Ist der Arbeitskampf um die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe nur verschoben oder doch schon aufgehoben?

Die Verhandlungen der Tarifrunde 2020 im Sozial- und Erziehungsdienst im Öffentlichen Dienst begannen Anfang März des vergangenen Jahres mit den Forderungen zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe und Verbesserung der Rahmenbedingungen für die rund 234.000 Beschäftigten in diesem Bereich.

Konkret ging es um die Verbesserung der Eingruppierungsmerkmale, Anpassung der Stufenlaufzeiten, Anerkennung der Berufserfahrung, Berücksichtigung der Änderungen in der Behindertenhilfe, Verbesserung der Bewertung der Leitungstätigkeit und ein genereller Rechtsanspruch auf Qualifikation.

Die für den 23. März 2020 geplante zweite Verhandlungsrunde konnte „wegen des Coronavirus und den beschlossenen Maßnahmen“ nicht stattfinden. Der Termin wurde abgesagt und verschoben. Die beteiligten Gewerkschaften entschieden dann, die Entgeltrunde TVöD und die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe nicht gleichzeitig anzugehen. Das erzielte Tarifergebnis vom Herbst 2020 gilt für Beschäftigte in den Sozial- und Erziehungsdiensten, aber die Auseinandersetzung um die Aufwertung wurde wieder verschoben. Wann es weitergehen sollte, wurde abhängig  „vom weiteren Verlauf der Corona-Epidemie in Deutschland“ gemacht.

Nun ist ein weiteres Jahr vergangen und nichts ist geschehen.

Gewerkschaften rudern zurück, die beiden größten mauern

Der bereits Ende 2019 sich abzeichnende Wirtschaftseinbruch wurde durch die Corona-Pandemie zum Ende des ersten Quartals befeuert. Seitens der Gewerkschaften wurde ungewöhnlich schnell, für viele Beobachter zu schnell, auf die steigende Erwerbslosigkeit und millionenfache Kurzarbeit reagiert. Innerhalb von wenigen Tagen verabschiedeten sich die Gewerkschaften vom kurzen Aufflackern einer offensiven Tarif- und Arbeitszeitpolitik Anfang des Jahres 2020. Schon im Frühjahr wurden die ersten Tarifauseinandersetzungen aufgeschoben oder schnell mit Nullrunden beendet.

Für die DGB-Gewerkschaften steht seitdem die Arbeitsplatzsicherung im Vordergrund, aber vor allem die Frage, was sie dazu beitragen können, wie man im Verbund mit Politik und organisierter Unternehmerschaft die Krise zur langfristigen strukturellen Modernisierung der deutschen Wirtschaft nutzen kann, um deren europäische Vormachtstellung und die Exportorientierung weiter auszubauen.

Von der früheren Ankündigung des IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann, die Vier-Tage-Woche zum Thema bei der anstehenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zu machen, war im Herbst 2020 nicht mehr die Rede. Ebenso wenig auch von einer Umverteilung der Milliardengewinne der Branche zugunsten der Beschäftigten. Jörg Hofmann meint nun, das Ziel der kürzeren Wochenarbeitszeit sei es, „den durch Digitalisierung, Energiewende und Klimawandel getriebenen Strukturwandel zu meistern“, damit steht auf der gewerkschaftlichen Agenda, die deutsche Wirtschaft fit zu machen für den nach der Krise erwarteten Wirtschaftsaufschwung.

Von der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist auch keine Rede mehr, die IG Metall wünscht sich nur noch einen „gewissen Lohnausgleich als Anreiz“, bezahlen sollen die Modernisierung der Wirtschaft jedoch im Wesentlichen die Lohnabhängigen selbst. Mit der Corona-Pandemie hat das alles nichts zu tun, denn die letzte Tarifrunde Anfang 2020 war bereits eine Nullnummer, die keine tabellenwirksame Erhöhung gebracht hat, die letzte gab es im Jahr 2018. Seit dieser Zeit wurde in zwei  Tarifrunden ohne Not auch auf einen Streik verzichtet, mit der  wichtigsten Waffe der Gewerkschaftsbewegung wurde erst gar nicht gedroht, geschweige denn das Geschütz ausgepackt.

So ist es kein Wunder, dass die Gesamtmetall-Spitze die Daumenschraube anzieht und Forderungen nach einer doppelten Nullrunde, Mehrarbeit ohne Lohnausgleich, Lohnabschläge bei Kurzarbeit, teilweise Abschaffung von Spätschichtzulagen, Verschlechterung von Pausenregelungen und Absenken von Sonderzahlungen wie beim Weihnachtsgeld erhebt.

Auch bei den Verhandlungen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di musste die Corona-Pandemie dazu herhalten, um auf die Bremse zu treten. Dort machte man erst gar nicht den Versuch, gegen die Demonstrations- und Versammlungsauflagen vonseiten der Ordnungsbehörden juristisch vorzugehen, die Niederlage schien schon von Anfang an vorprogrammiert zu sein, das zeigten auch die schlaffen Bemühungen die Aktionen des Warnstreiks zu steigern. Nach dem Angebot von 3,5 Prozent für eine Laufzeit von drei Jahren, das die ver.di-Spitze zunächst als „dreist, respektlos, provokant“ bezeichnet hatte, schloss sie dann Ende Oktober minimal über diesem Angebot ab.

Der Eindruck bleibt, dass von vornherein ein Abschluss um fast jeden Preis angestrebt wurde.

Parteiübergreifende Einigkeit beim Abladen der Lasten der Krise auf die arbeitende Bevölkerung

Die SPD, bzw. ihr Arbeitsminister Hubertus Heil, griff die Zahnlosigkeit der beiden großen Gewerkschaften schnell auf, um die noch skeptischen Arbeitgeberverbände davon zu überzeugen, das unschlagbare Angebot eines Strukturhilfeprogramms auf Kosten der Beschäftigten anzunehmen. Angespornt wurde der Minister wahrscheinlich dadurch, dass die Regierungsparteien die Gewerkschaften beim Prozess der Mindestlohnerhöhung schon einmal hinter die Fichte geführt hatten. Laut Handelsblatt gab es einen Deal innerhalb der Großen Koalition: Die Union bekommt für die Zustimmung zur Grundrente von der SPD eine Stärkung der privaten Altersvorsorge. Konkret soll die Einkommensgrenze für die steuerliche Förderung einer Betriebsrente von monatlich 2.200 Euro auf knapp 2.600 Euro steigen. Dadurch werden voraussichtlich zwei Millionen weitere Beschäftigte eine staatliche Unterstützung bekommen, wenn sie in der betrieblichen Säule für das Alter sparen. Zudem soll die private Zusatzvorsorge attraktiver gestaltet werden, weil die Riesterrente völlig gefloppt hat. Dies war eine Voraussetzung dafür, dass die Grundrente vom Bundestag endlich verabschiedet wurde. Die finanziellen Mittel für die Grundrente sollen nicht mit einer neuen Finanztransaktionssteuer, sondern nun ohne Gegenfinanzierung aus dem Staatshaushalt kommen.

Und damit ist eine moderate Lohnpolitik gefordert, mehr noch, sie wird für die nächsten Jahre in Stein gemeißelt.

Neu ist die Einigkeit und gemeinsame Anstrengung von DGB-Gewerkschaften, der SPD und mittlerweile auch der LINKEN, die Lasten der Krise auf die arbeitende Bevölkerung abzuladen.

Unter diesen Rahmenbedingungen wird es mit der Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe im Jahr 2021 wohl nichts werden, zumal die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di der im Jahr 2015 unglaublich effektive Arbeitskampf ihrer weiblichen Mitglieder noch in den Knochen steckt und sie sich vor einer neuen engagierten und heftigen Auseinandersetzung um mehr Anerkennung und einer weiteren Feminisierung des Arbeitskampfes schon heute fürchtet.

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Im Folgenden der Bericht von gewerkschaftsforum.de vom November 2015 über den Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst

 

Der einzigartige Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst im Jahr 2015 – Ein Rückblick

Die Verhandlungen im Tarifstreit der rund 240.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst hatten im Februar 2015 begonnen. Die Gewerkschaften forderten Einkommenserhöhungen im Umfang von durchschnittlich 10 Prozent und hatten eine Aufwertungskampagne für diese Berufe gestartet. Die Kitas wurden zum Teil fast vier Wochen lang bestreikt.

Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) riefen Anfang Juni einseitig die Schlichtung an. Nach einer 2-wöchigen Schlichtungsphase verkündeten die beiden Schlichter, dass es anstelle der geforderten 10 Prozent Erhöhung des Entgelts im Durchschnitt nur Erhöhungen von 3,4 Prozent geben soll. Dabei gab es noch deutliche Unterschiede, sodass viele Beschäftigte nur mit Erhöhungen zwischen 1 und 3 Prozent nach Hause gehen sollten. Das Schlichtungsergebnis wurde dann von der bundesweiten Streikdelegiertenversammlung vehement angegriffen und eindeutig abgelehnt.

Daraufhin beschoss der verdi-Vorstand eine Mitgliederbefragung, die vier Wochen lang, bis Mitte August andauerte. Rund 70 Prozent der Mitglieder sprachen sich gegen den Schlichterspruch aus.

Am 30.09.2015 wurde zwischen den  Gewerkschaften und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ein vorläufiges Endergebnis ausgehandelt: Es war nun ein um 9 Millionen Euro erhöhtes Angebot, das sind läppische 3 Prozent des Gesamtvolumens von 315 Millionen Euro im Jahr für die rund 240.000 Beschäftigten.

Viele Beschäftigte aus Städten, die als Streikhochburgen galten, plädierten für eine Fortsetzung der Kita-Streiks vom Mai, doch die Mehrheit der Tarifkommission sprach sich für die Annahme des Ergebnisses aus. Bei der sich anschließenden Urabstimmung stimmten dann Ende Oktober dem Ergebnis 57 Prozent der ver.di-Mitglieder und 72 Prozent der Mitglieder der GEW zu.

Die Beschäftigten hatten ursprünglich den materiellen Ausdruck der Anerkennung ihrer Tätigkeiten auf ein Volumen von rund 10 Prozent beziffert, bekommen haben sie aber im Schnitt nur 3,7 Prozent mehr Lohn.

Dennoch war dieser Arbeitskampf mit seiner Eigendynamik, der großen Motivation und Engagement der Streikenden, mit seiner Frauenpower, seiner Dramaturgie und mit neuen Erkenntnissen für die Gewerkschaften doch etwas anderes, als wir alle gewohnt waren.

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Deshalb lassen wir hier noch einmal den Arbeitskampf der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst Revue passieren, die Erfahrungen aus dem Arbeitskampf aufzeigen und die Kritikpunkte benennen

Seit Anfang April 2015 hatten die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten mit ihren Aktionen es geschafft, die Öffentlichkeit und die meisten Medien für ihre Anliegen zu interessieren. Sie haben aus den Erfahrungen im letzten großen Arbeitskampf 2009 gelernt, dass die Unterstützung schnell bröckelt, wenn die Eltern gezielt Stimmung gegen den Arbeitskampf machen, selbst eigene Demonstrationen veranstalten und rührende Geschichten von nicht versorgten Kleinkindern in Umlauf bringen. Die Eltern, die Schwierigkeiten haben, eine Betreuung für ihren Nachwuchs zu organisieren, gab es diesmal natürlich auch, aber schnell wurde die Absicht deutlich, die hinter den überzogenen Berichten stand.

Auch in der unbefristeten Streikphase von Mitte Mai bis Mitte Juni unterstützten die Eltern die Forderungen der Beschäftigten und organisierten sogar eine gemeinsame Betreuung für ihre Kinder, ohne sich öffentlich zu beklagen. So konnte auch die Aufwertungskampagne in der Öffentlichkeit immer wieder thematisiert werden, auch die Forderung nach durchschnittlich 10 Prozent Einkommenserhöhung wurde breit mitgetragen.

Was spätestens zu diesem Zeitpunkt fehlte, war die Thematisierung der Frage, was uns die Bildung unserer Kinder wert ist. Vor Ort hätten mit vielen Aktionen, gemeinsam mit den anderen DGB-Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen und Gruppen Veranstaltungen durchgeführt werden müssen, die die Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen thematisieren und auf das Kaputtsparen in der öffentlichen Daseinsversorgung hinweisen.

So konnte sich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) auch weigern, überhaupt über die Forderungen von ver.di, GEW und DBB zu diskutieren und war nur bereit, über „besonders belastete Beschäftigtengruppen“ zu reden. Also die klassische Aufspaltung der Streikenden.

Nach 4 Wochen Streik mussten sie einsehen, dass die breite Unterstützung nicht abbrach und sie riefen Anfang Juni einseitig die Schlichtung an. Bei diesem Verfahren braucht nur eine Seite die Schlichtung anzurufen und der Streik wird gestoppt.

Die öffentlichen Unternehmensvertreter hantierten hier mit der sogenannten Einlassungspflicht, die bedeutet, dass wenn im Öffentlichen Dienst einer der Tarifpartner die Schlichtung wünscht, dann muss diese eingeleitet werden und gleichzeitig werden auch die Streiks beendet. So wurde es 1974 und zuletzt 2011 in einer Schlichtungsvereinbarung festgehalten.

Diese Regelung nützt in Tarifkonflikten aber nur der Unternehmerseite. Die damaligen Arbeitskämpfe bei Amazon, Post, Bahn und Charité haben gezeigt, es ist kaum noch der Wille bei der organisierten Unternehmerschaft da, im „sozialpartnerschaftlichen Dialog“ früherer Zeiten einen Kompromiss zu finden. Auch die VKA setzte nun auf die Totalverweigerung.

Nach weiteren 2 Wochen Schlichtungsphase verkündeten die beiden Schlichter Georg Milbradt und Herbert Schmalstieg ein mageres Ergebnis. Anstelle der geforderten 10 Prozent Erhöhung des Entgelts sollte es im Durchschnitt nur Erhöhungen von 3,4 Prozent geben. Dabei gab es dann noch deutliche Unterschiede für die einzelnen Gruppen, so dass viele Beschäftigte nur mit Erhöhungen zwischen 1 bis 3 Prozent nach Hause gehen sollten. Mit einer fünfjährigen Friedenspflicht sollten die Beschäftigten verpflichtet werden, bis Ende Juni 2020 auf jeden weiteren Kampf um eine höhere Eingruppierung zu verzichten.

Zum Erstaunen aller Beteiligten waren die Vertreter des Bundesvorstandes von ver.di vorschnell bereit, diesen Schlichterspruch zu akzeptieren. Nach vier Wochen Streik.

Weil die Basis von ver.di sich mittlerweile einige Rechte mehr als früher erstritten hatte, mussten diese Ergebnisse und die Umsetzung auf einer bundesweiten Delegiertenversammlung am 24.06.2015 diskutiert werden. Dort rieben sich einige Funktionäre die Augen, als sie sahen, dass es zu einer fast hundertprozentigen Ablehnung der Empfehlung der Schlichter kam und vor allem auch die lange Laufzeit der Einigung von 5 Jahren vehement abgelehnt wurde. Die Delegierten stellten übereinstimmend fest, dass mit dieser Schlichtungsempfehlung eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe nicht erreicht wird. Die Konferenz kam zu dem Schluss, der am 26.06.2015 tagenden ver.di-Bundestarifkommission zu empfehlen, eine aufsuchende Mitgliederbefragung durchzuführen, um die Meinung der Mitglieder einzuholen. Die Umfrage lief bis Anfang August. Insgesamt lehnten 69,13 Prozent der ver.di-Mitglieder im Sozial- und Erziehungsdienst den Schlichterspruch ab.

Am 11.08.2015 tagte die Bundestarifkommission und machte den Weg für neue Streiks frei, in dem dort mit großer Mehrheit der Schlichterspruch abgelehnt und die VKA zu einem besseren Angebot aufgefordert wurde. Streiks wurden für Anfang Oktober in Aussicht gestellt.

Am 13.08.2015 begann die erneute Verhandlungsrunde mit der VKG , die am 30.09.2015 damit endete, dass man sich auf Nachbesserungen der Schlichtungsempfehlung verständigte. Es war nun ein um 9 Millionen Euro erhöhtes Angebot, das sind läppische 3 Prozent des Gesamtvolumens von 315 Millionen Euro im Jahr für die rund 240.000 Beschäftigten.

Viele ver.di-Mitglieder aus Städten die als Streikhochburgen galten, plädierten für eine Fortsetzung der Kita-Streiks, doch die Mehrheit der Tarifkommission sprach sich für die Annahme des Ergebnisses aus.

Die sich anschließende Urabstimmung hatte dann Ende Oktober zum Ergebnis, dass sich 57 Prozent der ver.di-Mitglieder und 72 Prozent der Mitglieder der GEW für die Annahme ausgesprochen haben.

Erfahrung aus dem Streik 2015
  • Mit der Aufwertungskampagne stellte sich ver.di an die Spitze einer gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung, von der eine unglaubliche Kraft und Dynamik ausging, die für die gesamte Bevölkerung sichtbar war.
  • Von 240.000 kommunalen Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst traten rund 50.000 in den Streik.
  • Es kam zu einer Eintrittswelle vor allem für ver.di, mit 25.000 neuen Mitgliedern.
  • Bei diesem Streik wurde ver.di von der Beteiligungsbereitschaft der Mitglieder förmlich überrannt. Es wurde ein riesiges Maß an Streikdemokratie entwickelt, das zum Maßstab für künftige Arbeitskämpfe wird.
  • Das Konzept einer konflikt-, beteiligungs- und aktionsorientierten Gewerkschaftsarbeit hat bundesweit Früchte getragen, bei der die Streikenden vieles in ihre eigenen Hände nahmen und die alte Stellvertreterhaltung der Gewerkschaft deutlich geschwächt wurde.
  • Es konnten sich neue demokratische Formen des Arbeitskampfes, wie z.B. die Streikdelegiertenkonferenz durchsetzen.
  • Was auf der Streikdelegiertenkonferenz stattgefunden hat, war eine kleine Revolution, bei der die Basis ihrer Führung nicht folgte. Für die ver.di-Führung war das eine ganz neue Erfahrung.
  • Mit den Streikvollversammlungen und Delegiertenkonferenzen wurde der Arbeitskampf demokratisiert und das trug auch dazu bei, dass der Schlichterspruch konsequent zurückgewiesen wurde.
  • Nach dem Schlichterspruch hat ver.di alles getan, um nicht wieder streiken zu müssen. Damit hat die Gewerkschaft eine große Chance vertan. Die Enttäuschung bei den Mitgliedern war enorm, sie erlebten, wie die ver.di-Haltung ihnen den entstanden Schwung nahm.
  • Der Vorschlag der Schlichter, die Einkommen zwischen 4,0 und 4,5 Prozent zu erhöhen, bedeutete nichts anderes, als eine Reallohnsenkung. Auf die fünfjährige Laufzeit bezogen, würde – im besten Fall – weniger als ein Prozent Lohnerhöhung erreicht. Damit liegt das Ergebnis noch unter dem Inflationsausgleich.
  • Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst werden durch die lange Laufzeit mit einer fünfjährigen Friedenspflicht, also mit einem faktischen Streikverbot bestraft.
  • Von einer Aufwertung des Berufsfeldes kann überhaupt nicht die Rede sein. So ist die wichtigste Forderung der Streikenden völlig gescheitert.
  • Notwendig wäre hier eine neu konzipierte Eskalationsstrategie gewesen, die in den Kitas den öffentlichen Druck, der ja am Anfang vorhanden war, noch hätte steigern können.
  • Auch die Strategie der Öffentlichkeitsarbeit für die Kommunikation mit den Eltern, konservativen Kommunalpolitikern und den Medien sollte hinterfragt werden. Teilweise wurden die Eltern gezielt gegen die Streikenden ausgespielt, was die Medien dann gerne breittraten.
  • Die harte Haltung der Arbeitgeber hat auch gezeigt, dass die Gewerkschaftsbewegung auch Solidaritätsstreiks einsetzen muss. Dem stehen bisher nicht nur das restriktive deutsche Streikrecht entgegen, sondern auch die entsprechenden Traditionen und Erfahrungen.
  • Bei diesem Streik hätten sich Solidaritätsstreiks am ehesten bei freien und kirchlichen Trägern der Sozial- und Erziehungsarbeit angeboten, da die Beschäftigten dort oft angelehnt an den TVöD-SuE bezahlt werden. Dort hätte noch viel stärker zu Protestaktionen mobilisiert werden müssen. Einige Versuche in diese Richtung hatten bisher leider kaum Erfolg. Auch hätte von ver.di aus noch viel früher mit Organisierungskampagnen in den betroffenen Betrieben begonnen werden müssen.
  • Genau dort, bei den freien und gemeinnützigen/kirchlichen Einrichtungen, schuften die fast 80 Prozent der nicht organisierten, meist weiblichen Beschäftigten. Dort ist eine stärkere Organisierung und Tarifbindung absolut notwendig. Da müssen die Gewerkschaften stärker ihr Gesicht zeigen und mit mehr Mumm in die Betriebe gehen als es bisher geschah.
  • Mittlerweile wird auch in den Gewerkschaften selbst stark bezweifelt, ob die Einlassungspflicht in diesem Konflikt wirklich bindend war. Andererseits wird der Weg über die Schlichtung mit dem schwachen Argument begründet, dass man sich ihr angesichts der öffentlichen Meinung nicht verweigern konnte. Auf jeden Fall war es ein Fehler, die Streikenden nicht auf die Möglichkeit einer Schlichtung vorzubereiten. Außerdem hat diese plötzliche Kehrtwende das Pflänzchen Streikdemokratie, wie z.B. die Streikdelegiertenkonferenz, wieder zertreten.
  • Solidaritätsaktionen vor den Rathäusern, wie z.B. die Mahnwachen, konnten für eine weitere Verbreitung der Forderung der Streikenden beitragen. Aber es fehlten unterstützende Arbeitskampfmaßnahmen und Solidaritätsstreiks anderer Fachbereiche und anderer Gewerkschaften, sowie breit angelegte Diskussions- und Infoveranstaltungen, bei denen die Erziehungs- und Bildungsthemen vor Ort thematisiert und der desolate Zustand in den Bildungsinstitutionen aufgezeigt werden.
  • Beim Streik wurden ver.di und die GEW von der extrem harten Haltung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände völlig überrascht. Umso mehr muss die alte Weisheit gelten, dass die Unternehmensvertreter  nur dann noch Zugeständnisse machen, wenn sie durch ebenso harte Haltungen und ausdauernden Kämpfen dazu gezwungen werden.
  • Erstaunt waren alle darüber, wie hart die  VKA verhandelten. Für sie ging es aber darum, wenn ein besseres Ergebnis erzielt worden wäre, es auch einen Einbruch bei anderen Billigarbeitern im sozialen und gesundheitlichen Sektor, wie der Alten- und Krankenpflege gegeben hätte, was sie partout nicht wollen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, als die große Gewerkschaft, die den Arbeitskampf maßgeblich geführt hat, hat es nicht geschafft, das wichtigstes Ziel dieser Auseinandersetzung, den Frauenberuf „Erzieherin“ endlich aufzuwerten, zu erreichen. Die Verärgerung der Streikenden ist nachvollziehbar.  

Wer aber nach vorne schaut, kann aus diesem Arbeitskampf ganz viel für den nächsten Anlauf zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe mitnehmen. Es müssen unbedingt die freien und gemeinnützigen/kirchlichen Einrichtungen einbezogen werden, damit dann nicht nur ein Drittel der Einrichtungen bestreikt werden, sondern im Arbeitskampf schließen machtvoll zwei Drittel der Einrichtungen. Dann wäre die Ausgangsposition nicht nur ausreichend stark, auch die Feminisierung des Arbeitskampfes würde weiter voranschreiten.

In Anbetracht der Ausgangssituation wird es mit der Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe im Jahr 2021 wohl nichts werden, auch weil der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di der unglaublich effektive Arbeitskampf ihrer weiblichen Mitglieder noch in den Knochen steckt und sie vor einer neuen engagierten und heftigen Auseinandersetzung um mehr Anerkennung und einer weiteren Feminisierung des Arbeitskampfes schon heute die Hosen voll hat.

 

 

 

 

Quellen: ver.di, gew, WAZ, Handeslblatt, IGM

Bild: badische.de