Die griechisch-türkische Grenze darf nicht zur menschenrechtsfreien Zone werden!

Von PRO ASYL

Menschen werden gewaltsam gehindert, in Griechenland einen Asylantrag zu stellen. Viele werden direkt in die Türkei zurückgewiesen. Die griechische Regierung setzt einen Monat lang die Asylverfahren aus. Dass dieses Vorgehen eindeutig europarechtswidrig ist und gegen die Menschenrechte verstößt, zeigt ein Blick in die Rechtsgrundlagen.Tränengas gegen schutzsuchende Menschen (darunter Kinder) an der türkisch-griechischen Grenze. Boote mit fliehenden Menschen auf der Ägäis, die erst spät gerettet werden oder beim Anlanden von einer aufgebrachten Menge abgehalten werden: Die aktuellen Bilder aus Griechenland sind schockierend. Viele Menschen fragen sich, wieviel die Menschenrechte an den europäischen Grenzen noch wert sind.

PRO ASYL fordert folgende Maßnahmen, um eine weitere Eskalation zu verhindern:

Sofortige Evakuierung aller Flüchtlinge von den griechischen Inseln: Angesichts des humanitären Notstandes ist ein groß angelegtes Aufnahmeprogramm aus Griechenland notwendig: Die Hotspots müssen geräumt werden, Schutzsuchende auf das griechische Festland transportiert werden. Dort müssen sie menschenwürdig untergebracht und schnellstmöglich in andere EU-Mitgliedstaaten überstellt werden.

Flüchtlingsaufnahme jetzt! Europa darf Griechenland und die dort lebenden Schutzsuchenden nicht länger allein lassen. Deutschland und andere aufnahmebereite EU-Staaten müssen jetzt die sofortige Flüchtlingsaufnahme aus Griechenland organisieren.

Einhaltung des Rechts: Keine illegalen Zurückweisungen an den europäischen Grenzen, Geflüchtete müssen Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren erhalten.

Aktuelle Pläne der griechischen Regierung eindeutig rechtswidrig

Die griechische Regierung hat als Reaktion auf die aktuelle Lage an der griechisch-türkischen Grenze am 1. März 2020 beschlossen, Asylverfahren von irregulär eingereisten Personen für einen Monat lang auszusetzen und eine sofortige Rückführung aller irregulär einreisenden Menschen in das Herkunftsland oder ein Transitland (sprich die Türkei) zu veranlassen. Dies ist europarechtswidrig und verstößt gegen internationales Recht, wie die folgende Analyse deutlich macht.

Zudem soll die illegale Einreise scharf sanktioniert werden. Dazu muss zunächst festgehalten werden: aus Syrien und/oder aus der Türkei fliehenden Menschen bleibt gar nichts anderes übrig, als »illegal« nach Griechenland einzureisen. Auf die Fähren, die zwischen der Türkei und Griechenland täglich mehrfach fahren, werden sie wegen fehlendem Visum nicht gelassen. An der Landgrenze werden sie aktuell sogar mit Tränengas davon abgehalten, bis zum Grenzübergang vorzukommen. Art. 31 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sieht wegen diesem Mangel an legalen Zugangswegen vor, dass Flüchtlinge nicht wegen einer illegalen Einreise kriminalisiert werden sollen, wenn sie sich unverzüglich bei den Behörden melden. Trotzdem wurden jetzt schon 17 Afghanen in Griechenland wegen illegalem Grenzübertritt zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
NEWS (2018)

EU-Recht: Asylrecht und Non-Refoulement Gebot müssen respektiert werden!

Die griechische Regierung hat angekündigt, entsprechend dem Art. 78 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäische Union (AEUV) »vorläufige Maßnahmen zugunsten der Hellenischen Republik zu ergreifen«. Dieser Artikel sieht vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission im Falle einer plötzlichen Notlage aufgrund einer hohen Anzahl Schutzsuchender solche »vorläufige Maßnahmen« beschließen kann.

Mit Sicherheit können solche Maßnahmen aber ein Unterlaufen des Non-Refoulement Prinzips nicht rechtfertigen. Dessen Einhaltung und der Respekt der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) wird nämlich im Absatz 1 des gleichen Artikels garantiert (Art. 78 Abs. 1 AEUV). Zudem müssen solche Maßnahmen sich an der EU-Grundrechtecharta messen lassen, die das Recht auf Asyl nach Maßgabe der GFK garantiert (Art. 18) und Kollektivausweisungen verbietet (Art. 19).

Die Asylverfahrensrichtlinie ist laut ihrem Art. 3 auf alle Asylanträge, die an den Grenzen, in Hoheitsgewässern und in Transitzonen gestellt werden, anwendbar. Bei einer großen Anzahl von Schutzsuchenden kann zwar die Frist zur Registrierung auf zehn Tage verlängert werden (Art. 6 Abs. 5), eine Aussetzung der Annahme von Asylanträgen ist aber nicht vorgesehen und würde gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen, die bei der Anwendung von EU-Recht immer zu berücksichtigen ist.

Genfer Flüchtlingskonvention: keine Aussetzung von Asylanträgen!

Griechenland ist als Vertragsstaat zur Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet. Wie das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR in einer Pressemeldung feststellt, sieht diese eine wie von Griechenland angekündigte Aussetzung von Asylanträgen nicht vor.

Direkte Rückführungen in die Türkei oder Herkunftsländer würden auch gegen das Non-Refoulement Gebot des Art. 33 GFK verstoßen, der Abschiebungen verbietet, wenn Verfolgung droht. Um sicherzustellen, dass dies nicht der Fall ist, muss es ein entsprechendes Prüfverfahren geben.

Europäische Menschenrechtskonvention: Kontrolle von Grenzen immer unter Achtung der EMRK!

Sowohl Griechenland als auch die Türkei sind als Mitglieder des Europarates an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in den vergangenen Jahren eine klare Rechtsprechung entwickelt, die aufbauend auf dem absoluten Verbot der Folter sowie der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) die Abschiebung von Menschen verbietet, wenn ihnen im Zielland (egal ob Herkunfts- oder Transitland) eine solche schwere Menschenrechtsverletzung droht. Dieses Abschiebungsverbot gilt auch aktuell an der türkisch-griechischen Grenze. Das Verbot der Folter ist im Übrigen auch von Einschränkungen im Falle eines Notstandes ausdrücklich ausgenommen (Art. 15 Abs. 2 EMRK).

Die griechische Regierung und andere Politiker*innen beziehen sich auf ein kürzlich ergangenes Urteil des EGMR bezüglich der spanischen Abschiebungspraxis nach Marokko (N.D. und N.T. gegen Spanien), um direkte Abschiebungen von Griechenland in die Türkei zu rechtfertigen. Eine solche Argumentation beruht aber auf einer verkürzten und falschen Interpretation des Urteils.
PRO ASYL hatte das Urteil gegen Spanien scharf kritisiert, denn auf eine realitätsferne Art und Weise hatten die Straßburger Richter*innen einen Verstoß von Spanien gegen das Verbot der Kollektivausweisung (Art. 4 Zusatzprotokoll zur EMRK Nr. 4) verneint. Das Argument: Die Kläger hätten bestehende legale Zugangswege nicht genutzt und sich durch das Klettern über einen Zaun selbst in eine rechtswidrige Situation gebracht. Damit stünde ihnen der Schutz des Verbots der Kollektivausweisung nicht mehr zu.

So ernüchternd dieses Urteil war, es erlaubt bei weitem nicht die Push-Backs von Griechenland in die Türkei. Dies gilt schon allein, weil auch das Verbot der Folter (Art. 3 EMRK) zum Tragen kommt, welches in N.D. und N.T. nicht besprochen wurde. Dies hat auch der Völkerrechtsexperte Dr. Constantin Hruschka kurz nach dem Urteil auf dem Verfassungsblog festgestellt. Sein Fazit: »Art. 3 EMRK gilt vielmehr absolut, also auch dann, wenn Personen illegal einreisen (und zwar egal auf welche Weise)«.
Der EGMR stellte selbst im Urteil fest, dass die Vertragsstaaten die Kontrolle ihrer Grenzen im Einklang mit der EMRK organisieren müssen, insbesondere unter Achtung des Non-Refoulement Prinzips: »However, it should be specified that this finding does not call into question the broad consensus within the international community regarding the obligation and necessity for the Contracting States to protect their borders – either their own borders or the external borders of the Schengen area, as the case may be – in a manner which complies with the Convention guarantees, and in particular with the obligation of non-refoulement«. (N.D. und N.T., Rn. 232)

Wie auch das Deutsche Institut für Menschenrechte in einer Stellungnahme feststellt, bedeutet Grenzsicherung im Einklang mit der EMRK eben auch, dass Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen. Der Einsatz von Tränengas bis hin zu Gummigeschossen gegen unbewaffnete schutzsuchende Menschen, darunter auch Kinder, ist in dem Sinne nicht zu rechtfertigen, denn sie stellen eine massive Gefährdung der Gesundheit und sogar des Lebens der betroffenen Personen dar.

Eine direkte Rückführung einer schutzsuchenden Person in ein Drittland oder in ihr Herkunftsland, ohne Prüfung ob eine Art. 3 EMRK-Verletzung droht, ist also auch eindeutig rechtswidrig und mit der EMRK nicht vereinbar. Dies bleibt auch bei einer Vielzahl von Schutzsuchenden der Fall. Bezüglich Ungarn hat der EGMR es so formuliert:
»The Court is mindful of the challenge faced by the Hungarian authorities during the relevant period in 2015, when a very large number of foreigners were seeking international protection or passage to western Europe at Hungary’s borders. However, the absolute nature of the prohibition of ill-treatment enshrined in Article 3 of the Convention mandates an adequate examination of the risks in the third country concerned«. (Ahmed und Ilias gegen Ungarn, Rn. 155)

Europäische Kommission: noch Hüterin der Verträge?

Die Europäische Kommission gilt als die »Hüterin der Verträge«, denn Teil ihrer Rolle ist es, die Anwendung von EU-Recht zu überwachen. Es ist deswegen umso erstaunlicher, dass die eindeutige Missachtung europäischen Rechts durch Griechenland bislang nicht einen kritische Kommentar wert war. Stattdessen legt Kommissionspräsidentin von der Leyen selbst nur einen Fokus auf Grenzsicherung und Abschottung und dankt Griechenland gar das Europäische » aspida« (dt: Schild) zu sein – Worte der Militarisierung anstatt Worte der Rechtsstaatlichkeit.

Wenn sich die Kommission unter Präsidentin von der Leyen nicht für die Einhaltung grundlegendster Werte und Rechte, wie sie in der EU-Grundrechtecharta verbrieft sind, stark macht, dann stellt dies auch die zentrale Funktion der Kommission in Frage. (beb / wj)

 

 

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