Krankenhaus statt Fabrik – Krankenhäuser sollen Einrichtungen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge sein


Von Bündnis Krankenhaus statt Fabrik

Seit dreizehn Jahren gilt für deutsche Krankenhäuser das Abrechnungssystem der Fallpauschalen (engl. Diagnosis Related Groups, DRGs). Schon bei Einführung dieses Systems warnten viele Kenner des Gesundheitswesens vor dramatischen Fehlentwicklungen in den Krankenhäusern. Zehn Jahre später wissen wir: Die Warnungen waren berechtigt. In den Krankenhäusern herrschen Personalnot, Über-, Unter- und Fehlversorgung. Bei den Entscheidungen über Behandlungen und Dauer des Krankenhausaufenthaltes wird nicht allein nach medizinischen Kriterien entschieden, sondern immer deutlicher danach, was sich gewinnbringend abrechnen lässt. Immer mehr Krankenhäuser werden privatisiert.

Das Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« besteht derzeit aus den ver.di-Landesfachbereichen 03 Baden-Württemberg, Berlin-Brandenburg und Nordrhein- Westfalen, dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää), attac, der Soltauer Initiative, der Gesellschaft für Psychotraumatologie, Traumatherapie und Gewaltforschung (GPTG), sowie einigen Persönlichkeiten aus der Politik, wie Harald Weinberg, Sprecher für Krankenhauspolitik und Gesundheitsökonomie der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Ins Leben gerufen wurde das Bündnis mit einer Tagung im Mai 2015.

Unser Ziel: Krankenhäuser sollen vor allem Einrichtungen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge sein, keine Wirtschaftsunternehmen. Krankenhausplanung und -finanzierung sind öffentliche Aufgaben, die politischer Planung und Steuerung bedürfen.

Die deutsche Krankenhauslandschaft wurde in den letzten 20 Jahren zu einem Sektor des Gesundheitsmarktes umgebaut. Die Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips und die Einführung des Fallpauschalensystems (DRG) ab 2003/04 haben die Krankenhausfinanzierung tiefgreifend verändert. Krankenhäuser werden nicht mehr nach ihrem Bedarf finanziert, sondern durch marktförmige Steuerung auf der Basis eines Festpreissystems. Dafür wurde die kostendeckende Finanzierung über Jahrzehnte ideologisch und politisch delegitimiert. Neoliberale Politik hatte eine simple Antwort auf die medizinisch/pflegerischen und politischen Probleme, die das System der Selbstkostendeckung in seiner konkreten Ausgestaltung hatte: »Mehr ökonomischer Wettbewerb, mehr Markt!« Versprochen wurde in diesem Zusammenhang auch eine Senkung der Krankenhausausgaben.

Mehr als 20 Jahre nach der Weichenstellung für die Wettbewerbsorientierung und mehr als zehn Jahre nach Einführung der DRGs sind die Auswirkungen dieser politischen Entscheidungen deutlich sichtbar:

•        Während das Versprechen der Kostensenkung nachweislich nicht eingelöst wurde, wurden zehntausende Stellen im nicht-ärztlichen Bereich abgebaut.

•         Die Arbeitsbedingungen haben sich massiv verschlechtert. Durch Outsourcing ist ein großer Niedriglohnsektor in Krankenhäusern geschaffen worden. Die enorme Arbeitsverdichtung (»Produktivitätsreserven«) sorgt massenhaft für physische und psychische Überlastung der Beschäftigten.

•        Unter diesen Arbeitsbedingungen leidet auch die Sicherheit der Patientinnen und Patienten: Fehlende Zeit für die Einhaltung von Hygienevorschriften, fehlende Zeit für pflegerische Versorgung und Zuwendung bedeuten für die PatientInnen schlechtere Bedingungen für die Krankheitsbewältigung – bis hin zum (vermeidbaren) Tod.

•        Medizinische und pflegerische Entscheidungen sind zunehmend betriebswirtschaftlichen Zwängen – d.h. der Ökonomisierung – ausgesetzt: – Die Zahlen der Eingriffe und Prozeduren steigen kontinuierlich, in manchen Bereichen drastisch. Dieser Anstieg ist nur zum Teil mit medizinischem Fortschritt und demografischem Wandel zu erklären. Es sind die ökonomischen Anreize im DRG-System, die Mengenausweitungen in bestimmten Bereichen hervorrufen. – Durch die betriebswirtschaftlich-technokratisch betriebene Senkung der Verweildauer werden PatientInnen häufig zu früh entlassen. Die Konsequenzen dieser sogenannten »blutigen Entlassungen« tragen die PatientInnen, pflegende Angehörige, niedergelasse ÄrztInnen und Reha-Einrichtungen, die immer öfter nicht-rehafähige PatientInnen aus Krankenhäusern bekommen.

•        Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, dass über »Fachkräftemangel« in der Pflege geklagt wird. Die Attraktivität des Pflegeberufs für junge Menschen hat abgenommen, viele halten die Belastung nur einige Jahre aus und wechseln dann den Beruf. Aber anstatt die Arbeitsbedingungen zu verbessern, gefährdet die deutsche Gesundheitspolitik die Gesundheitssysteme von Entwicklungs- und Krisenländern, indem sie systematische Anwerbeprogramme für ausgebildete Fachkräfte aus diesen Ländern betreibt.

•        Krankenhäuser wurden politisch zu einem Geschäftsmodell umgebaut, was besonders in der Entwicklung der Trägerschaft zum Ausdruck kommt: Es gibt heute nur noch halb so viele öffentliche Krankenhäuser wie 1991, aber doppelt so viele in privater Trägerschaft; öffentliche Häuser drohen zu Exoten in der Krankenhauslandschaft zu werden, wenn kein wirksamer Druck gegen die Kommerzialisierung entsteht.

•        Trotz staatlicher Steuereinnahmen in Rekordhöhe verweigern die politisch Verantwortlichen eine ausreichende Finanzierung von Investitionen. So wird auch in öffentlichen Häusern die betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung als oberste Maxime der »Unternehmensführung« durchgesetzt. Bei wirtschaftlicher Schieflage droht Schließung oder Verkauf.

Die Ökonomisierung der Krankenhäuser kann nicht innerhalb des DRG-Systems zurückgedrängt werden.

Innerhalb des krankenhauspolitischen Feldes ist Kritik am DRG-System zwar noch leise. Die in diesem relativ abgeschotteten Bereich dominierenden politischen und strategischen Orientierungen haben in der Bevölkerung und bei Beschäftigten aber nur einen sehr geringen Rückhalt und sind kaum zustimmungsfähig. Die überwältigende Ablehnung der Teilprivatisierung der Dresdener Krankenhäuser in einem Volksentscheid 2012 oder die breite öffentliche Zustimmung zum Berliner Charité-Streik für mehr Personal und die große Unterstützung ähnlicher Kämpfe in verschiedenen Städten in der Bundesrepublik sind hierfür deutliche Zeichen.

Wenn wir davon ausgehen, dass es einen breit getragenen Konsens für den Anspruch auf gute Versorgung im Krankenhaus und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten gibt, sollten wir Mittel und Wege finden, an diese Grundhaltung anzuknüpfen.

Ein erster Schritt ist eine Aufklärungskampagne, mit der wir über die politische, ökonomische, medizinische und pflegerische Funktion der Fallpauschalen und die Bedeutung von Markt und Wettbewerb für die Kommerzialisierung des Gesundheitssystems informieren.

Die Broschüre „Krankenhaus statt Fabrik“ soll ein Teil dieses Vorhabens sein.

Sie steht auch als pdf-Datei zur Verfügung unter: file:///C:/Users/Admin/Desktop/Broschuere_Krankenhaus_statt_Fabrik.pdf

Quelle und Bild: https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/1

Weitere Infos: https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/

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