rechtlichen Sinne selbstständig. Sie fallen daher nicht unter den Mindestlohn. Freie Mitarbeiter werden zudem nicht dauerhaft eingestellt, sondern erbringen einzelne, zeitlich begrenzte Leistungen.
  • Die Zeitvorgaben wurden so kurz bemessen, dass sie nichts mehr mit dem realistischen Zeitaufwand zu tun hatten und bezahlt wurde nur die vorgegebene und nicht die tatsächliche Zeit.
  • Die Vorbereitungszeit vor der Geschäftsöffnung wurde unter den Tisch fallen gelassen.
  • Die Arbeitgeber reduzierten formell die Arbeitszeit, um so bei gleichbleibendem Monatsentgelt auf den Mindeststundenlohn zu kommen. So etwas bedarf einer Vertragsänderung, der beide Seiten zustimmen müssen.
  • Wurde die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwarteten die Arbeitgeber trotzdem die bisherige Arbeitsleistung, allerdings nur unbezahlt.
  • Die Köche wurden nur für die Zeit bezahlt, in der sie ein Essen zubereiten oder die Bedienungskraft nur für die Zeit, in der sie auch konkret die Kunden betreute.
  • Beschäftigte erhielten zwar den Mindestlohn, mussten aber eine „Umsatzabgabe“ zahlen

und

einige Servicekräfte bekamen ihre bis zu 200 Überstunden nicht bezahlt. Wenn dann nach den Belegen gefragt wurde, gab es diese gar nicht.

Minijobs und Aufstocker

Den Angaben aus der fortlaufenden Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende der Bundesagentur (BA) zufolge, belief sich die Zahl der abhängig Erwerbstätigen, die zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen aufstockende Arbeitslosengeld II-Zahlungen erhielten, Ende 2019 auf unter 3,9 Millionen Menschen. Diese Beschäftigten stellen weiterhin knapp ein Viertel aller Hartz-IV-Bezieher.

Die BA-Statistik der erwerbstätigen Hartz-IV-Empfänger zeigt, dass mit einem Anteil von über einem Drittel Teilzeitbeschäftigte die größte Gruppe unter den Aufstockern ausmachen. Für sie dürfte eher der Beschäftigungsumfang denn unzureichende Löhne der Grund für das Aufstocken mit Hartz-IV sein. Mit rund 18 Prozent geht hingegen nur ein geringer Anteil der Aufstocker einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung nach. Dazu zählen auch knapp 60.000 Auszubildende, das sind 5,0 Prozent aller Aufstocker.

Mini-Jobber im Gastgewerbe haben im vergangenen Jahr allein knapp eine Milliarde Euro als aufstockende, staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. An die geringfügig Beschäftigten im Gastgewerbe ging damit etwa ein Viertel der insgesamt 4,2 Milliarden Euro, mit denen der Staat Mini-Jobber bezuschusst hat.

Auf dem Rücken der Beschäftigten werden den Unternehmen Teile der Personalkosten erspart, diese Lohndrückerei wird vom Staat auch noch subventioniert.

Geringfügige Beschäftigung führt in die Sachgasse

Seit Einführung des Mindestlohns hat das Interesse an geringfügiger Beschäftigung sichtlich nachgelassen, die Unternehmer machen nun Druck, um sie wieder attraktiver zu machen.

Das Beispiel der Niedriglohnbranche Gastronomie zeigt, dass die öffentliche Hand geringfügig entlohnte Beschäftigte mit Milliardenbeträgen unterstützen muss, weil die von ihrer Arbeit in der Regel nicht leben können. Außerdem hat sich herausgestellt, dass die Geschichte von der Brückenfunktion der Mini-Jobs ein Märchen ist, kaum jemand schafft über diese Beschäftigung den Um- und Aufstieg in ein sozialversicherungspflichtiges Vollzeitarbeitsverhältnis.

Besonders Frauen sitzen in der geringfügigen Beschäftigung fest. Selbst wenn sie länger ausschließlich in einem Minijob gearbeitet haben, kommen sie nicht in ein normales Arbeitsverhältnis. Für die Rentenanwartschaft von Frauen sind die Mini-Jobs schon gar nicht geeignet, mehr noch, sie werden zur Falle. Das Beispiel von der 35-Jährigen Frau, die jetzt in einem Minijob beginnt und die dann im Jahr 2048 mit einer Rente von 163 Euro rechnen kann, sollte weitererzählt werden.

Die konkrete Lebens- und Arbeitssituation der Beschäftigten im Gastronomiebereich

Die Arbeit im Gastronomiebereich scheint für Außenstehende eine ziemlich lockere Angelegenheit für die immer freundlichen und sportlichen Beschäftigten zu sein. Doch schaut man hinter die Kulissen, kommt ein ganz anderes Bild zutage:

  • Körperliche Belastungen

Kellner, Köche und Barkeeper müssen oft lange stehen. Nicht selten müssen sie heben und tragen, oder nehmen eine starre Arbeitshaltung ein. Hinzu kommt oft eine unzureichende Arbeitsplatzgestaltung.

  • Hohe Lärmbelastung

Fast ein Drittel der Angestellten im Gastronomiegewerbe sind Lärm ausgesetzt – mehr als vier Prozent machen sich deshalb Sorgen um ihre Gesundheit.

  • Ungesundes Raumklima

Oft arbeiten sie in heißen oder kalten Arbeitsumgebungen. Sorgen offene Türen dabei noch für Zugluft oder muss der Angestellte abwechselnd in warmen und gleich darauf in kalten oder feuchten Räumen – wie zum Beispiel Lageräumen arbeiten, steigt die Gefahr, dass die Gesundheit Schaden nimmt.

  • Verletzungsgefahr

Wenn das scharfe Messer abrutscht, hat das schwerwiegende Folgen. Schnittwunden und Verbrennungen treten im Gastronomiegewerbe besonders häufig auf. Außerdem ist die Gefahr groß, dass Angestellte ausrutschen, stolpern oder fallen – zum Beispiel, weil der Boden nass und rutschig ist. Auch Gefahrstoffen sind sie ausgesetzt. Dazu gehören etwa häufig verwendete radikale Reinigungsmittel.

Doch Angestellte in der Gastronomie sind nicht nur körperlichen Belastungen ausgesetzt:

  • Psychosoziale Risiken

Dafür sind unter anderem die unregelmäßigen Arbeitszeiten verantwortlich, denn die Angestellten arbeiten meist in langen Schichten und haben nicht nur unregelmäßige, sondern auch ungewöhnliche Arbeitszeiten. Sie arbeiten überwiegend dann, wenn andere Menschen frei haben.

  • Zeitdruck

Die Arbeitsbelastung ist hoch. Etwa 75 Prozent der Beschäftigten sagen, dass sie mit hohem Arbeitstempo arbeiten, zwei Drittel geben an, dass sie unter großem Zeitdruck arbeiten und beinahe die Hälfte findet, dass sie nicht genug Zeit haben, um ihre Arbeit zu erledigen.

  • Wechselnde Arbeitszeiten

Für Beschäftigte im Gastronomiebereich ist es schwierig, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren – vor allem, weil die Arbeitszeiten oft nicht vorhersehbar und die einzelnen Arbeitstage lang sind. Arbeitszeit-Unzufriedenheit

  • Schwierige Kunden

Auch der ständige Kontakt mir Kunden birgt Risiken. Er kann Stressfaktor sein und im schlimmsten Fall für Belästigung oder Gewalt sorgen.

  • Gesundheitliche Risiken

Mitarbeiter in Jobs mit einer niedrigen Bezahlung und einer hohen beruflichen Belastung z.B. Kellner haben viel höhere gesundheitliche Risiken zu tragen. Die Gefahr eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls steigt bei Kellnern um über 50 Prozent. Das liegt nicht nur am stark erhöhten Stressfaktor, sondern auch an der Tatsache, dass gestresste Menschen weniger auf ihren Körper aufpassen und tendenziell öfter rauchen oder übermäßig Alkohol konsumieren.

Untersuchungen belegen, dass der Stressfaktor nicht nur davon abhängt, wie hoch die Arbeitsbelastung ist, sondern auch, wie sehr sich eine Person respektiert und wertgeschätzt in ihrer Rolle fühlt. Kellner z.B. leiden nicht nur unter beruflichem Druck, sondern teilweise auch unter unfreundlichen Gästen, schlechtem Management und mit dem Familienleben oft unvereinbaren Arbeitsstunden. Durch diese Kombination kann Stress seine schlimmste Wirkung entfalten. Viele Beschäftigte schaffen das alles nur noch mit Hilfe von „mother´s little helpers“ und haben dann noch ein zusätzliches, ein Suchtproblem.

Dringende und kurzfristige Veränderungen erforderlich

Dringend notwendig sind erste Schritte, die sofort angegangen werden müssen, wie die Verbesserung der Entlohnung und der Arbeitsbedingungen: Existenzsichernde Grundlöhne, transparente Auszahlungspraxen und die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen insbesondere in Bezug auf Arbeitszeit- bzw. Arbeitsruheregelungen müssen wieder selbstverständlich sein.

Darüber hinaus stellen folgende konkrete Vorschläge wichtige Ansatzpunkte für eine zukunftsfähige Neuausrichtung der Branche dar:

  • Auf Grund des branchenübergreifend niedrigsten Bruttomedianeinkommens (das ist Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt) braucht es eine sofortige Anhebung der kollektivvertraglichen Löhne.
  • Die hohen Anforderungen der Gastrounternehmen an die Beschäftigten in der Branche müssen sich in deren Überzahlungsbereitschaft widerspiegeln.
  • Da in der Branche Löhne und Gehälter wie die Überstunden oftmals nicht anspruchsgemäß abgegolten werden, sind die Beschäftigten darauf angewiesen, ihre Ansprüche im Nachhinein geltend zu machen. Hier gibt es allerdings den meisten Beschäftigten nicht bekannte enge Verfallsfristen, die umgehend abzuschaffen sind.
  • Die häufig in der Vergangenheit vorgenommenen Änderungen im Arbeitszeitgesetz und Arbeitsruhegesetz – besonders die vereinfachte Möglichkeit, im Gastrogewerbe die täglichen Ruhezeiten zu verkürzen – sind neu zu gestalten.
  • Es müssen neue Strategien entwickelt werden um den Gastrobereich für die Beschäftigten wieder attraktiv zu machen, sollte z.B. wieder flexible Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitverkürzungen auf der Tagesordnung stehen.
  • Neben fairen und gesunden Arbeitsbedingungen braucht es für die Beschäftigten auch bessere individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und längerfristige Perspektiven. Hier ist vor allem von großer Bedeutung, die Integration von lebensorientierten Ansätzen, wie Einheit von Familie und Beruf sowie die Lebenssituation der älteren Beschäftigten zu berücksichtigen.
  • Die oft beanstandete Branchenkultur muss sich schnellsten wandeln. Von einem rauen, rüden, oft übergriffigen Umgangston sowie den stark ausgeprägten patriarchalischen Hierarchien und hin zu einem größeren Bewusstsein der Unternehmen über ihre Fürsorgepflichten.
  • Maßnahmen zur Senkung des Arbeitsdrucks, vor allem in kleineren Betrieben, sind überfällig.
  • Die Unternehmen sollten sich Gedanken über die Stärkung von Personalführungskompetenzen machen

und es ist dringend ein Umdenken geboten, weg von einer staatlichen Förderung der Ausbeutbarkeit günstiger ausländischer Arbeitskräfte und hin zu einer Stärkung am Arbeitsmarkt benachteiligter Beschäftigter.  

Den im Gastrobereich arbeitenden Menschen sowie in der prekären Beschäftigung allgemein muss seitens der Gewerkschaften viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie können und sollten sich organisieren, nicht unzufrieden vereinzelt bleiben, sondern sich demokratisch und auch im Namen der Menschenrechte zusammentun. Zusätzlich sollten sie sich gewerkschaftliche Unterstützung holen, damit stärken sie ihre Position nochmals und haben somit auch einen größeren rechtlichen Rückhalt.

 

 

 

 

 

Quellen: BA, Markus Krüsemann, ngg, DEHOGA, IAB, o-ton Arbeitsmarkt
Bild: pixabay cco