WSI: Mindestlohn: Deutliche Anhebung in den meisten EU-Ländern – Deutschland mit Mini-Zuwachs weit hinten

Zum Jahreswechsel sind die gesetzlichen Mindestlöhne in der Europäischen Union kräftig gestiegen: Die 22 EU-Staaten mit einem allgemeinen Mindestlohn erhöhten diesen vor dem Hintergrund hoher Inflationsraten im Mittel (Median) um 9,7 Prozent. Besonders stark fielen die nominalen Zuwächse in vielen osteuropäischen Ländern aus, aber auch die Niederlande (+12,9%) und Irland (+12,4%) haben ihren jeweiligen Mindestlohn deutlich angehoben. In Deutschland fiel die Anhebung zum Jahreswechsel mit einem nominalen Plus von nur 3,4 Prozent auf nun 12,41 Euro hingegen deutlich kleiner aus; EU-weit stieg der Mindestlohn nur in Belgien (+2,0%) noch langsamer. Das ergibt der neue internationale Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. WSI: Mindestlohn: Deutliche Anhebung in den meisten EU-Ländern – Deutschland mit Mini-Zuwachs weit hinten weiterlesen

Warum die Linke Militarismus und Aufrüstung ablehnen müssen und der Militarismus erst mit dem kapitalistischen Klassenstaate aus der Welt geschafft werden kann

Von Rosa Luxemburg

Die Agitation zu den Reichstagswahlen [1] wird von unsrer Partei allenthalben mit Frische und Eifer begonnen. Ihre allgemeine und denkbar glücklichste Einleitung war aber die glänzende Maifeier, die sich trotz aller abmahnenden Einflüsse und lähmender Einwirkungen aus Kreisen, welche die Maifeier als einen »lahmen Klepper« betrachten, zu einem imposanten Demonstrationsmassenstreik gestaltet hat. Hier hat sich wieder gezeigt, wie viel begeisterte Kampfstimmung und opferfreudiger Idealismus in den Arbeitermassen lebendig sind.

Um so mehr wird es zur dringenden Aufgabe der Partei, die diesjährige Reichstagswahlagitation nicht bloß zum Kampf um eine möglichst große Anzahl von Wählern und Mandaten, sondern in erster Linie zu einer Periode intensiver Aufklärung über die Grundsätze und die ganze Weltanschauung der Sozialdemokratie zu gestalten. Einer der Zentralpunkte des Wahlkampfes und der Agitation wird naturgemäß wieder die Frage des Militarismus sein. Und im Hinblick darauf gewinnt die Klärung unsres Standpunkts in dieser Frage, die sich an die jüngste Debatte im Reichstag geknüpft hat, dauernde und weittragende Bedeutung. Warum die Linke Militarismus und Aufrüstung ablehnen müssen und der Militarismus erst mit dem kapitalistischen Klassenstaate aus der Welt geschafft werden kann weiterlesen

Das Gegenteil von Verbesserungen: Das neue Rückführungsgesetz verschlimmert die Lage

Von PRO ASYL

Während sich in Deutschland allerorten Menschen zu Tausenden über die Deportationspläne der extremen Rechten empören und auf die Straße gehen, hat der Bundestag das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen, mit dem Ausweisungen, Abschiebungen, Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam drastisch verschärft werden. Jetzt ist es in Kraft.

Im Koalitionsvertrag hatte die Ampelregierung eine Reihe positiver Maßnahmen vorgesehen, ganz im Sinne des versprochenen »Neuanfangs in der Migrationspolitik«. So wollte sie etwa subsidiär Schutzberechtigte beim Familiennachzug mit anerkannten Flüchtlingen gleichstellen und versprach, dass beim Elternnachzug zu minderjährigen Flüchtlingen minderjährige Geschwister nicht zurückbleiben müssten. Das Gegenteil von Verbesserungen: Das neue Rückführungsgesetz verschlimmert die Lage weiterlesen

Simone de Beauvoir: „Das Blut der anderen“ – Der Krieg veränderte alles

Den Zweiten Weltkrieg erlebte Simone de Beauvoir im von den Deutschen besetzten Paris. War sie bis dahin unpolitisch und auf die eigene Freiheit bedacht gewesen, so bewirkte der Krieg ein Umdenken: De Beauvoir fühlte sich nun auch für andere Menschen verantwortlich.

Ihr Roman „Le Sang des Autres“ („Das Blut der anderen“) erschien 1945. Darin erzählt de Beauvoir die Geschichte von zwei Widerstandskämpfern und zeigt, dass persönliche Freiheit auch Verantwortung für andere bedeutet.

Für Simone de Beauvoir war die persönliche Freiheit nun untrennbar mit einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung verbunden. Keine Freiheit ohne gesellschaftliches Engagement. Damit wurde Simone de Beauvoir Vorbild für politische Aktivistinnen und Aktivisten weit über Frankreich hinaus. Simone de Beauvoir: „Das Blut der anderen“ – Der Krieg veränderte alles weiterlesen

An die sozialistischen Frauen aller Länder

Von Clara Zetkin / Aufruf November 1914

Genossinnen! Schwestern!

Von Woche zu Woche mehren sich in den kriegführenden wie in den neutralen Ländern die Frauenstimmen, die Protest erheben wider das furchtbare Völkerringen, das der Drang nach Weltmacht und Weltherrschaft der kapitalistischen Staaten geboren hat. Seit fast 4 Monaten dauert nun der Waffengang zwischen dem Zweibund und dem Dreibund, und immer neue Völker, immer mehr Teile der Erde werden in seinen blutigen Strudel gerissen.

Der Krieg hat die besten physischen, geistigen und moralischen Kräfte der Völker in seinen Dienst genommen, die Reichtümer ihrer Wirtschaft, die vollkommenste Organisation des Zusammenwirkens zu einem Zweck, wertvolle Errungenschaften der Wissenschaft und Wunderwerke der Technik.
Er türmt Ruinenhaufen und Berge Getöteter und Verstümmelter, wie sie die Geschichte noch nie gesehen hat, so große Blut- und Tränenströme auch durch sie ziehen.

Er tritt die Wohlfahrt und das Glück von Millionen unter seinen Fuß, zerreißt völkerrechtliche Verträge, philosophiert mit dem Schwert über ehrwürdig gewordene Vorstellungen und Einrichtungen und befiehlt den Völkern anzubeten, was sie gestern verbrannten, und zu verbrennen, was sie bisher anbeteten.

Er befleckt alle Ideale, die ungezählte Geschlechter aller Nationen und Rassen unter Qualen und Freuden der Menschheit auf ihrem Entwicklungsgang von der Tierheit zum Reiche wahrer menschlicher Freiheit geschaffen haben. An die sozialistischen Frauen aller Länder weiterlesen

Zigtausende Antragsteller warten auf ihre Wohngeldbescheide – Wohngeld trägt nicht zur Lösung des Problems von Wohnungsnot bei, es ist Teil des Problems

Nachdem die Regierungskoalition auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Herbst 2022 den Kreis der wohngeldberechtigten Haushalte von 595.000 auf zwei Millionen ausgeweitet hat, warten noch immer Zigtausende Antragsteller auf Bescheide der zuständigen Kommune.

Es liegt dabei gar nicht an der eigentlichen Bearbeitungszeit der Wohngeldanträge, die liegt nur zwischen zwei und acht Wochen, sondern bis ein Antrag überhaupt zur Bearbeitung kommt, dauert es aktuell z.B. in München neunzehn bis zwanzig Monate.

In ihrer Not experimentieren die Kommunen mit Vorschusszahlungen, Personalaufstockung und Beantragung per Internet. Die Städte erwarten von den Ländern Hilfe und die Länder fordert mehr Geld vom Bund, bewegen tut sich nichts und der Zustand wird andauern.

Für die wohngeldberechtigten Menschen ist diese Situation fatal, sie brauchen das Geld dringend bei den explodierenden Mieten und Wohnnebenkosten, gehen aber erstmal leer aus und rutschen die Schuldenspirale herunter.

Die Wohnungspolitik der Bundesregierung orientiert sich weiter an der Subjektförderung und subventioniert damit die überhöhten Mieten an die Vermieter und gleichzeitig wird die Objektförderung, also der Bau von Sozialwohnungen weiterhin stiefmütterlich behandeln.

Das Wohngeld trägt nicht zur Lösung des Problems von Wohnungsnot bei – es ist Teil des Problems. Zigtausende Antragsteller warten auf ihre Wohngeldbescheide – Wohngeld trägt nicht zur Lösung des Problems von Wohnungsnot bei, es ist Teil des Problems weiterlesen

Stellungnahme der VKG zu den Anti-AfD-Protesten und wie dagegen kämpfen

Seit einigen Wochen erleben wir eine bisher ungekannte Massenmobilisierung gegen die AfD, nachdem bekannt wurde, dass zum Teil führende Personen der AfD mit Neo-Nazis, Mitgliedern der rechtskonservativen Werteunion, anderen rechten Gruppierungen und Unternehmern in Potsdam über das Vorhaben einer Remigration berieten. Remigration steht für eine Strategie der„Rückführung“  bzw. erzwungenen Ausweisung von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund in ihre „Herkunftsländer“. Darüber hinaus wurde in diesem faschistischen Kreis nahegelegt, dass Menschen, die „anders“ sind, anders denken oder gar Gegner der AfD sind, doch gleich mit den ausgewiesenen „Nichtdeutschen“!  verschwinden sollten.

Millionen von Menschen empören sich – berechtigter- und erfreulicherweise – gegen dieses offen nazistische Ansinnen. Sie gehen deshalb, vorwiegend unter dem Motto „für die Demokratie“ gegen die AfD auf die Straße. Auch in kleineren Städten oder größeren Dörfern gehen die Menschen auf die Straße! Besonders erfreulich ist es, dass auch im Osten der Republik an sehr vielen Orten plötzlich (zum Teil erst wieder seit Langem!)  gegen Rassismus, die AfD und Neonazis demonstriert wird.

Die schiere Zahl von 2 ½ bis 3 Millionen demonstrierender Menschen innerhalb von 3 1/2 Wochen (zur Zeit dieser Niederschrift) ist völlig unerwartet und deshalb zusätzlich beeindruckend. Das Besondere an dieser Bewegung ist, dass sie bis in viele kleine Städte und Dörfer reicht.

Gleichzeitig können und dürfen wir die in dieser Bewegung auch vorhandenen inhaltlichen Schwächen und Lücken nicht verschweigen. Stellungnahme der VKG zu den Anti-AfD-Protesten und wie dagegen kämpfen weiterlesen

Autozulieferindustrie: Pleiten, Pech und Personalabbau

Von Stefan Krull

Gegenwind von VW, Daimler und BMW. Konzerne verweigern die Transformation – und die Regierung schaut nur zu. In der Branche: Besser Gemeinsam kämpfen als alleine untergehen!

Die Beschäftigung in der Auto- und Zulieferindustrie ging um 60.000 von 834.000 im Jahr 2018 auf 774.000 im Jahr 2022 zurück. Hinzu kommen noch 20.000 beendete Arbeitsverhältnisse bei Autohändlern und Werkstätten sowie zehntausende Leiharbeiter*innen, die vor die Tür gesetzt wurden und in den Bilanzen nicht als Personalkosten sondern als Sachkosten geführt werden. Die Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie brauchen eine Perspektive jenseits des Autos, denn die Produktion von Autos hat keine Perspektive. Autozulieferindustrie: Pleiten, Pech und Personalabbau weiterlesen

Zu konkreten Lebenssituation armer Menschen – in der Leiharbeit gefangen

Im Jahresdurchschnitt 2022 gab es bundesweit 830.000 als sogenannte Leiharbeitskräfte beschäftigte Personen. Das sind 14.000 oder zwei Prozent mehr als im Jahresdurchschnitt 2021.

Bei der Bundesagentur (BA) hatten damals von den gemeldeten offenen Stellen über 28 Prozent ein Leiharbeitsverhältnis, damit war fast jeder dritte über die BA zu besetzende Arbeitsplatz ein Leiharbeitsplatz. Bei den Vollzeitstellen wurden sogar Werte von mehr als 40 Prozent erreicht.

Die Beschäftigten in der Leiharbeit sind überdurchschnittlich häufig auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen. Während von allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 1,6 Prozent ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II aufstocken, liegt die Quote bei den Leiharbeitskräften bei 5,9 Prozent. Die von der Unternehmerseite so hoch gelobte Flexibilität der Leiharbeit bedeutet für die Leiharbeitskräfte, dass das Entlassungsrisiko auf dem Leiharbeitsmarkt fast sechsmal so hoch ist, wie im Durchschnitt aller Branchen.

Was diese Arbeitsverhältnisse mit Menschen machen können, sei hier an einem Beispiel aufgezeigt.  Zu konkreten Lebenssituation armer Menschen – in der Leiharbeit gefangen weiterlesen

Der neue Burgfrieden funktioniert

Am 18.Februar 2024 wurde in der 20 Uhr Tagesschausendung der neue Burgfrieden zelebriert. Berichtet wurde von der am Tag in Wolfsburg abgehaltenen Kundgebung unter dem Motto „Für Demokratie und Zusammenhalt“ mit rund 7.000 teilnehmenden Menschen. Aufgerufen hatten Gewerkschaften, Kirchen, Sportvereine und Firmen.

Im Bericht wurde besonders hervorgehoben, dass auch der Volkswagenkonzern sich angeschlossen hat, erstmals „ein Chef eines DAX-Unternehmens bei einer solchen Veranstaltung auf der Bühne steht“ und zwar kein Geringerer als Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und der Volkswagen AG. Blume sagte, er wolle Weltoffenheit demonstrieren und ein Zeichen setzen, um Wohlstand und Freiheit miteinander zusammen zu leben, „den haben wir uns über Jahrzehnte erarbeitet. Dafür spielen Werte eine besondere Rolle für die wir bei Volkswagen stehen“.

Anschließend übernahm Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Volkswagen AG das Mikrofon und betone, dass allein im Stammwerk von VW mehr als 100 Nationen arbeiten und „wenn wir uns abschotten, hat das auch Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.“

Ein Beschäftigter sagte dann vor laufender Kamera, dass es großartig ist, dass sein „großer Chef mit dabei ist und uns im Prinzip zeigt, dass wir nicht allein dastehen“. Eine andere Beschäftigte ergänzte, dass „wir als Konzern in der ganzen Welt vertreten sind und deshalb müssen wir als Volkswagen Gesicht zeigen“.

Mit der Feststellung: „Für Vielfalt und Toleranz, das ist die Botschaft heute in Wolfsburg“, endete der Tageschaubericht.

Den 6,75 Millionen Zuschauern wurde vorgeführt, wie gut der neue Burgfrieden schon funktioniert. Der neue Burgfrieden funktioniert weiterlesen

Arbeitsgerichte urteilen im Interesse der Konzerne

Von Rolf Geffken (†)

Vor jetzt 46 Jahren erhielt der Verfasser dieser Zeilen noch vor seinem ersten juristischen Staatsexamen die Mitteilung, er werde wegen seines Buches „Klassenjustiz“ das anstehende Referendariat nicht als Beamter absolvieren können. Ein Sturm der Entrüstung auch in der Sozialdemokratie führte schließlich zur Aufhebung dieser Entscheidung durch die politische Führung der Freien und Hansestadt Hamburg. Vielleicht war es besser, dass p o l i t i s c h e Instanzen ausdrücklich den Diskurs über „Klassenjustiz“ damit zuließen und nicht Richter, die sich dabei gegebenenfalls selbst hätten beurteilen müssen…

Klassenjustiz war und ist kein Schimpfwort sondern ein wissenschaftlicher Begriff. Das zitierte Büchlein war denn auch hervorgegangen aus einer Seminararbeit bei dem Juristen und Soziologen Klaus Dammann und nicht etwa Teil einer politischen Propagandashow. Anders als Autoren wie Wolfgang Kaupen, Rüdiger Lautmann und Theo Rasehorn sah der Verfasser allerdings das Wesen der Klassenjustiz nicht bloß in einer schichtenspezifischen Justiz zu Lasten von Angehörigen unterer Schichten, sondern im Nachgang zur Einschätzung des Juristen Karl Liebknecht in ihrer Funktion als Teil eines letztlich gegen die Interessen und Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterklasse gerichteten Staatsapparates. Wobei die Justiz vor allem a u c h die Interessen des besonders mächtigen Monopol- und Großkapitals durchsetzen helfe.

Die Erinnerung an diese Definition von Klassenjustiz stellt sich unweigerlich ein, wenn man sich vergegenwärtigt, wie lange deutsche Gerichte, die sogar zT kriminell agierenden Automobilkonzerne bei deren systematischen Betrug an Kunden und Öffentlichkeit ungeschoren ließen. Irgendeine Art von Mut gegen die Mächtigen bewies dabei k e i n deutscher Richter. Auch nicht als sogar die nicht unbedingt als „antikapitalistisch“ bekannte US-amerikanische Justiz vorexerzierte, welche Sanktionen gegen solche Konzerne angemessen waren und welche nicht. Arbeitsgerichte urteilen im Interesse der Konzerne weiterlesen

Höslers Zahl der Woche

Eine „Zahl der Woche“ nimmt Dr. Joachim Hösler, der als Lehrer an einer Marburger Schule arbeitet, zum Anlass, um im Unterricht über Zustände und Entwicklungen in der Welt zu diskutieren. Für unseren Heftschwerpunkt haben wir zum 75. Geburtstag der Bundesrepublik ein paar Zahlen, Daten, Fakten ausgewählt, die ein Licht auf Aspekte der deutschen Wirklichkeit werfen.

Von Joachim Hösler

Alle 14 Minuten

… tötet irgendwo auf der Welt eine Waffe des Rüstungsunternehmens Heckler und Koch einen Menschen, so die Schätzung des Rüstungsinformationsbüros Freiburg. (Quelle: junge welt, 1.9.2021, S. 1 ) Höslers Zahl der Woche weiterlesen

Strafvollzug und Armutsspirale – Ungleich vor dem Gesetz und nach dem Urteil

Von Christine Graebsch

Die meisten Haftstrafen haben einen Armutshintergrund. Zur „Resozialisierung“ wäre die Zahlung von gesetzlichem Mindestlohn und Rentenversicherungsbeiträgen auch hinter Gittern förderlich. Stattdessen ist der Strafvollzug Teil eines Systems individueller Zuschreibung von Armut.

In den letzten Jahren war in der Bundesrepublik Deutschland viel vom Bestrafen der Armen die Rede. Die weit über die Wissenschaft hinaus geführte Debatte ist maßgeblich durch das Buch von Ronen Steinke über „Die neue Klassenjustiz“ geprägt.[1] Er beschreibt eindrücklich das vielfach übersehene große Leid von Verurteilten in vermeintlich kleinen Strafverfahren. Jeder einzelne Fall offenbart ein dramatisches Schicksal des Lebens am ausgegrenzten Rand der Gesellschaft mit all seinen Widrigkeiten, Teufelskreisen und bürokratisierten Schikanen. Dies beruhte auf Beobachtungen im für „einfach gelagerte Fälle“ zuständigen Amtsgericht Berlin-Tiergarten.[2] Dort zeigte sich, was Beratende in Straffälligenhilfe und Haftanstalten längst wissen – weniger schon Strafverteidiger*innen, für die Betroffene regelmäßig kein Geld haben: „Je prekärer die Lebensumstände, desto strenger entscheiden Richter.“[3] Strafvollzug und Armutsspirale – Ungleich vor dem Gesetz und nach dem Urteil weiterlesen

Während bei uns die Zahlen der wohnungslosen Menschen explodieren, wird in Finnland die Obdachlosigkeit bald gänzlich abgeschafft sein

Nach den jüngsten Hochrechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) lag die Zahl der wohnungslosen Menschen im Jahr 2022 bei 607.000 gegenüber 383.000 im Jahr 2021. Rund 50.000 Menschen lebten ganz ohne Unterkunft als Obdachlose auf der Straße.

Eine angemessene Obdachlosenpolitik auf kommunaler, Landes- und Bundesebene scheint nicht in Sicht, die Menschen ohne Wohnung werden sich selbst überlassen und erhalten, wenn überhaupt nur Hilfen, die gerade mal ihre physische Existenz mehr oder weniger sichern. Auf der Straße sind sie zunehmend der Gewalt ausgesetzt und sie werden von den Polizei- und Ordnungskräften nicht beschützt, sondern deren Aufgabe ist es geworden, sie aus der Öffentlichkeit zu vertreiben und sie zu verfolgen.

Neue Ideen und Konzepte, wie Housing-First werden einfach ignoriert und immer nur auf die leeren Kassen verwiesen.

Wie es anders geht, zeigt das Beispiel Finnland. Dort geht die Zahl der obdachlosen Menschen seit Jahren zurück und bald wird die Obdachlosigkeit gänzlich abgeschafft sein. Der Grund dafür ist vor allem, dass Finnland das Housing First-Konzept anwendet.

Die Initiative ging im Jahr 2008 von der finnischen Regierung aus. Aktuell sind dort nur noch etwa 3.600 Menschen wohnungslos und bis 2027 soll mindestens die langfristige Obdachlosigkeit komplett verschwunden sein. In der Hauptstadt Helsinki sogar schon 2025. Während bei uns die Zahlen der wohnungslosen Menschen explodieren, wird in Finnland die Obdachlosigkeit bald gänzlich abgeschafft sein weiterlesen

Der diskrete Charme des Kapitals

Von Paul Schreyer

„Der Verzicht auf jede Konfrontation mit dem Kapital hat sich für die SPD verheerend ausgewirkt“, so Olaf Scholz in einem politischen Strategiepapier aus den 1980er Jahren. Der Staat, so Scholz damals, sei ein „Instrument des Kapitals zur Durchsetzung seiner Interessen“. Hinter solchen markigen Parolen steckte eine gründliche gesellschaftliche Analyse des Politikers, die heute aktueller denn je erscheint und eine neue Lektüre verdient. Multipolar präsentiert Auszüge – und schaut zurück auf Scholz´ Karriere und deren selten beleuchtete Wendepunkte. Der diskrete Charme des Kapitals weiterlesen