Mit der Kampagne „UNERHÖRT!“ wirbt die Diakonie Deutschland für sich und eine offene Gesellschaft und so kann sie weiterhin die Rechte der Beschäftigten mit Füßen treten

Auf den riesigen Werbetafeln in den Innenstädten textet in den vergangenen Wochen die Diakonie Deutschland: „Danke! Ihr Alltagsheldinnen und Alltagshelden – Danke! An alle Pflegerinnen, Pfleger, Krankenschwestern, Reinigungspersonal, Ärztinnen und Ärzte. An alle, die dieses Land in Zeiten der Corona-Pandemie am Laufen halten. Hier finden Sie Geschichten unserer Alltagshelden.“

Das waren die neusten Werbesprüche mit denen die Diakonie mit ihrer Kampagne „UNERHÖRT“ wirbt. Sie „will wachrütteln und zugleich aufzeigen, dass die Diakonie zuhört, Lösungen bereithält und eintritt für eine offene und vielfältige Gesellschaft“. Und Sie lässt Beschäftigte zu Wort kommen. Verschweigt aber, dass die Diakonie als kirchliches Unternehmen immer noch auf ihre, im Grundgesetz zugesicherte, Kirchenautonomie besteht und den Konkurrenzvorteil nutzt, dass auf ihre Krankenhäuser, Altenheime und Beratungsstellen das Betriebsverfassungs- und das Mitbestimmungsgesetz nicht angewendet werden.

Gotteslohn

Im Rahmen der Kampagne „UNERHÖRT“ lässt die Diakonie Deutschland auch Beschäftigte zu Wort kommen, hier 2 Beispiele:

a. Altenpflegerin Parthena Arvanitopoulou: „Wir sind in einer gefährlichen Branche.

Ich bin Parthena Arvanitopoulou, bin 25 Jahre alt und arbeite als Wohnbereichsleiterin im Pflegezentrum Bethanien in Stuttgart. In dieser Corona Krise müssen wir den Bewohnern viel Zuwendung schenken. Auch den Mitarbeitern. Es besteht immer Redebedarf.

Die größte Herausforderung ist, die Schutzmaßnahmen einzuhalten. Ich arbeite ja auch im

Demenzbereich. Die Bewohner erkennen uns oft nicht mit Masken. Da kommt dann: Wer sind Sie? Von Ihnen lasse ich mich jetzt nicht versorgen.

Normalerweise umarmt man die Bewohner. Die wollen das auch. Die weinen mal und suchen Nähe. Da ist diese enge Beziehung wichtig, aber sehr schwierig. Dann muss man die Maske kurz runtermachen und von weiter weg sprechen, damit sie unseren Mund sehen und uns verstehen.

Manche verstehen die Situation auch, sind aber dennoch verwirrt, weil ja auch die Angehörigen nicht kommen können. Und das fehlt wirklich. Das finde ich sehr traurig. Man möchte den Bewohnern ja auch was Gutes tun. Das ist schwierig – auch für mich.

Überrascht hat mich, dass die Mitarbeiter alle an einem Strang ziehen. Oft gibt es ja unterschiedliche Meinungen in Teams, aber jetzt halten alle zusammen.

Wir sind schon in einer gefährlichen Branche. Wir sind mehr dem Virus ausgesetzt als Menschen, die zu Hause bleiben können. Ich fühl mich schon sehr als Alltagsheld. Vor Corona hatte unser Beruf ja nicht so ein tolles Bild in der Gesellschaft

Zum Teil hat die Wertschätzung zugenommen, auch in den sozialen Medien. Oder man liest ‘Danke ihr Pflegekräfte‘. Es wird auch oft gefragt: Wie geht es dir? Kriegt ihr das denn hin? Wir würden gerne helfen. Das höre ich öfter. Ich fühl mich da schon in einer guten Position.

Von der Politik wünsche ich mir eine gerechte Bezahlung. Das ist ja schon lange ein Thema. Das ist ja ein Beruf mit Arbeit an Wochenende und Feiertagen. Ich wünsche mir noch mehr Anerkennung in der Gesellschaft. Wir brauchen auch mehr Pflegekräfte. In einigen Jahren wird es vermutlich mehr ältere Menschen geben als jüngere. Der Beruf wird gebraucht.“

b. Martin Löw ist Pflegedienstleiter der Palliativstation des Diakonieklinikums Stuttgart. Sein Glaube hilft ihm bei der erfüllenden, aber oftmals schweren Arbeit. Von Krankenkassen wünscht er sich mehr Anerkennung.

„Mein Name ist Martin Löw. Ich arbeite auf der Palliativstation im Diakonieklinikum Stuttgart. Ich bin zum einen als Krankenpfleger hier. Ich bin aber auch diakonischer Bruder im Mutterhaus. Hier bei uns sind alle Patienten schwer krank und vereint eines: sie haben eine Krankheit, die nicht mehr heilbar ist.

Wir schauen genau an, was können wir tun, um die Lebensqualität zu steigern. Das kann für jeden Patienten was anderes sein. Für den einen Patient ist es vielleicht Zeit, die er noch gewinnt. Für jemand anderes ist es einfach Symptomfreiheit, keine Schmerzen zu haben. Linderung steht bei uns im Vordergrund, aber wir machen auch Therapien.

Nicht jeder Patient redet immer und manchmal folgt aus einem kurzen „wie geht’s?“ ein Gespräch, das sehr lange dauern kann, und dann ist es für mich der Ansporn, dieses Gespräch nicht zu beenden.(…)

Also es ist ein sehr schöner Beruf allgemein. Das Schöne hier am Diakonieklinikum ist, dass ich ein stückweit die Tradition der Diakonissen, sich um die Menschen zu kümmern, die es am nötigsten haben, weiterführen kann.

Also in der Regel arbeite ich von sieben bis sechzehn Uhr. Circa fünf Stunden der Zeit, die ich hier verbringe, würde ich sagen, ist ehrenamtlich. Es gibt immer wieder die Momente, wo ich merke, dass es mir zu viel wird, wo ich froh bin, dass ich einen Glauben habe. Ich weiß für mich, ich bin ein gläubiger Mensch, ich kann da auch meine Kraft ziehen.

Aber was mir häufig die Arbeit sehr schwer macht, ist, wenn wir im Nachgang uns rechtfertigen müssen vor dem Medizinischen Dienst zum Beispiel der Krankenkassen, warum ein Patient ein, zwei, drei Tage länger hier im Krankenhaus war. Das Dasein und Gespräche das wird nicht genügend gewürdigt von den Krankenkassen, ist nicht darstellbar. Das macht einen dann oft auch ein bisschen wütend, dass man sich da sehr engagiert, und dann wird es nicht honoriert.“

In diesen Beispielen steht das enorme teils unentgeltliche, ehrenamtliche Engagement der Beschäftigten im Vordergrund und es wird dem Leser vermittelt, dass das Entgelt für die Altenpflegerin direkt vom Staat gezahlt wird, der dies dann auch erhöhen sollte und dass die Krankenkassen für die monatliche Zahlung an den Pflegedienstleiter zuständig seien. Von Tarifverträgen oder Arbeitsrechten hört man nichts.

Die Arbeit an Wochenende und Feiertagen wird benannt, doch wünscht die Frau sich dafür lediglich noch mehr Anerkennung in der Gesellschaft.

Der Mann weist auf seine Doppelrolle hin, zum einen arbeitet er als Krankenpfleger dort, zum anderen auch als diakonischer Bruder im Mutterhaus. In der Regel arbeitet er von sieben bis sechzehn Uhr, allerdings circa fünf Stunden der Zeit, die er am Arbeitsplatz verbringt, würde er sagen, seien ehrenamtlich. Die mangelhafte Würdigung seiner Arbeit  und seines Engagements durch die Krankenkasse macht ihn auch nur ein bisschen wütend.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Kirchen sich auch heute noch sicher sind, ihre Beschäftigten völlig ausbeuten zu können. Der gerechte Lohn, der ihnen eigentlich zusteht wird demnächst erst im Himmel entgolten und auch Rechte brauchen die Kirchenangestellten nicht, da Unternehmen und Beschäftigte schließlich gemeinsam an einer höheren Sache arbeiten.

Stellen wir einmal die Beschäftigungssituation bei den Kirchen auf den Prüfstand.

 

Konkurrenzvorteile bei der Vermarktwirtschaftlichung sozialer Hilfebedarfe

Im Rahmen der Vermarktwirtschaftlichung sozialer Hilfebedarfe wurde seit Mitte der 1990er Jahre der „Sozialstaat“ mit seinem Budget von über 100 Milliarden Euro systematisch dem Verwertungsprozess zugeführt. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände übernahmen die betriebswirtschaftlichen Grundzüge und sprachen nun von ihren „Sozialbetrieben“, verschrieben sich dem Wettbewerb am Markt, nannten nun die Ratsuchenden und Klienten „Kunden“ und konkurrierten mit ihren deformierten pädagogischen und sozialen Einrichtungen als ein Dienstleistungsunternehmen um Marktanteile.

Aufgrund der mangelnden Mitbestimmung und der Selbstdefinition als „Dienstgemeinschaft“ – ein Begriff, der aus dem deutschen Faschismus stammt – konnten Veränderungsprozesse von „oben“ angeregt und leicht umgesetzt werden. Das garantiert natürlich einen Konkurrenzvorteil, wenn unternehmerische Entscheidungen nach „Gutsherrnart“ gefällt werden können.

Die kirchlichen Unternehmen haben aber vor allem Konkurrenzvorteile aufgrund ihrer besonderen Stellung. Sie berufen sich immer noch auf die ihnen im Grundgesetz zugesicherte Kirchenautonomie und bestehen nach wie vor darauf, dass auf ihre Krankenhäuser, Altenheime und Beratungsstellen das Betriebsverfassungs- und das Mitbestimmungsgesetz nicht angewendet werden.

Die kirchlichen Unternehmen sind in eine unübersehbare Anzahl von Einrichtungen und Rechtsträgern aufgesplittert, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts, als eingetragene Vereine oder gemeinnützige GmbH firmieren. Sie werden je nach Sichtweise und Interessenlage unterschiedlich zugeordnet und gezählt und bilden auch bei gleicher Trägerschaft einen bunten Flickenteppich.

Diese Einrichtungen haben sich zu profitablen Unternehmen mit ständig wachsenden Beschäftigtenzahlen entwickelt. Immer noch werden Verstöße gegen kirchenrechtliche Loyalitätspflichten mit verhaltensbedingten Kündigungen geahndet.

Das kirchliche Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht – auch als Selbstbestimmungsrecht bezeichnet – wird von den Kirchen arbeitsrechtlich insbesondere in drei Richtungen ausgeübt:

  • Für eine Mitarbeit in kirchlichen Einrichtungen wird von den mehr als 1,3 Millionen Beschäftigten eine Übereinstimmung mit den kirchlichen Glaubens- und Moralvorstellungen erwartet. Ein Verstoß gegen diese Loyalitätspflichten zieht arbeitsrechtliche Konsequenzen – bis hin zur Kündigung – nach sich.
  • Anstelle eines Betriebsrates oder Personalrates werden die kirchlichen Beschäftigten durch eine Mitarbeitervertretung an den betrieblichen Entscheidungen beteiligt.
  • Die Löhne und andere grundlegende Arbeitsbedingungen werden überwiegend nicht im Rahmen von Tarifverhandlungen („zweiter Weg“) oder einseitig vom Arbeitgeber („erster Weg“) festgelegt, sondern durch Gremien, die paritätisch aus den Reihen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber besetzt werden („dritter Weg“). Arbeitskampfmaßnahmen (Streik und Aussperrung) sind nach Ansicht der Kirchen mit dem Dienst am Nächsten unvereinbar und werden deshalb ausgeschlossen.
Kirchliche Anstellungsträger unterbinden die Gewerkschaftsarbeit

Seit Mitte der 1970er Jahre sind gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte meistens mit Hilfe der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dabei, immer wieder zu klären, inwieweit kirchliche Anstellungsträger die Gewerkschaftsarbeit unterbinden bzw. behindern dürfen.

Dabei ging und geht es meistens um

  • das Werberecht, also um das Recht, neue Mitglieder zu werben und diese werbewirksam und agitatorisch zu informieren und Schriften, wie Flugblätter und Plakate zu verteilen und auszuhängen.
  • das Informationsrecht und bedeutet neben dem Ausbringen von Informationsmaterial aber auch, dass die Mitglieder ihre Gewerkschaft über Belange der Arbeitsverhältnisse oder des Betriebes informieren können, um ihr eine sachgerechte Interessenvertretung zu ermöglichen.
  • das Aushangrecht, es erfasst besonders auch das Recht, Info-Material am Schwarzen Brett  Es besteht ein Anspruch darauf, ein gewerkschaftseigenes Schwarzes Brett an einer, allen Beschäftigten leicht zugänglichen Stellen anbringen zu lassen.

Es bleibt laut Bundesverfassungsgericht den gewerkschaftlich organisierten Betriebsangehörigen unbenommen, sich innerhalb des Betriebes werbend und unterrichtend zu betätigen.

Doch in der Praxis muss z.B. die Anbringung eines Informationsbretts als elementares Recht vor dem Arbeitsgericht für jede Einrichtung erstritten werden.

Für die gewerkschaftlich aktiven Beschäftigten eine zermürbende Sisyphusarbeit, die nach jeder Niederlage ganz von vorne wieder begonnen werden muss.

 

Die Beschäftigten im kirchlichen Bereich

Der Wettbewerb zwischen katholischen und evangelischen Einrichtungen und die Konkurrenz zu anderen Wohlfahrtsverbänden und privaten und öffentlichen Trägern prägt die Situation der kirchlichen Beschäftigten. Der Wettbewerb wird vor allem über die Löhne ausgetragen.

Bei der Gestaltung des Arbeitsrechts berufen sich die Kirchen auf die ihnen im Grundgesetz zugesicherte Kirchenautonomie und bestehen nach wie vor darauf, dass auf ihre Krankenhäuser, Altenheime und Beratungsstellen das Betriebsverfassungs- und das Mitbestimmungsgesetz nicht angewendet werden. Das bedeutet,

  • die Beschäftigten bei kirchlichen Einrichtungen können keine Betriebsräte wählen, sondern nur Mitarbeitervertretungen, deren Rechte gegenüber den Betriebsräten stark eingeschränkt sind. Wenn es zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung dieser Mitbestimmungsrechte kommt, entscheiden nicht die staatlichen Arbeitsgerichte, sondern innerkirchliche Schlichtungsstellen. Deren Entscheidungen haben lediglich Empfehlungscharakter, da es keinerlei Durchsetzungsmittel wie im staatlichen Recht gibt,
  • Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks sind bei den Kirchen ausgeschlossen. Um das Streikrecht wird seit Jahrzehnten vor Gerichten gestritten, ohne dass ein Durchbruch erzielt wurde,
  • die Beteiligung der Mitarbeitervertretungen und oder gar der Gewerkschaften in Aufsichtsräten bzw. entsprechenden Aufsichtsgremien ist nicht vorgesehen. Anders als in der Industrie oder im öffentlichen Dienst schieben kirchliche Regelungen der Mitbestimmung einen großen Riegel vor. Dies widerspricht dem sonst von den Kirchen vorgetragenen Gedanken der „Dienstgemeinschaft“ aller Beschäftigten einschließlich der Leitungen,
  • diese Dienstgemeinschaft, übrigens ein Begriff aus dem deutschen Faschismus, wird als Begründung herangezogen, weshalb mit Gewerkschaften keine Tarifverträge abgeschlossen werden (es gibt einige wenige Ausnahmen),
  • Tarifverhandlungen mit einem möglichen Streikrecht sind nicht vorgesehen, mehr noch, den Gewerkschaften wird vorgeworfen, durch ihre Interessenvertretungspolitik den Gegensatz zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu verschärfen, den es so in kirchlichen Einrichtungen gar nicht geben würde,
  • statt über Tarifverträge, wird das kirchliche Arbeitsrecht in innerkirchlichen Arbeitsrechtlichen Kommissionen (ARK) festgelegt, die zwar von der Anzahl her paritätisch besetzt sind, den kirchlichen Arbeitgebern aber einen bequemen strukturellen Vorteil bieten. Sie verhandeln ja nicht mit unabhängigen Gewerkschaftsfunktionären mit entsprechender Ausbildung, Erfahrung und Organisation im Rücken, sondern mit von ihnen abhängig beschäftigten Arbeitnehmern. Sollten sich Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter in diesen Kommissionen nicht einigen, steht am Ende eine Zwangsschlichtung, deren Regularien wiederum die Kirche bestimmt,
  • die Mitarbeitervertretungen können den Druck im Betrieb oft nicht aushalten, weil sie durch ihr abhängiges Beschäftigungsverhältnis erpressbar sind,
  • Vorreiter für Lohnabsenkungen und prekärer Beschäftigung war ein Großteil der diakonischen Einrichtungen bereits 1998 bei der Einführung von „Leichtlohngruppen“, das kirchliche Arbeitsrecht, der sogenannte dritte Weg, wurde dafür missbraucht,
  • mittlerweile hat jeder vierte Arbeitnehmer unter 34 Jahren, der bei der Kirche arbeitet, ein begrenztes Arbeitsverhältnis und der Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit in kirchlichen Einrichtungen hat extrem hohe Ausmaße erreicht

und

der Trend zum Outsourcing wurde bei kirchlichen Einrichtungen eingeläutet, wobei die Ausgliederung von Tätigkeiten in eigene Tochterunternehmen zur Lohnsenkung genutzt wird und die Entfernung unerwünschter längjähriger Beschäftigter durch ein Insolvenzverfahren möglich macht.

 

Seit Jahrzehnten schuften die „Programmkräfte“ in den Maßnahmen der Arbeitsverwaltung bei den Kirchen für „einen Appel und ein Ei“ oder als 1-Euro-Jobber

Seit den 1990er Jahren treten die Kirchen und ihre neu gegründeten Beschäftigungs- und Maßnahmeunternehmungen auf dem Arbeitsmarkt auf und nutzen vor allem langzeitarbeitslose Menschen in den gut geförderten Maßnahmen brutal aus.

Diese Menschen in den Maßnahmen werden bewusst vom ersten Arbeitsmarkt ferngehalten, auch weil sie für den Maßnahmeträger gut eingearbeitete vollwertige Arbeiterinnen und Arbeiter sind und in den sogenannten Zweckbetrieben für Profit sorgen. Da sie rechtlich gesehen in keinem Beschäftigungsverhältnis stehen, haben sie auch keine Rechte, die sich aus einem regulären Normalarbeitsverhältnis ergeben. Sie sind den im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter ausgeliefert und damit verstoßen diese Maßnahmen gleich gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes, wie gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Berufsfreiheit oder das Koalitionsrecht.

 

Menschen im Maßnahmen- und Arbeitsgelegenheitengestrüpp
  • Es gibt Menschen, die seit Jahren immer noch unter besonderen „Vermittlungshemmnissen“ leiden. Sie haben seit 10 bis 12 Jahren immer die gleiche Beschäftigung beim gleichen kirchlichen Maßnahme- bzw. Anstellungsträger. Sie haben auch alle Programme durchlaufen, die die Arbeitsverwaltung in ihren Angeboten hat.
  • Dabei haben sich in der Zusammenarbeit mafiöse Strukturen, gegenseitiges Geben und Nehmen und Kungeleien zwischen den kirchlichen Einrichtungen und den Jobcentern entwickelt, die keinerlei Kontrolle unterworfen ist.
  • Der Einsatz der „Programmkräfte“ hat dazu geführt, dass der kirchliche Maßnahme- bzw. Anstellungsträger Dienstleistungen für sich selbst nicht mehr bei Fremdfirmen mit tarifgerechten Entgelt einkaufen muss, sondern z.B. die Reinigungen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten durch die recht- und schutzlosen Arbeiterinnen und Arbeiter erledigen lässt.
  • Diese Menschen werden in privaten Haushalten und Gewerben eingesetzt, die dann für eine Stunde Arbeit bis zu 20,00 an den kirchlichen Träger zahlen müssen.
  • Wenn es der Betriebsablauf notwendig macht, werden bei den Arbeitsgelegenheiten auch Überstunden angeordnet, die dann mit 1,50 Euro in der Stunde vergütet werden.
  • Bei einigen Maßnahmen kassieren die kirchlichen Einrichtungen monatlich pro Teilnehmer bis zu 500,00 Euro „Regiekosten“. Wer diese Summe pro Träger und Teilnehmer zusammenrechnet und dann noch schaut wie viele „Regisseure“ in Wirklichkeit tätig sind, sieht, wie lukrative diese Förderketten sind.
  • Wenn bei Maßnahmen z.B. die Zusätzlichkeit nach den etwas verschärften Kriterien nicht gegeben ist, stellen die Kirchen schnell „Projektbezüge“ her oder man kann auch z.B. eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ für alle Gewerbe, die im Aktionsraum liegen, vom Einzelhandelsverband erhalten, die wird der Arbeitsverwaltung vorgelegt und alles ist gut.
  • In Läden in denen Ware verkauft wird, wird eine Erklärung abgegeben, dass nur an Bedürftige verkauft wird oder für eine Zeit lang werden Waren nicht mehr verkauft, sondern gegen eine Spende ausgegeben.

Bei neuen Programmen, wie nach dem Teilhabechancengesetz wird die Situation für die geförderten Beschäftigten auch bei den Kirchen noch verschlimmert, weil

  • in den ersten 2 Jahren eine 100-prozentige Entgeltzahlung aus öffentlichen Mitteln erfolgt, die sich in den folgenden 3 Jahren dann verringert.
  • nach 5 Jahren keine Verpflichtung für die Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung besteht und ein Großteil der Betroffenen wieder in den Hartz-IV-Bezug gehen wird.
  • der typische Arbeitsvertrag im Rahmen dieser Förderung voraussichtlich zunächst auf zwei Jahre angelegt sein wird und bei guter Führung und Leistung anschließend für drei Jahre verlängert werden kann.
  • es sich nur zum Teil um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Da keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhoben werden, ist am Ende nur der Hartz-IV-Bezug möglich und das Hartz IV-System greift wieder. Es braucht kein Arbeitslosengeld 1 nach dem SGB III gezahlt werden und es fallen keine Vermittlungskosten an.
  • die Jobcenter zusammen mit den potentiellen Arbeitgebern entscheiden, welcher Mensch welche Stelle annehmen muss. Der Arbeitszwang seitens der Jobcenter steht dabei der Selbstbestimmung des Einzelnen entgegen.
  • ein Angebot nicht abgelehnt werden kann. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter.
  • der Mindestlohn, selbst in Vollzeit sind das etwa 1.550 Euro brutto, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Schon gar nicht kann man davon seine Familie ernähren.
  • es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt und sich damit kein Arbeitsverhältnis begründet. So sind Verstöße gegen Arbeitsrechte und Arbeitsschutz vorprogrammiert.
  • dass im Zuge der Beschäftigung von Zusatzjobbern reguläre Beschäftigung in nicht zu vernachlässigendem Umfang verdrängt und der bestehende Wettbewerb beeinflusst würden.
  • Maßnahmeteilnehmer aus der Maßnahme durch die Arbeitsverwaltung abberufen werden können, z.B. für Bildungsmaßnahmen oder eine andere Arbeitsaufnahme
  • die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit wird ebenfalls berührt, weil die Menschen gezwungen werden, jede Arbeit, Beschäftigung oder Maßnahme anzunehmen.
  • es wird bei diesem Programm, hier die SGB II Vorschrift der § 10 Abs. 2 angewandt. Danach ist einem erwerbslosen Menschen jede Arbeit zumutbar und er kann nur ausnahmsweise Arbeitsangebote ablehnen, z.B. nur, wegen besonderer körperlicher Anforderungen oder wegen der Gefährdung der Erziehung des Kindes. Ausdrücklich kein „Wichtiger Grund“ zur Ablehnung eines Vermittlungsangebots sollte sein, dass die „Arbeitsbedingungen ungünstiger“ als die Bedingungen des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses sind. Das ist der Hebel, mit dem man die Beschäftigten mit staatlichem Zwang in den Niedriglohnsektor drängt

und weil die arbeitenden Menschen immer noch unter der Knute der Jobcenter stehen. Da es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt, sind sie während der gesamten Laufzeit nicht nur ihren Unternehmen, sondern auch der „Betreuung“ durch die Jobcenter unterworfen.

Ehrenamtliche Arbeit

Die beiden Großkirchen betonen gern, dass sie in entscheidendem Maße auf das ehrenamtliche Engagement ihrer Mitglieder angewiesen sind. In der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche engagieren sich jeweils rund eine Million Menschen freiwillig und unentgeltlich. Hinzu kommt die ehrenamtliche Arbeit unzähliger Menschen in Einrichtungen der zu Sozialkonzernen mutierten früheren christlichen Wohlfahrtsverbände der Diakonie und der Caritas. Der Beitrag der Frauen an dieser Mitarbeit ist mit einem Anteil von etwa 70 Prozent besonders hoch.

Bei dem Einsatz der ehrenamtlich arbeitenden Menschen entstehen neue Unterschichtungen zwischen Erwerbsarbeitsverhältnissen und Ehrenamtlichen bzw. den neuen Freiwilligen des Bundesfreiwilligen Dienstes. Das führt zu noch mehr Konkurrenz zwischen den ohnehin schon heterogenen Beschäftigtengruppen bei den Kirchen und zwischen Ehrenamtlichen, Freiwilligen und bezahlten Kräften. Eine Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Engagement ist kaum mehr möglich.

Die ehrenamtlichen Arbeitskräfte haben schon immer gegen Gotteslohn als Lückenbüßer nicht besetzte Planstellen ausgleichen müssen, die dann mit öffentlichem Geld weiter voll aus finanziert werden und der „Dienst am Menschen“ als Notdienst aufrechterhalten wird.

Der Personalmangel in den schlecht bezahlten Sozial- und Pflegeberufen lässt wieder einmal den Ruf nach verbindlicheren und verlässlicheren Strukturen beim Ehrenamt ertönen. Man möchte die engagierten Menschen stärker in vertragliche Vereinbarungen einbinden und in personell unterversorgte Bereiche noch mehr als bisher einsetzen, auch um mehr Planungssicherheit zu erhalten.

Weil Staat, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und private Träger die sozialen und pflegerischen Arbeiten nicht regulär bezahlen wollen, erhöht sich der Bedarf an der „freiwilliger Arbeit“ immens. So ist es kein Zufall, dass wieder offen über die Einführung von Arbeitsdiensten im Sinne von „sozialen Pflichtjahren“ diskutiert wird.

Die Umsetzung dieser Überlegungen scheitern derzeit noch daran, dass sie ohne Verfassungsänderung schwer zu realisieren wären, denn das Grundgesetz Artikel 12, Abs. 2 gebietet: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden“.

Wie aber die Erfahrungen mit dem Bundesfreiwilligendienst (BFD) zeigen, geht das auch einfacher. Dort wird zwischen dem „Freiwilligen“ und dem „Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben“ eine Vereinbarung abgeschlossen, die mit einer Verpflichtung für einen vollen Arbeitstag (40 Stunden für unter 27-Jährige und 20 Stunden für über 27-Jährige) über mindestens zwölf Monate hinweg verbunden ist und mit einem Taschengeld (maximal 336 Euro monatlich) entlohnt wird.

Der DGB nennt diese Form des BFD eine „nicht gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung“, er benennt mal wieder nur etwas, nicht mehr und nicht weniger.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die Gewerkschaften bei dem Thema der Kirchenbeschäftigten lieber zurückhalten und Probleme aussitzen, obwohl sie genau wissen, dass eine ungeheuer große Zahl von potenziellen Gewerkschaftsmitgliedern dort schuftet. Man tut aber nichts substanzielles, auch weil die hauptamtlichen Gewerkschaftsleute sich genau wie die hauptamtlichen Kirchenleute sich zu den Eliten zählen und da bleibt man lieber unter sich.

 

 

 

Quellen: EKD, Kath. Bischofskonferenz, Ev. Kirchentag 2019, Bundesfreiwilligendienst, SGB II, Stadt Dortmund, WAZ, diakonie.de

Bild: Diakonie Deutschland