Wirtschaftspolitische Informationen von ver.di: digitaler Kapitalismus ohne Arbeit?

Die Digitalisierung verändert weitreichend Inhalte und Strukturen von Wirtschaft und Arbeit. Doch ob es zu steigender Erwerbslosigkeit kommt und wie sich die Einkommensverteilung und der Sozialstaat entwickeln, ist keine technologische Frage, sondern eine der ökonomischen Entwicklung und der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit.

Produktivitätszuwächse müssen für höhere Löhne, kürzere und bessere Arbeit und eine Ausweitung gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen genutzt werden.

Die Digitalisierung erfasst nahezu alle Wirtschaftsbereiche und Arbeitsfelder und führt zu großen Veränderungen und Herausforderungen für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften.

In vielen von ver.di organisierten Branchen und Unternehmen sind Arbeitsplätze unmittelbar bedroht. Prominente Studien behaupten, dass in den kommenden Jahrzehnten etwa die Hälfte der bestehenden Arbeitsplätze gefährdet sei.

Vor diesem Hintergrund gewinnen Debatten an Fahrt, die schon seit vielen Jahren immer wieder geführt werden: Dass der Gesellschaft „die Arbeit ausgehe“, dass wir eine „Maschinensteuer“ oder ein ganz neues Sozialsystem bräuchten, das nicht mehr auf der Erwerbsarbeit beruht, oder dass statt Guter Arbeit für alle doch ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle die anzustrebende Alternative sei. Doch gleichzeitig erreicht die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland immer neue Rekorde und seit einigen Jahren nimmt auch das Arbeitsvolumen, die Gesamtstundenzahl der geleisteten Erwerbsarbeit, wieder zu.

Das gesamtwirtschaftliche Wachstum der Arbeitsproduktivität, also die preisbereinigte Wertschöpfung je Stunde, ist trotz Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten immer geringer und keineswegs größer geworden. Diesen Fragen und Widersprüchen wollen wir in den vorliegenden Wirtschaftspolitik Informationen nachgehen.

Die These, die wir dabei vertreten und begründen, lautet: Die Digitalisierung verändert vor allem die Inhalte und Qualität sowie die Strukturen der Erwerbsarbeit und der Wirtschaft.

Die Aufgabe der Gewerkschaften ist die Sicherung sowie die soziale und humane Gestaltung von Arbeitsplätzen. Darüber hinaus geht es um die Qualifizierung und soziale Absicherung aller Erwerbstätigkeit sowie eine demokratische Regulierung der Wirtschaft.

Das gesamtwirtschaftliche Niveau der Beschäftigung und die Entwicklung der Verteilungsverhältnisse sind dagegen keine technologische Frage, sondern eine der ökonomischen Entwicklung als auch der gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit.

Die zentralen Aufgaben hier sind die Sicherung und Durchsetzung von steigenden Löhnen, kürzeren und sozial gestalteten Arbeitszeiten sowie einer Wirtschafts- und Finanzpolitik, die für qualitatives Wachstum und einen Ausbau gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen sorgt.

Der mittels Digitalisierung wachsende Reichtum muss allen zugutekommen. Digitale Produktivitätsgewinne und Rationalisierungsdividenden müssen deshalb in gesellschaftliche Bedarfsfelder umgelenkt werden. Dafür muss zunächst die Durchsetzungskraft der abhängig Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in der digitalen Wirtschaft gestärkt werden.

Von zentraler – auch ökonomischer – Bedeutung ist es, die volkswirtschaftliche Nachfrage zu stärken. Es muss gelingen, die zu erwartenden Produktivitätszuwächse in Reallohngewinne und damit in zusätzliche Nachfrage umzusetzen. Dies ist eine notwendige Bedingung, wenn Digitalisierung keine Beschäftigungsverluste zur Folge haben soll: Denn zusätzliche Nachfrage führt zu zusätzlicher Produktion und damit zu neuen Arbeitsplätzen.

Aus diesem Grund sollten die Lohnzuwächse künftig mindestens so stark ausfallen wie das Produktivitätswachstum plus Preissteigerungen.

Eine höhere Tarifbindung und Mindestbedingungen helfen dabei, dieses lohnpolitische Ziel zu erreichen. Darüber hinaus sollten die betrieblichen Mitbestimmungsrechte auf Auftragsvergaben, Out- und Crowdsourcing ausgeweitet werden.

Für Werkvertragsnehmer, Soloselbständige und Crowdworker müssen Mindestbedingungen hinsichtlich der Vertragsinhalte und Honorarhöhen festgelegt werden. Auf die neuen beruflichen Anforderungen der digitalen Arbeitswelt sollte mit einer Aus- und Weiterbildungsoffensive geantwortet werden. So können die Beschäftigungschancen verbessert werden.

Beschäftigte, deren Jobs von digitaler Automatisierung akut bedroht sind, brauchen präventive Weiterqualifizierung und Rationalisierungsschutz. Ferner geht es darum, die exorbitanten Profite der IuK-Branche steuerlich besser abzuschöpfen. Die legalen Steuertricksereien müssen endlich beendet werden.

Es liegt jetzt an den Gewerkschaften und der Politik, den digitalen Fortschritt im Interesse der Beschäftigten zu gestalten.

Eine erfolgreiche politische Gestaltung könnte die Digitalisierung zu einem Mittel machen, besseres Arbeiten und Leben und mehr Wohlstand für alle zu erreichen.

 

Weitere Infos: Hinweis auf die Wirtschaftspolitischen Informationen 2/2016 vom Dezember 2016 herausgegeben vom ver.di-Bundesvorstand externer Link::

Bild: verdi