Lieferkettengesetz: mehr Menschenrechte ins Geschäft

Von Suitbert Cechura

Ende Februar hat Arbeitsminister Hubertus Heil nach der Einigung in der Koalition den Referentenentwurf für ein Lieferkettengesetz vorgelegt. Mit dem Namen „ Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ oder „Sorgfaltspflichtengesetz“ haben sich die ministerialen Beamten einen besonders moralisch klingenden Namen ausgedacht. Das Gesetz, das bislang nur als ein Referentenentwurf existiert, der noch vom Bundeskabinett und dem Parlament gebilligt werden muss, wird voraussichtlich noch einige Veränderungen erfahren. Die Sorgfalt, die mittels dieses Gesetzes den Unternehmen auferlegt werden soll, gilt der Beachtung der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette. Diese Sorgfalt ergibt sich aus der weltweiten Verantwortung, die sich die Bundesregierung ziemlich unbescheiden zuschreibt.

Deutschland übernimmt wieder ein Stück weltweite Verantwortung

„Deutschland steht aufgrund der hohen internationalen Verflechtung seiner volkswirtschaftlich bedeutenden Branchen in einer besonderen Verantwortung. Die zunehmende Integration deutscher Unternehmen in globale Beschaffungs- und Absatzmärkte bietet dabei Chancen und Herausforderungen zugleich: neue Märkte und Produktionsstätten werden erschlossen und so Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen.“ (Referentenentwurf vom 28.2.2021, Begründung)

Wie so eine internationale Verflechtung zustande kommt, könnte einem schon zu denken geben, schließlich fällt sie ja nicht vom Himmel. Die deutsche Wirtschafts- und Außenpolitik hat einiges in Verbindung mit ihren Verbündeten in Europa und Amerika dafür getan, dass der deutschen Wirtschaft weltweit alle Märkte und damit auch Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. So können deutsche Unternehmen die ganze Welt mit wenigen Ausnahmen als Produktionsstandorte, Lieferanten oder Absatzmärkte für sich nutzen. Weil die deutsche Politik dies geschafft hat, erklärt sie sich auch gleich für zuständig, die Bedingungen der Nutzung von Mensch und Natur in der ganzen Welt mit zu bestimmen, denn nichts anderes ist mit der Betonung der eigenen Verantwortung ausgedrückt.

Der Zugriff auf die ganze Welt sorgt für Arbeitsplätze und Wohlstand – das ist nicht von der Hand zu weisen. Denn Arbeitsplätze werden in allen möglichen Gegenden der Welt geschaffen, weil sich die Nutzung der Billigkeit der dortigen Menschen für hiesige Unternehmen lohnt. Dass dabei hier Arbeitsplätze verschwinden, weil die Nutzung des hiesigen Menschenmaterials sich vielfach nicht rechnet, fällt dabei unter den Tisch. Dabei müssen deutsche Unternehmen sich noch nicht einmal die Mühe machen, Produktionsstätten im Ausland zu schaffen. Sie können Aufträge an dortige Firmen vergeben, wobei sie von ihren Lieferanten fordern können, wie sie zu produzieren haben und mit welcher Qualität. Sie sind auf Grund der Menge der Lieferung in der Lage, ihren Lieferanten die Preise zu diktieren. Oder sie lassen im Rahmen einer Ausschreibung ihre möglichen Lieferanten um billige Preiszusagen konkurrieren. Dass die Zulieferer ihrerseits den Preisdruck an ihre Zulieferer weitergeben, stellt sicher, dass am Ende der Kette Arbeitskräfte intensiv und extensiv ausgebeutet werden. Eine solche Produktion kann weder auf die Gesundheit der dort Beschäftigten noch auf die Umwelt Rücksicht nehmen. Gerade die oft staatlich erlaubten Freiheiten in Sachen Benutzung von Mensch und Natur zeichnen solche Standorte aus. Sie sind das Resultat der Öffnung der Märkte, für die sich die Politiker hierzulande loben.

Dass durch diese Politik Wohlstand geschaffen wird, ist auch richtig, nur bei wem? Politiker und Unternehmer sehen sich als Wohltäter für die Menschheit weltweit. Dabei stellt sich der Wohlstand vorzugsweise bei denen ein, die dieses Werk in die Welt gesetzt haben. Der Reichtum sammelt sich eben bei den Unternehmen hierzulande, während die Länder, in denen vorzugsweise die billigen Arbeitskräfte mit einem Hungerlohn abgespeist werden, als Entwicklungsländer gehandelt werden, also Armenhäuser sind und so auch bleiben.

Als ihr Werk sollen die Zustände in den Zuliefererländern allerdings nicht dastehen. Vielmehr verdanken sie sich angeblich der Vernachlässigung der Pflichten von Staaten und Unternehmen, die eingegangene internationale Verpflichtungen zu wenig einhalten. Deshalb sieht sich Deutschland gefordert, diesen mehr Nachdruck zu verleihen.

Das hohe Gut Menschenrechte

„Die Pflicht, die Menschenrechte des Einzelnen zu achten, zu schützen und einzuhalten, liegt bei den Staaten. Die Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte besteht unabhängig von der Fähigkeit oder Bereitschaft der Staaten, ihrer Pflicht zum Schutz der Menschenrechte nachzukommen. Macht der innerstaatliche Kontext es unmöglich, dieser Verantwortung uneingeschränkt nachzukommen, ist von Unternehmen zu erwarten, dass sie die Grundsätze der international anerkannten Menschenrechte achten, soweit es in Anbetracht der Umstände möglich ist.“ (ebenda)

Woher der Handlungsdruck für deutsche Politiker kommt, ist nach den obigen Ausführungen nur schwer nachzuvollziehen. Einerseits sind die Menschenrechte international anerkannt, andrerseits machen die Ausführungen deutlich, dass es mit dieser Anerkennung nicht so weit her ist. Überhaupt ist die Sache mit den Menschenrechten ein völlig widersprüchliches Ding. Jeder Mensch soll diese Rechte von Natur aus haben und unveräußerlich sein, andrerseits ist dieses Ding ständig bedroht und kann ohne Schutz von Staaten nicht auskommen. Mit der internationalen Anerkennung der Menschenrechte stimmt es soweit, dass alle Staaten im Rahmen der UNO diese Vereinbarung unterschrieben haben. Trotzdem soll es mit der Gültigkeit nicht so weit her sein, wenn es darüber zum Streit zwischen Staaten kommt. Bedroht sind diese unveräußerlichen Rechte, zu deren Schutz Staaten berufen sind, vor allem durch Staaten – wie zum Beispiel die USA, die das in der Menschenrechtscharta geschriebene Folterverbot missachten. Nimmt man die Menschenrechte dem Inhalt nach, so handelt es sich bei ihnen um Selbstverpflichtungen der Staaten im Umgang mit ihren Bürgern, denen gegenüber sie Achtung der Person, der Gesundheit, Freiheit etc. versprechen. Dieses Versprechen interpretieren die Machthaber allerdings sehr unterschiedlich, und sie verfügen über die Macht, ihrer Interpretation Geltung zu verschaffen. Was alle eint, ist ihre Selbstdarstellung. Alle wollen sich als Ausdruck der Menschennatur ihrer Bürger verstehen und ihren Gewalteinsatz als Dienst an ihnen. Insofern sind die Menschenrechte die Ideologie der modernen Staaten, die sich überwiegend nicht mehr auf den lieben Gott berufen, wie zu Feudalzeiten. Das schließt allerdings den Gottesbezug nicht aus, wie es die islamischen Staaten oder der jüdische Staat praktizieren. Auch deutsche Politiker lieben das Kreuz in Schulen und Amtsstuben weiterhin.

Da alle Staaten die Menschenrechtscharta unterschrieben haben, bietet dies Staaten wie Deutschland die Möglichkeit, diese als Rechtstitel zur Einmischung in andere Staaten zu nutzen. Dabei ist nicht die Situation der Behandlung der Menschen im Lande der Maßstab der Einmischung, sondern wie sich der Staat zu den Interessen Deutschlands verhält. Ein Land wie Belarus, das sich deutschem Einfluss verweigert, gegen das sind Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen angebracht. Gegenüber Ägypten, dessen Herrscher eine gewählte Regierung weggeputscht hat und dessen Kritiker eingesperrt werden, ist dies nicht opportun und er hält Rüstungslieferungen, sichert er doch deutschen Einfluss in Nahost und Nordafrika.

Mit dem Sorgfaltspflichtengesetz geht es also nicht darum, ob es den Arbeitnehmern im Rahmen der Lieferkette gut oder schlecht geht, sondern es geht darum, wie es mit ihren Menschenrechten bestellt ist.

Und die Sorge um sie

Die Liste ist lang, wo die deutsche Regierung die Menschenrechte bedroht sieht:

  •   „das Verbot der Beschäftigung eines Kindes unter dem zulässigen Mindestalter… ? das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit für Kinder unter 18 Jahren… ? alle Formen der Sklaverei oder sklavereiähnlichen Praktiken, wie den Verkauf von Kindern und den Kinderhandel, Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft sowie Zwangs- und Pflichtarbeit….
  • Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes zur Prostitution… ? das Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit; damit ist jede Arbeitsleistung oder Dienstleistung gemeint, die von einer Person unter Androhung von Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat…
  • das Verbot aller Formen der Sklaverei…..
  • das Verbot der Missachtung der nach dem anwendbaren nationalen Recht geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes…
  • das Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit…
  • das Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung, etwa auf Grund von nationaler oder ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung, sofern diese nicht in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet ist…
  • das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns, der angemessene Lohn bemisst sich nach den Regelungen des Beschäftigungsortes und beträgt mindestens die Höhe des nach dem anwendbaren Recht festgelegten Mindestlohns….
  • das Verbot der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, schädlicher Lärmemission oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs….
  • das Verbot der widerrechtlichen Zwangsräumung und das Verbot des widerrechtlichen Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern… (Referentenentwurf vom 28.2.2021, Das Gesetz)

Die angeführte Liste zeigt zunächst einmal, was alles bei der Benutzung der Welt durch kapitalistische Unternehmen alles an Ekligkeiten und Schädigungen bei Mensch und Natur anfällt. Gegen diese Schädigungen wendet sich das Gesetz insofern, als diese gegen die Regeln der freien Marktwirtschaft verstoßen. Kinder sind nicht geschäftsfähig, also auch nicht als Arbeitskräfte zu benutzen. Sklaverei verstößt gegen die Freiheit der Person, die aus freien Stücken ein Arbeitsverhältnis eingehen soll. Persönlicher Zwang widerspricht dem, es reicht der stumme Zwang, der eigentumslose Personen dazu zwingt, sich als Arbeitskraft zu verkaufen, um an die Mittel für den eigenen Lebensunterhalt zu kommen. Weil sie gezwungen sind, Geld zu verdienen, gehen sie freiwillig ein Arbeitsverhältnis ein, bei dem der Arbeitgeber bestimmt, was er bereit ist zu bezahlen und was dafür zu leisten ist. Das Recht, sich als Arbeitskraft zu erhalten und seine Interessen zu vertreten, wird anerkannt, indem Arbeitsschutz und Koalitionsfreiheit zugestanden werden. Dass Arbeitgeber ihre Arbeitskräfte auswählen und damit Diskriminierung betreiben, ist erlaubt, soweit sich dies dem Betriebszweck verdankt. Reine Willkür soll ausgeschlossen sein. Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich auch ein Anspruch auf Lohn, was offenbar keine Selbstverständlichkeit ist. Dass der Geschäftszweck immer auch zur Ruinierung der Natur führt, davon zeugen die Ausführungen zum Naturschutz, wobei bei allen Regelungen immer wieder auch auf die nationalen Regelungen verwiesen wird, die festlegen, wie viel an Schädigung von Mensch und Natur im Lande erlaubt ist. Denn schließlich ist auch in Deutschland einiges an Verseuchung von Luft, Wasser und Böden erlaubt. Und am Arbeitsplatz haben viele Arbeitnehmer einiges an Gift, Gasen und Staub zu schlucken, für das es in manchen Fällen eine Schmutz- oder Gefahrenzulage gibt.

Was mit dem Sorgfaltpflichtengesetz eingefordert wird von den Betrieben, ist die Einhaltung von Standards, die hierzulande üblich sind. Dass diese in der Welt nicht überall Gültigkeit haben, wird zugestanden und damit der Maßstab der Sorgfalt modifiziert: Löhne soll es geben, aber dann entsprechend dem nationalen Niveau. Dass es nicht überall Mindestlöhne gibt oder Arbeitsschutzgesetze, fällt dabei unter den Tisch. Dann kann man sie auch nicht beachten. Überhaupt weist dieses Gesetz ein gerütteltes Maß an Ignoranz auf:

Beispiel Kinderarbeit

Das Gesetz macht sich stark für ein Verbot der Kinderarbeit. Es wird auch angesprochen, dass Kinderarbeit sich der Armut der Menschen verdankt. Das Verbot ändert an der Armut nichts. Schließlich zeigt die Kinderarmut einmal mehr, dass es unmöglich ist, von Lohnarbeit oder abhängiger Beschäftigung zu leben. Denn als Lohnabhängiger sind Arbeitnehmer von der Kalkulation der Arbeitgeber abhängig. Arbeit und Lohn gibt es nur, wenn es sich für den Arbeitgeber lohnt, er einen Vorteil davon hat. Das macht die Existenz von Arbeitnehmern unsicher. Krankheit und Alter schränken die Einkommensmöglichkeit ein und stellen damit einen weiteren Risikofaktor dar. Damit Arbeitnehmer überhaupt von ihrer Arbeit leben können, braucht es staatliche Zwangsmaßnahmen wie die gesetzlichen Sozialversicherungen, die einen Teil des Lohns gleich an der Quelle konfiszieren und verstaatlichen. Doch auch die Sicherung der Existenz der abhängig Beschäftigten durch die Sozialkassen kommt nicht ohne staatliche Zuschüsse aus.

In Ländern, wo es solche staatlichen Einrichtungen nicht gibt – und das dürfte die Mehrheit sein – besteht die Existenzsicherung in der Familie. Viele Kinder kosten zwar viel, sichern aber auch das Einkommen, wenn der Haupternährer ausfällt oder alt wird. Also gibt es reichlich Kinderarbeit. Im Sorgfaltspflichtengesetz wird auf zahlreiche internationale Vereinbarungen im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verwiesen, unter anderem auch auf eine Vereinbarung bezüglich der Kinderarbeit (Übereinkommen 138, von 1973, in Kraft getreten am 19.6.1976). Was diese bewirkt hat, zeigt eine Meldung vom 18.1.2021: „UN startet internationales Jahr zur Abschaffung der Kinderarbeit 2021-152 Millionen Kinder sind aktuell von Kinderarbeit betroffen…. In den letzten 20 Jahren wurden fast 100 Millionen Kinder aus der Kinderarbeit befreit, so dass die Zahl von 246 Millionen im Jahr 2000 auf 152 Millionen im Jahr 2016 gesunken ist.“

(https://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_766477/lang–en/index.html)

Was da als Erfolgsmeldung daherkommt, beruht auf Schätzungen, denn Länder, in denen Kinderarbeit verbreitet ist, führen keine Statistik über Kinder, die auf Müllhalden Plastik aus Deutschland sortieren, Kabel abbrennen und sich vergiften. Insofern handelt es sich bei der Abschaffung von Kinderarbeit um eine Daueraufgabe, wie vieles im Kapitalismus. Eine Ewigkeitsaufgabe wie der Kampf um einen auskömmlichen Lohn, der Kampf gegen soziale Ungleichheit oder Armut, um nur einige zu nennen. Zudem ist der Verweis auf getroffene Vereinbarungen wie dem Übereinkommen zur Regelung der Kinderarbeit im Rahmen der ILO ein Einmischungstitel, durch den sich nicht nur deutsche Politiker berechtigt sehen, in andere Staaten hinein zu wirken. Wann sie das tun, hängt nicht allein davon ab, ob es Kinderarbeit in dem Land gibt.

Das Pflichtenheft für die Sorgfalt

Starten soll das Gesetz für Firmen mit mehr 3000 Mitarbeitern, später sollen Firmen ab 1000 Mitarbeiter mit einbezogen werden. Sie beziehen ihre Vorprodukte aus vielen Quellen, die ihrerseits ihre Teile von vielen anderen beziehen. Dies alles nachzuverfolgen, wäre eine immense Aufgabe, die der Gesetzgeber den Firmen nicht zumuten will. Er legt daher zunächst fest, wie er die Sorgfaltspflichten verstanden haben will: „(2) Die angemessene Weise eines Handelns, das den Sorgfaltspflichten genügt, bestimmt sich nach 1. Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens,

  1. dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher der Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht, 3. der typischerweise zu erwartenden Schwere der Verletzung, der Umkehrbarkeit der Verletzung und der Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht sowie,
  2. nach Art des Verursachungsbeitrags.“ (Referentenentwurf, Das Gesetz §3)

Im Gesetzentwurf werden die Sorgfaltspflichten gleich relativiert und ins Verhältnis gesetzt zum Umfang der Geschäftstätigkeit. Das bedeutet: Je größer das Geschäft desto schwieriger ist es, die ganze Lieferkette zu überblicken. Je länger die Kette, desto geringer sind die Einflussmöglichkeiten. Und wo es keine Gesetze zum Schutze von Arbeitnehmern oder Umwelt existieren, können diese auch nicht verletzt werden usw.

Wie das Ganze zu verstehen ist, liefert der Kommentar gleich mit: „Die Sorgfaltspflichten begründen eine Bemühens- und keine Erfolgspflicht. Unternehmen müssen nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten keine Menschenrechte verletzt werden. Sie müssen vielmehr nachweisen können, dass sie die in den §§ 4-10 näher beschriebenen Prozesse eines Risikomanagements eingeführt haben, die vor dem Hintergrund ihres individuellen Kontextes machbar und angemessen sind.“ (Referentenentwurf, Kommentar)

Mit dem Gesetz formuliert der deutsche Staat einen Vorbehalt, den deutsche Unternehmen bei aller Freiheit der Benutzung von Mensch und Natur zu beachten haben. Er dringt nicht unbedingt auf die Verhinderung allen Elends und der Zerstörung der Natur. Doch weist er seine Unternehmen darauf hin, dass er Vorbehalte gegenüber der Praxis mancher Staaten kennt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass er diese auch jedem Staat gegenüber geltend macht. Als Rechtstitel setzt er diese aber dann ein, wenn er dies für opportun hält. Und ermahnt seine Wirtschaft, dass die Hinnahme solcher Praktiken eventuell auch für sie wirtschaftliche Risiken bedeuten kann. Sie sind ja Teil des wirtschaftlichen Einflusses, den die deutsche Regierung in der Welt ausübt. Gleichzeitig bietet er seinen Unternehmen ein Mittel für ihre Selbstdarstellung als verantwortlich Wirtschaftende bezogen auf die Achtung der Menschenrechte und den Schutz der Natur.

Dazu benötigen sie zunächst ein Risikomanagement: „ (2) Wirksam sind solche Maßnahmen, die es ermöglichen, Risiken zu erkennen, Verletzungen geschützter Rechtspositionen oder Verstöße gegen umweltbezogene Pflichten vorzubeugen, sie zu beenden oder zu minimieren, wenn das Unternehmen diese Risiken, Verletzungen oder Verstöße innerhalb der Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat.“ (Referentenentwurf, Das Gesetz §4)

Damit ein Unternehmen dies erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten kann, bedarf es einer Risikoanalyse: „(1) Im Rahmen des Risikomanagements hat das Unternehmen eine angemessene Risikoanalyse nach Absätzen 2 bis 4 durchzuführen, um die Risiken in seinem Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln.“(Referentenentwurf, Das Gesetz § 5)

Es geht in dem Verfahren um mögliche Gefährdungen von Menschenrechten durch das eigene Geschäft, die Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten oder falls bekannt zur Vorlieferanten zu ermitteln. Das Ganze soll angemessen, also nicht zu aufwendig erfolgen. Dass das Unternehmen auch wirklich sich den Werten der Menschenrechte verpflichtet fühlt, dazu bedarf es zudem eine Grundsatzerklärung zu den Menschenrechten durch das Unternehmen. Und die ist leicht zu haben, noch jeder Manager beherrscht die Kunst, seine Kalkulation mit Preisen, Kosten und Gewinnen als einen einzigen Dienst an der Menschheit und ihren Rechten darzustellen.

Ergibt die Risikoanalyse eine Gefährdung oder eine Verletzung der Menschenrechte, ist das Unternehmen dazu verpflichtet, auf seine Zulieferer einzuwirken, diese abzustellen oder zu minimieren. Das hängt natürlich wieder davon ab, welche Einflussmöglichkeiten ein Unternehmen auf seine Vorlieferanten überhaupt hat und wie die staatlichen Regelungen in dem Land aussehen.

Dieses Bemühen ist in einem Bericht zu dokumentieren und einmal jährlich zu veröffentlichen.

Beispiel brennender Regenwald

Mit den Brandrodungen des tropischen Regenwalds in Verbindung gebracht zu werden, schadet dem Ansehen von Unternehmen. Deshalb hat ein namhaftes deutsches Fleischunternehmen auch ohne Lieferkettengesetz streng darauf geachtet, nur mit brasilianischen Farmern Lieferverträge abzuschließen, die nicht im Zusammenhang mit Brandrodungen stehen. (SZ, 4.3.2021: Satte Profite, verkohlte Erde) Dieser große Fleischfabrikant diktiert nicht nur deutschen Schweinebauern die Preise, sondern auch brasilianischen Farmern bei der Abnahme von Rindfleisch. Diese Abnahmepreise bilden die Kalkulationsgrundlage für die dortigen Farmer, die sehen müssen, wie sie mit diesen Preisen zu Recht kommen. Wie schaffen sie das? Indem sie ihre Herden vergrößern. Dafür brauchen sie aber mehr Weideland. Und das besorgen sie sich durch Brandrodung. Mit den deutschen Fleischfabrikanten hat das selbstverständlich überhaupt nichts zu tun – auch wenn diese ihnen die Bedingungen in Form von Preisen vorgeben. Wenn dann noch brandrodende Farmer hingehen und ihre Herden mit denen anderer Farmer mischen und so die Rinder auf den deutschen Markt kommen, dann kann man deutschen Fleischindustriellen natürlich nichts vorwerfen. Sie haben ihre Einkäufer extra nach Brasilien entsandt, um zu prüfen, ob bei ihrem Lieferanten keine Brandrodung vorliegt! Den Rindern auf der Weide war nicht anzusehen, aus welcher Haltung sie stammen. Also ist dies ein Fall von Betrug und die deutsche Firma nicht Täter, sondern Opfer. Sie hat sich nichts vorzuwerfen, die Sorgfalt beachtet und billiges Rindfleisch bekommen.

Das Sorgfaltspflichtengesetz bringt dieses Verfahren zur Vollendung und macht es deutschen Großunternehmen zur Pflicht. Denn die Brandrodungen sind ein Streitpunkt, den Deutschland und Europa gegenüber der brasilianischen Regierung zum Streitgegenstand gemacht haben. Zwar werden auch hierzulande viele Bäume gefällt und müssen Wälder einer Autobahn weichen. Jedoch reklamieren europäische Politiker den brasilianischen Regenwald als Teil ihrer Klimareserve und verfügen so über einen Titel, der brasilianischen Regierung Vorschriften zu machen, wie sie ihr Land zu nutzen hat. Wenn diese allerdings ihrerseits sich erdreisten sollten, das Gleiche von hiesigen Politikern zu verlangen, wäre das natürlich eine Anmaßung.

Geteiltes Echo

Das Gesetzesvorhaben trifft in der Öffentlichkeit auf ein geteiltes Echo. Die einen begrüßen dieses Vorhaben als einen Schritt zur Beseitigung des Elends in der Welt, die anderen entdecken in ihm einen einzigen Eingriff in unternehmerische Freiheiten:

„Denn es bleibt dabei: Die deutsche Wirtschaft braucht kein Gesetz, das erfolgreiche Produktionen im Ausland behindert, starke internationale Wertschöpfungsketten einschränkt und zusätzliche Regulierungen und Bürokratie für die Unternehmen aufbaut.“ (Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer Gesamtmetall 10.12.2020, https://www.gesamtmetall.de/pressemitteilungen/planungen-zum lieferkettengesetz-jetzt-endlich-stoppen)

Zwar sind durch das Gesetz keine Einschränkungen von Produktionen im Ausland oder Unterbindung von Wertschöpfungsketten zu erkennen, doch deutsche Unternehmen sind anspruchsvoll, was Einschränkungen ihres Wirkens betrifft. Da wird jedes Gesetz sehr grundsätzlich als Eingriff in die unternehmerische Freiheit kritisiert, es sei denn, es bringt Subventionen oder Steuererleichterungen. Dabei geht der Vorwurf ganz an der Sache vorbei. Im Referentenentwurf ist kleinlich nachgerechnet, welcher bürokratische Aufwand bei jedem Paragraphen anfällt und aufsummiert zu einem Millionenbetrag, der da auf die Unternehmen zukommt. Die ganze Rechnung mündet jedoch in der Feststellung, dass eine entsprechende finanzielle Entlastung an anderer Stelle vorgenommen wird. Schließlich will der Staat den Erfolg seiner Wirtschaft nicht behindern, sondern fördern. Auch wenn er Titel im internationalen Verkehr kennt, die eventuell Einschränkungen bestimmter Praktiken begründen.

Manch ein Bürger hat sich vom Lieferkettengesetz eine Verbesserung für die Menschen in der Welt versprochen, die für den Reichtum hiesiger Aktionäre ihre Knochen hinhalten dürfen. Sie werden wieder mal enttäuscht werden. Aber warum sollte gerade der Staat, der alles dafür getan hat, damit seine Unternehmen auf der ganzen Welt Mensch und Natur für ihr Geschäft nutzen können, diesen Hindernisse in den Weg legen? Vielmehr ist auch dieses neue Gesetz ein Beispiel dafür, wie der Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ alles dafür tut, damit seinen Lieblingsbürgern die Welt weiter zur Benutzung offen steht.

 

 

 

 

Quelle:   scharf-links.de

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Bild: wikipedia