GEWERKSCHAFTEN UND RECHTSPOPULISMUS – Erfahrungen und Lernprozesse aus Österreich, Schweden und den Niederlanden im Vergleich

Von Sylvia Maria Erben und Hans-Jürgen Bieling

Die gesellschaftspolitischen Debatten haben sich in den vergangenen Jahren spürbar verlagert. In Reaktion auf europäische Krisenprozesse – zunächst die Finanz- und Eurokrise, dann die Krise des europäischen Migrationsregimes – haben nationalistische Stimmen vielfach an Gewicht gewonnen. Der Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien stellt in Europa ein nahezu flächendeckendes Phänomen dar (Busch/Bischoff/Funke 2018; Manow 2018; Klein 2016). In fast allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind rechtspopulistische Bewegungen und Parteien inzwischen einflussreich. Sie sind in beträchtlicher Größe in den Parlamenten vertreten und z.T. sogar – mitunter in führender Position – an der Regierung beteiligt. Selbst in den Ländern, in denen die rechtspopulistischen Parteien in der Oppositionsrolle verbleiben, wirken sie über die Öffentlichkeit auf einen politischen Stimmungsumschwung hin (Aalberg et al. 2017; Wodak 2013).

Für die Gewerkschaften sind die skizzierten Tendenzen in mehrfacher Hinsicht höchst problematisch.

Der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte bringt vielfältige Gefährdungspotenziale für die Funktionsweise der Demokratie mit sich. Diese Gefährdungen betreffen in den Ländern, in denen Rechtspopulist*innen die Regierungsgeschäfte leiten – so etwa die Prawo i Sprawiedliwość (PiS) in Polen oder Fidesz in Ungarn – vor allem zentrale Elemente der Rechtsstaatlichkeit wie die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien oder die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit (Becker 2018a; Krastev 2017). Darüber hinaus wird der demokratische Diskurs dadurch beeinträchtigt, dass rechtspopulistische Organisationen sich Strategien der öffentlichen Stimmungsmache und einer Politik des Ressentiments bedienen – zumeist gegen Migrant*innen und andere Minderheiten gerichtet  – und dadurch ein Klima der Intoleranz erzeugen (Olschanski 2015). Es bilden sich wohlstandschauvinistische Orientierungen und Formen einer – ethnisch und sozial – exkludierenden Solidarität heraus, die den sozialintegrativen Wohlfahrtsstaat und die Bedingungen der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, also wichtige Dimensionen der sozialen Demokratie, infrage stellen.

ZUSAMMENFASSUNG

 

Der Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien stellt in Europa ein nahezu flächendeckendes Phänomen dar. Hieraus ergeben sich vielfältige Gefährdungspotenziale für die Funktionsweise der Demokratie und Formen der Rechtsstaatlichkeit. Auch für die Gewerkschaften bleiben rechtspopulistische Tendenzen – wie etwa Strategien der öffentlichen Stimmungsmache und eine Politik des Ressentiments – nicht ohne Folgen. Ganz im Gegenteil ist die durch den Rechtspopulismus geförderte wohlstandschauvinistische Orientierung auch für die Gewerkschaften höchst problematisch:

Erstens besteht die Gefahr, dass die Solidarität der Beschäftigten erodiert und deren Fragmentierung verstärkt wird, was sich wiederum negativ auf die betriebliche und überbetriebliche Organisierung auswirkt.

Zweitens korrespondieren mit den rechtspopulistischen Orientierungen oftmals autoritäre und paternalistische Diskurse, die die Bereitschaft zu einem eigenständigen kollektiven gewerkschaftlichen Handeln beeinträchtigen.

Drittens fördern rechtspopulistische Organisationen antiegalitäre, antidemokratische und antigewerkschaftliche Einstellungen, die wiederum die gesellschaftliche Anerkennung und Legitimation der Gewerkschaften infrage stellen.

Viertens schließlich ist zu befürchten, dass sich die genannten Gefährdungen in der Einschränkung universalistisch orientierter und kollektivvertraglich ausgestalteter Arbeitnehmer*innenrechte und sozialer Sicherungsleistungen verdichten. Vor diesem Hintergrund werden in der vorliegenden Studie die gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit rechtspopulistischen Kräften untersucht. Dies erfolgt in Form einer ländervergleichenden Analyse der politischen Prozesse und gewerkschaftlichen Erfahrungen in Österreich, Schweden und den Niederlanden. Der Ländervergleich soll es ermöglichen, gewerkschaftliche Lernpotenziale zu stimulieren. Die drei Fallstudien befassen sich mit der wirtschafts-, sozial- und arbeitspolitischen Programmatik der rechtspopulistischen Parteien, den jeweiligen gewerkschaftlichen Handlungsbedingungen sowie den von den Gewerkschaften selbst identifizierten Gefahren und Erfolgsaussichten im Umgang mit rechtspopulistischen Kräften.

Trotz der häufig ähnlichen oder zumindest vergleichbaren Lage, in der sich die europäischen Gewerkschaften im Umgang mit rechtspopulistischen Kräften derzeit befinden, ist der Prozess des intergewerkschaftlichen Lernens bislang eher unterentwickelt.

Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zur Förderung und Reflexion des grenzüberschreitenden Informations- und Erfahrungsaustausches. Es geht darum auszuloten, ob die Gewerkschaften angesichts ähnlicher Herausforderungen und Handlungsbedingungen – zumindest in den Ländern mit vergleichbaren gewerkschaftspolitischen Kulturen und Organisationsformen  – voneinander lernen können. Zur Bearbeitung dieser Zielsetzung werden im Folgenden vier miteinander verknüpfte Fragestellungen beantwortet.

Diese lauten:

– Wie greifen die rechtspopulistischen Parteien in den untersuchten Ländern (Österreich, Schweden und Niederlande) die „soziale Frage“ auf? Das heißt, wie positionieren sie sich wirtschafts-, sozial- und arbeitspolitisch und welche Haltung nehmen sie zu Arbeitnehmer*innenrechten und Formen der Mitbestimmung ein/an?

– Welche durch den Rechtspopulismus hervorgerufenen Probleme werden seitens der Gewerkschaften identifiziert? Inwiefern werden die gewerkschaftlichen Machtressourcen als gefährdet betrachtet? Welche realen oder potenziellen Angriffe auf Arbeitnehmer*inneninteressen von Seiten dieser Parteien werden von den Gewerkschaften als Problem wahrgenommen?

– Wie haben die Gewerkschaften in den vergleichend untersuchten Ländern – Österreich, Schweden und den Niederlanden – auf die programmatischen und strategischen Diskurse und Praktiken der Rechtspopulisten bislang reagiert?

– Welche positiven und negativen Erfahrungen haben sie hierbei gemacht? Lassen sich aus den jeweiligen gewerkschaftlichen Erfahrungen Handlungsempfehlungen ableiten oder vielleicht sogar Good Practices identifizieren, an denen sich die Gewerkschaften in Deutschland orientieren können?

Im Ausblick auf die Forschungsergebnisse der vorliegenden Studie lässt sich feststellen, dass die wirtschafts-, arbeits- und sozialpolitischen Diskurse und Praktiken der rechtspopulistischen Parteien in allen drei Ländern zwar durch einige Besonderheiten gekennzeichnet sind, übergreifend jedoch einer ähnlichen Bewegung folgen. Diese Bewegung besteht darin, dass die „soziale Frage“ als ein wesentlicher Referenzpunkt im Kampf um politische Deutungsmacht und politische Mehrheiten identifiziert wird. Die Gewerkschaften nehmen dabei, wenn auch in unterschiedlichem Maße, den Rechtspopulismus als eine Kraft wahr, die die eigene Operationsweise bedroht und infrage stellt: zum einen durch die bereits angesprochene strategische Schwächung der gewerkschaftlichen Solidarbeziehungen und zum anderen durch einen Frontalangriff auf die Gewerkschaften. Dieser richtet sich vor allem gegen die Gewerkschaften und Rechtspopulismus institutionelle Gewerkschaftsmacht. Fast durchgängig geht es den rechtspopulistischen Parteien darum, den politischen Einfluss der Gewerkschaften zu beschneiden: etwa durch die Infragestellung neokorporatistischer Arrangements, die Schwächung der institutionalisierten Mitbestimmung oder die Problematisierung von kollektivrechtlichen Absicherungen und Flächentarifverträgen.

Ungeachtet dieser allgemeinen Tendenzen nehmen die Gewerkschaften den Rechtspopulismus allerdings keineswegs gleichförmig wahr. Dies liegt einerseits am eigenen gewerkschaftlichen Selbstverständnis und den besonderen institutionellen Handlungsbedingungen, andererseits aber auch am programmatischen Profil und Auftreten der rechtspopulistischen Parteien. In Österreich und Schweden waren die Gewerkschaften z.B. insofern früh alarmiert, als in den rechtspopulistischen Parteien – der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und den Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten, SD)  – rechtsextreme bis neonazistische Positionen prägend waren und z.T. immer noch sind. Außerdem waren die wirtschafts-, sozial- und arbeitspolitischen Konzepte anfangs deutlich neoliberal ausgerichtet. In Schweden erfolgte eine aktive Auseinandersetzung aber erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die SD zu einer einflussreichen politischen Kraft wurde; und in den Niederlanden wurde die vom Rechtspopulismus ausgehende Gefahr von den Gewerkschaften erst dann intensiver diskutiert, nachdem Geert Wilders öffentlichkeitswirksam gegen die marokkanischstämmige Bevölkerung gehetzt hatte.

Vor dem Hintergrund spezifischer (gewerkschafts-)politischer Kulturen und Wahrnehmungen sind in den untersuchten Ländern unterschiedliche Strategieprofile im Umgang mit rechtspopulistischen Kräften erkennbar: eine Status-quo-Orientierung, ein politisches Mandat und eine kulturelle Öffnung. Die Status-quo-Orientierung impliziert, dass sich einige Gewerkschaften für eine aktive argumentative Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Diskursen nicht zuständig sehen, sich überfordert fühlen oder eine solche Auseinandersetzung – mit Rücksicht auf die eigene Mitgliedschaft – als gewerkschafts- und gesellschaftspolitisch wenig opportun betrachten.

In der Praxis äußern sich derartige Erwägungen in einer Strategie der Verdrängung oder Ignoranz, die – je nach Situation – durch Elemente der Anpassung, manchmal auch der Erziehung und Ausgrenzung angereichert wird. Das konträre Strategieprofil des politischen Mandats besteht darin, die gewerkschaftliche Passivität im Umgang mit rechtspopulistischen Parteien und rechtspopulistisch affinen eigenen Mitgliedern aufzugeben, sich im Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung klarer zu positionieren und sich aktiver und eindeutiger in gesellschaftspolitische Debatten einzuschalten. Ein solches politisches Mandat umschließt inhaltlich eine erweiterte Thematisierung sozialer Fragen in den Betrieben und in der politischen Öffentlichkeit.

In Ergänzung zu diesen beiden konträren Profilen lässt sich ein drittes – eher komplementäres – Strategieprofil identifizieren. Dieses betont als Gegenpol zur von Rechtspopulist*innen geforderten ethnischen Homogenität und Privilegierung autochthoner Gruppen vor allem die Prozesse der kulturellen Öffnung, d.h. die Akzeptanz der multikulturellen Gesellschaft und die verbreitete Anwendung und Durchsetzung von Diversitätskonzepten in den Betrieben und politischen Organisationen.

Diese Studie stellt nur einen ersten, keinesfalls abschließenden Versuch dar, einen Überblick über das Feld möglicher gewerkschaftlicher Aktivitäten zu verschaffen. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen sind entsprechend mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren: Gute Erfahrungen haben die Gewerkschaften damit gemacht, zwischen rechtspopulistischen Amtsträger*innen oder Funktionär*innen und rechtspopulistisch affinen Wähler*innen bzw. Gewerkschaftsmitgliedern grundsätzlich zu unterscheiden. Diese Unterteilung ist in der strategischen Kommunikation nicht immer ganz einfach durchzuhalten. So ist davon auszugehen, dass sich Wähler*innen, die sich mit rechtspopulistischen Haltungen und Parteipositionen identifizieren, aufgrund ihrer Parteipräferenz persönlich angegriffen fühlen, wenn die Parteiführung durch die Gewerkschaften kritisiert und angegangen wird. Ob Parteien offen als rechtsextrem oder rechtspopulistisch ausgegrenzt werden, bleibt also nicht ohne Konsequenzen für die Erreichbarkeit der rechtspopulistisch affinen Mitglieder/Wähler*innen.

Die Gewerkschaften versuchen dieses Identifikationsdilemma zu lösen, indem sie sich nicht unmittelbar mit den Parteien auseinandersetzen, sondern deren parlamentarisches Abstimmungsverhalten oder die Implikationen einer rechtspopulistisch beeinflussten Regierungspolitik für die abhängig Beschäftigten diskutieren. Einige Gewerkschaften arbeiten der Vorstellung entgegen, dass eine Überparteilichkeit der Gewerkschaften gleichbedeutend ist mit einer apolitischen Grundhaltung sowie einer Ablehnung gesellschaftspolitischer Ziele und eines „politischen Mandats“.

Fast alle Gewerkschaften berichten von Problemen mit einer sogenannten Blaming-Strategie, d.h. mit einer Einordnung von Mitgliedern als rechts(- extrem) oder einem Verantwortlichmachen von Wähler*innen rechtspopulistischer Parteien für die anschließend praktizierte Parteipolitik. Stattdessen empfehlen sie einen Umgang mit den Mitgliedern, der den Fokus auf deren arbeitsweltliche Probleme, Ängste und Missstände legt. Gleichzeitig gehen die Gewerkschaften davon aus, dass weiterhin auf relativ stabile Solidaritäten 16 Gewerkschaften und Rechtspopulismus auf betrieblicher Ebene zurückgegriffen werden kann und daher vor allem der Verbreitung rechtspopulistischer Diskurse in informellen Räumen – z.B. Pausenräumen und in der Freizeit – begegnet werden muss.

 

Grundsätzlich korrespondiert eine „entstigmatisierende“ Herangehensweise mit einer (ergebnis-)offenen Ansprache. Lebensweltliche Problemlagen als Ursachen rechtspopulistischen Wahlverhaltens können auf diese Weise adressiert und auf der Grundlage weiterhin starker innerbetrieblicher Solidaritäten bearbeitet werden. Problematisch wird diese Herangehensweise allerdings dann, wenn sich die Gewerkschaften entpolitisieren und drängende gesellschaftspolitische Themen – etwa die Regulierung von Migration und integrationspolitische Aufgaben – aus dem gewerkschaftlichen Aufgabenfeld ausgeklammert werden. Gewerkschaften laufen im diskursiv-öffentlichen Raum dann Gefahr, in einen Modus der Anpassung zu verfallen und als relevante gesellschaftspolitische Akteure nicht mehr wahrgenommen zu werden.

 

Studie herunterladen:

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