Kein Maulkorb für Betriebsräte – keine allgemeine Geheimhaltungspflicht für Betriebsratsmitglieder

Normalerweise streiten sich bei einem Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Betriebsrat und Arbeitgeber. Anders lag der Fall, über den das Landesarbeitsgericht Hessen zu entscheiden hatte. Der Betriebsrat beantragte in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber, eines seiner eigenen Mitglieder aus dem Gremium ausschließen. Das “Problem“: Dieser Betriebsrat ist als Einziger im Gremium gewerkschaftlich organisiert. 

Was war geschehen?

Der Arbeitgeber plante, drei Abteilungen zu schließen. Über diesen Entschluss informierte er zwei Mitglieder des Betriebsrats. Einer der beiden gab sein Wissen an das gewerkschaftlich organisierte Mitglied weiter, bat dabei jedoch, die Angelegenheit vertraulich zu behandeln. Dessen ungeachtet unterrichtete der Gewerkschafter seine Organisation, um zu erfahren, welche Handlungsmöglichkeiten der Betriebsrat hat.

Wie lautet der Vorwurf?

Betriebsrat und Arbeitgeber werfen dem Gewerkschafter vor, durch die Mitteilung habe er gegen seine Geheimhaltungspflicht verstoßen, indem er Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse an seine Gewerkschaft verriet. Darüber hinaus habe er eine allgemeine Geheimhaltungspflicht für Betriebsratsmitglieder nicht beachtet.

Was sagt das Arbeitsgericht dazu?

Das Arbeitsgericht ist der Auffassung, es liege ein grober Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten eines Betriebsrats vor. Der Ausschluss aus dem Gremium sei deshalb gerechtfertigt. Der auszuschließende Betriebsrat habe mit seiner Information der Gewerkschaft die Sitzung des Betriebsratsgremiums zu der Schließung von Abteilungen abwarten müssen.

Was sagt das Landesarbeitsgericht dazu?

Der Gewerkschafter legte gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Beschwerde ein. Und er bekam Recht. Zunächst stellt das Beschwerdegericht klar, dass es eine allgemeine Geheimhaltungspflicht für ein Betriebsratsmitglied nicht gibt. Zu untersuchen ist deshalb allein, ob der Gewerkschafter Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verraten hat. Ob personelle Maßnahmen des Arbeitgebers wie Entlassungen oder Versetzungen bis zu ihrer Durchführung Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sind, lässt das Landesarbeitsgericht (LAG) offen. Denn jedenfalls liege keine Verletzung einer eventuellen Verschwiegenheitspflicht mehr vor, wenn der Arbeitgeber bereits zwei Mitgliedern des Betriebsrats gegenüber von den geplanten Maßnahmen berichtet und das vorgesehene Mitwirkungsverfahren eingeleitet habe. Der Arbeitgeber habe kein sachlich begründetes, objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse daran, dass ein einzelner Betriebsrat so lange nichts nach außen dringen lässt, bis die Verhandlungen zu einem Interessenausgleich abgeschlossen sind.

Durfte das Mitglied des Betriebsrats sich an seine Gewerkschaft wenden?

Das Betriebsverfassungsgesetz regelt, dass ein Beauftragter einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft erst dann an Betriebsratssitzungen teilnehmen darf, wenn ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats dies beantragen. Diese Vorschrift musste der Gewerkschafter nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht befolgen. Denn er hat das Recht, sich auf eine bevorstehende Sitzung des Betriebsrats angemessen vorzubereiten. Dazu gehört – so das LAG weiter – auch das individuelle Einholen von Rechtsrat bei der Gewerkschaft. Während ein Betriebsrat sich eher durch Bücher und Gerichtsurteile informiert, fragt ein anderer lieber bei seiner Gewerkschaft nach. Dieser Weg der Informationsbeschaffung sei ein gleichwertiger unter anderen. Dies gelte umso mehr, als es beim der Beratung durch die Gewerkschaft gerade um die Frage gegangen war, welche Handlungsmöglichkeiten dem Betriebsrat und seinen einzelnen Mitgliedern zur Verfügung stehen, um angemessen auf die geplanten personellen Maßnahmen reagieren zu können.

Hier finden Sie den vollständigen Beschluss des LAG Hessen vom 20. März 2016, Az: 16 TaBV 12/17



Quelle: dgb rechtsschutz

Bild: dgb rechtsschutz